RZ-Kommentar: Bundespräsident sorgt selbst für die Affäre Wulff

Herr Wulff kommt nicht zur Ruhe. Anders als von ihm erhofft, ist die Debatte über seinen Privatkredit mit dem Jahreswechsel nicht verstummt. Im Gegenteil. Sie bekommt eine neue und für Wulff gefährliche Wende: Urplötzlich geht es nämlich auch noch um die Pressefreiheit.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Herr Wulff kommt nicht zur Ruhe. Anders als von ihm erhofft, ist die Debatte über seinen Privatkredit mit dem Jahreswechsel nicht verstummt. Im Gegenteil. Sie bekommt eine neue und für Wulff gefährliche Wende: Urplötzlich geht es nämlich auch noch um die Pressefreiheit.

Der Bundespräsident wollte offenbar die scheinbare Macht seines Amtes nutzen, um den ersten kritischen Bericht der „Bild“-Zeitung über die Kreditaffäre zu verhindern. Dieser jetzt bekannt gewordene Versuch medialer Beeinflussung wird der Funke sein, an dem sich endgültig die Rücktrittsdebatte entzündet. Erste Reaktionen aus der bundesweiten Presselandschaft lassen jedenfalls darauf schließen: Für Christian Wulff wird die Lage ernst.

Ob und wie indes die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf dieses neue Detail der Kreditaffäre reagiert, ist noch ungewiss. Bei der Mehrheit der Bürger hat Wulff zwar viel Vertrauen verspielt, doch die meisten Deutschen sprechen sich gegen seinen Rücktritt aus. Bislang. Stattdessen ernten Journalisten wegen ihrer scheinbar gnadenlosen Gier nach immer neuen Fakten viel Kritik.

Zweifellos hat die moderne Medienwelt mit ihrer unerbittlichen Jagd nach skandalträchtigen Schlagzeilen ihre Schattenseiten. Gewiss müssen Journalisten sich immer wieder die kritische Frage stellen (lassen), ob sie der Gesellschaft nicht einen schweren Schaden zufügen, wenn am Ende niemand mehr mit Format und Ehre Lust hat, in unserem Land politische Verantwortung zu übernehmen. Und wir fordern ganz sicher von öffentlichen Menschen viel zu viel, wenn wir von ihnen ein permanent fehlerfreies und makelloses Leben verlangen.

Aber darf man von einem Bundespräsidenten nicht wenigstens die Wahrheit im Umgang mit Fehlern erwarten? Solange Journalisten sicher sein können, dass immer noch nicht alles gesagt und geschrieben ist, so lange werden sie weiterbohren. Das zeigt leider auch der Fall Wulff. Ständig kommen neue Details ans Licht, die man beim besten Willen nicht unter Attributen wie „aufgebauscht“ oder „unwichtig“ abhaken kann. Nein. Mit seiner nicht endenden Salamitaktik in Sachen Wahrheit liefert sich Wulff selbst scheibchenweise ans Messer. Bis er fürs Amt irgendwann nicht mehr tragbar ist.

Was in aller Welt hindert Politiker, in einer krisenhaften Situation daran, die Flucht nach vorn anzutreten und den Bürgern einfach komplett reinen Wein einzuschenken? Was sind das für Berater, die es nicht vermeiden können, dass sich ein Mann wie Wulff immer weiter in medialen Fallstricken verheddert – und das bei einem scheinbar so nichtigen Anlass wie dem Kredit für ein Einfamilienhaus? Erst die überraschend unprofessionelle Taktik des Politprofis Wulff machte die kleine Affäre endgültig zum großen Skandal. Und damit befindet er sich in bester Gesellschaft.

Die Krönung indes sind Wulffs Drohungen, die die Zeitung von der Veröffentlichung ihrer Rechercheergebnisse abhalten sollten. Mal abgesehen davon, dass es an politischer Dummheit kaum zu überbieten ist, ausgerechnet dem „Bild“-Chefredakteur die Warnung auch noch auf dessen Mailbox zu hinterlassen: Dieses Vorgehen zeigt auch ein merkwürdiges Verständnis des Bundespräsidenten von der Rolle der Medien und der Pressefreiheit. Wenn Zeitungen nette Bilder und Homestorys aus dem Hause Wulff verbreiten, werden sie zu willkommenen Verbündeten. Doch Politiker müssen sich darüber im Klaren sein, dass es Medien nicht nur für schönes Wetter gibt. Wer kritische Berichterstattung über die eigene Person und die eigenen Fehler nicht erträgt, der kann kein öffentliches Amt bekleiden.

Wulff rudert jetzt eilig zurück und rühmt die Pressefreiheit als hohes Gut. Das mag noch für kurze Zeit als Beruhigungspille reichen. Doch der Bundespräsident hat sich endgültig mitten hinein in eine Rücktrittsdebatte katapultiert.

E-Mail: manfred.ruch@rhein-zeitung.net