RZ-KOMMENTAR: Gesellschaftliche Ächtung ist wirkungsvoller als jedes Verbot

Der Schock über den braunen Terror sitzt tief. 13 Jahre konnte eine Neonazi-Zelle mordend und raubend durch Deutschland ziehen, ohne dass ein mit fragwürdigen V-Leuten durchsetzter Verfassungsschutz gemeinsam mit der Polizei eingeschritten wäre.

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Der Schock über den braunen Terror sitzt tief. 13 Jahre konnte eine Neonazi-Zelle mordend und raubend durch Deutschland ziehen, ohne dass ein mit fragwürdigen V-Leuten durchsetzter Verfassungsschutz gemeinsam mit der Polizei eingeschritten wäre.

Allein die Tatsache, dass die Opfer zu ausländischen Mitbürgern zählten, löste den Reflex aus: Da ist Schutzgeld oder Mafia im Spiel. Es ist ein gutes Zeichen, dass Bundespräsident Christian Wulff jetzt mit den Angehörigen der Opfer spricht, die der Staat nicht schützen konnte und auch noch in die Nähe krimineller Milieus rückte. Es ist auch gut und enorm wichtig, dass am Wochenende in Remagen und Bretzenheim viele Demokraten braunen Aufmärschen nicht zusehen, sondern deutlich zeigen: Nachkriegsdeutschland ist tolerant, zeigt aber null Toleranz gegen Neonazis und Rassisten.

Aber auch nach diesem Schock ist – wie nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen oder dem Terror in Hoyerswerda – leider nicht zu hoffen, dass der Wähler überall rechtsextreme Parteien abstraft und ihnen damit die finanziellen Mittel für den Nährboden von Hass und Hetze entzieht. Die gesellschaftliche Ächtung wäre wirkungsvoller als jedes Verbot.

Wichtiger als jeder politische Aktionismus ist jetzt aber die Einsicht, dass alle Sicherheitsbehörden ihre Strukturen auf den Prüfstand stellen und untersuchen, wie sie Informationen zielgerichtet besser verzahnen können. Gebetsmühlenartig hören wir seit Jahrzehnten, dass der Verfassungsschutz ohne V-Leute, also bezahlte Spitzel in einer abgeschotteten Szene, nicht leben kann. Aber die beispiellose Mordserie legt auch brutal die Schwächen dieses Systems auf, das zudem noch ein NPD-Verbot verhindert, wenn braune Parteifunktionäre angeworben werden. Denn zumindest in Hessen und Thüringen agierten Agenten, die es nicht hätten sein dürfen: NPD-Funktionär Tino Brandt baute mit 100 000 Euro vom Staat den Thüringer Heimatschutz erst richtig auf, in der die Zwickauer Terrorzelle entstand. In Hessen führte jemand offenbar V-Leute, obwohl er im Heimatdorf selbst als „Kleiner Adolf“ galt und bei dem Mord in einem Kasseler Internetcafé zugeschaut haben soll. Da ist es nur zu verständlich, dass Unionsfraktionschef Volker Kauder folgert: „Ein Instrument, das uns nichts bringt, das brauchen wir auch nicht.“

Die Panne von Niedersachsen, wo der Verfassungsschutz nach einem drastisch klingenden Hinweis aus Thüringen möglicherweise zu lasch den Helfer observiert haben soll, der dem Terrortrio Wohnwagen und Pass besorgt haben soll, lenkt den Blick auf die geplante zentrale Datei in einem gemeinsamen Abwehrzentrum: Sie ist nur effektiv, wenn die Dienste damit auch alle belastbaren Informationen verknüpfen, die sie haben, und nichts ehrgeizig vor anderen Sicherheitsbehörden verbergen. Denn es gibt zwischen Nachrichtendiensten und Polizei zwar ein klares Trennungsgebot, aber kein Kooperationsverbot bei der Gefahrenabwehr.

Nach dem ersten Schock sind jetzt viele Lehren zu ziehen, strukturelle wie gesellschaftliche. Ein Verbotsverfahren der NPD sollte man aber erst wieder anstreben, wenn sicher ist, dass es nicht wieder scheitert und der braune Mob erneut triumphiert. Aber vorher ist auch genau abzuwägen, wie erfolgreich sich denn in den Untergrund abwandernde Rechtsextremisten beobachten und bekämpfen lassen. Eine Partei lässt sich verbieten. Ihr Gedankengut verschwindet damit aber nicht automatisch.

E-Mail: ursula.samary@rhein-zeitung.net