Das Leben bekommt einen neuen Rhythmus

Clarita erklärt gestenreich, wie das traditionelle Adventsessen Ayaka zubereitet wird. Auf dem Markt der Venezolaner findet man sämtliche Zutaten. Foto: Katrin Maue-Klaeser
Clarita erklärt gestenreich, wie das traditionelle Adventsessen Ayaka zubereitet wird. Auf dem Markt der Venezolaner findet man sämtliche Zutaten. Foto: Katrin Maue-Klaeser

Auf Curaçao spielen Geschichte und gutes Essen eine ebenso große Rolle wie Gemütlichkeit. Wir haben uns auf der zauberhaften Karibikinsel umgesehen.

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Von unserer Redakteurin Katrin Maue-Klaeser

Ernesto wirft seiner Frau einen Luftkuss zu, ehe er in der gemütlichen Musikkneipe in der Nieuwe-straat wieder die Saiten seiner Bassgitarre zupft. Der kubanische Musiker ist seiner Angebeteten Camille nach Curaçao gefolgt: „Ich habe nur Augen für sie“, sagt er – und man glaubt ihm, auch wenn dies am nächsten Morgen beim Blick auf die weltberühmte bonbonbunte Häuserfront am Ufer von Willemstad schwerfällt.

Clarita steht schon am Batido-Stand und wartet – Pünktlichkeit hat im Umgang mit europäischen Gästen definitiv einen anderen Stellenwert als unter den Einheimischen. Batido, den beliebten Fruchtsmoothie mit einer Extra-Kalorienladung aus Milch, Zucker und Honig, in der einen und eine Tüte mit Bohnenmus-Bällchen in der anderen Hand, folgen wir der resoluten Clarita über die schwankende Königin-Emma-Pontonbrücke in den Stadtteil Punda. Märkte, Geschäfte, Restaurants und Cafés bestimmen hier das Bild.

Am schwimmenden Markt der venezolanischen Obst- und Gemüsehändler beschreibt Clarita mit lebhaften, anschaulichen Handbewegungen die Zubereitung des traditionellen Adventsessens Ayaka. Die ganze Familie sitzt an einer langen Tafel, vor jedem eine Zutat, und so entsteht der Bausatz: Geräucherte Bananenpalmblätter werden weitergereicht und nach und nach gefüllt. Einer gibt Polenta hinein, einer Dörrpflaumen, der Nächste Rosinen, dann gegartes Hühnerfleisch, und der Letzte am Tisch faltet und bindet die Päckchen zusammen. Die Portionen werden eingefroren und bei Bedarf in heißem Wasser aufgetaut – Fast Food à la Curaçao.

Weiter geht es am Fort Amsterdam und dem Regierungssitz vorbei. Clarita stippt ihren Zeigefinger in die weißen Kristalle, die aus einer ramponierten Hauswand ausblühen. Mit der Zunge testet sie: „Es ist Salz“, sagt sie dann triumphierend und lässt die Mutigen unter uns auch probieren. „Wall disease“, Mauerkrankheit nennen die Einheimischen die zerstörerischen Auswirkungen der aggressiven Meeresluft auf Farbe und Putz. „Für Denkmalschutz gibt es hier nicht viele öffentliche Zuschüsse“, bedauert die lebhafte Endfünfzigerin. Selbst die Gastronomen, die das Fort Amsterdam bewirtschaften und beleben, zahlen die Erhaltung des Gebäudes weitgehend aus eigener Tasche, meint sie. Vorgaben bezüglich baulicher Veränderungen müssen sie dennoch einhalten. Wo in Zeiten der staatlichen Unabhängigkeit die Millioneneinnahmen aus Tourismus und Ölindustrie bleiben, ist auch vielen Einheimischen ein Rätsel.

Diana Lebacs schreibt, dichtet und singt in Papiamentu, und sie bringt die Sprache ihrer Heimat, die ihre Wurzeln in so vielen Sprachen hat, in Kursen auch Besuchern näher. Afro-portugiesisch-kreolische Elemente vereint Papiamentu auf klangvolle, grammatikalisch einfache und farbige Weise mit niederländischen Wörtern. „Sehr funktionell und ökonomisch“ nennt Diana die Sprache. Korsou heißt etwa ihre Insel bei den Einheimischen, buki das Buch, stul der Stuhl. Das wichtigste Wort aber ist dushi, sein Bedeutungsspektrum umfasst alles Schöne und Positive: „Danki dushi“ ist die bevorzugte Form, sich zu bedanken, ob bei guten Freunden, der Kellnerin oder dem Busfahrer – dann heißt dushi so viel wie mein/e Liebe/r oder, vertraulicher, Schätzchen. „Korsou ta dushi“ ist die ultimative Liebeserklärung an die Heimat – dann bedeutet dushi wunderschön.

Das wunderschöne Curaçao ist nicht nur farbenfrohes Sehnsuchtsziel europäischer Touristen, sondern auch Aufbereitungs- und Umschlagplatz venezolanischen Erdöls. Was den Reisenden im Landeanflug wie ein Fremdkörper in dem paradiesischen Ambiente erscheint, ist für die Einheimischen ein gewohntes Bild: Die größte Raffinerie Curaçaos liegt inmitten der Hauptstadt. „Wenn Touristen kommen, um unsere Natur kennenzulernen, werden wir ihnen nicht die Raffinerie zeigen“, sagt Fremdenführer Emlyn pragmatisch. Je nach Windrichtung und Lage der Unterkunft allerdings ist es gar nicht erforderlich, die Raffinerien zu sehen: Man kann sie leider auch riechen. Was zum schwerelosen Schweben im warmen türkisblauen Meer so gar nicht passen mag. Wer sich allerdings bei der Wahl seines Hotels oder Resorts an der Hauptwindrichtung – der Passat streicht von Ost nach West über die „Insel unter dem Wind“ – orientiert, wird davon nicht betroffen sein. Da der Bereich westlich von Willemstad nur einen winzigen Teil der Inselfläche ausmacht, ist das nicht schwierig.

Emlyn begrüßt uns nahezu akzentfrei mit dem einzigen vollständigen deutschen Satz, den er kennt: „Ich heiße Emlyn, und ich bin 15 Jahre alt.“ Letzteres stimmt offenkundig nicht – doch als er zuletzt in Deutschland war und dort auch die Schule besucht hat, prägte er sich diese Worte ein. Vielleicht rührt daher der besondere Bezug, den Emlyn zu dem von Deutschen geprägten Teil der Geschichte Curaçaos hat: „Im Zweiten Weltkrieg wollte Hitler Curaçao sprengen lassen, wegen der Raffinerien. Aber die Ladies hier haben die Insel geschützt, denn Hitlers Männer verliebten sich in sie, blieben hier und verhinderten die Sprengung.“

Ein hartes Los hatten dagegen viele Sklaven, die in den Salzpfannen von Curaçao schuften mussten. Noch heute brennt die Sonne unbarmherzig auf die von weißen Kristallen verkrusteten Flächen im Jan-Thiel-Park – Bigala aber scheint dies nichts auszumachen. Die hochgewachsene Frau mit der lauten, tiefen Stimme erzählt lebhaft von der Sklaverei, von den vielen Menschen, die im grellen Licht erblindeten, stimmt auch einige Lieder aus jener Zeit an: melancholisch und doch mit unwiderstehlichem Rhythmus.

Das gesamte Leben bekommt einen neuen Rhythmus auf dieser Insel, der Schritt wird wiegender, das Lächeln breiter. Beim abendlichen Bummel von einer Bar zur anderen begleiten den Schlendernden die sanften und doch eindringlichen Klänge karibischer Melodien in die laue Nacht, der Rhythmus geht ins Blut und in die Füße. Livemusik gehört in fast allen Lokalen dazu, manch ein Gast gesellt sich für das eine oder andere Lied zu den Musikern, singt ein paar Strophen oder greift sich die Rasseln. Und da steht auch wieder Ernesto, zupft die Saiten, schließt verträumt die Augen und denkt an Camille.

Nähere Informationen über Curaçao finden sich auf der Internetseite des Tourismusverbands Curaçao Tourist Board unter www.curacao.com/de