Kommentar: Zustände wie im alten Rom

Kommentar von unserem Redakteur Jochen Krümmel: Zustände wie im alten Rom

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Italien ist ein altes Land mit einer uralten Skandalgeschichte. Schon die Kaisergattin Messalina feierte ihre Orgien, und als ihr dieser Nervenkitzel nicht ausreichte, schlich sie nachts aus ihrem Palast, um sich in einer Spelunke in Rom als Hure zu verdingen.

Nie war Italien ein Land für Puritaner, dafür haben schon die Päpste der Renaissance mit ihren Großfamilien gesorgt. Alexander VI. übergab die Regierungsgeschäfte gern seiner Tochter Lucrezia, und Paul III. soll einen schwulen Sohn gehabt haben. Über das römische Babylon empörte sich der brave deutsche Mönch Martin Luther, die Römer empörten sich schon sehr viel weniger. Dass die Macht nicht von Moralaposteln besetzt wird, weiß man in Italien wirklich schon etwas länger.

Jetzt aber löst ein Skandal den anderen ab. Wie in einem billigen Groschenroman wird das Volk täglich mit einer neuen Folge um Ruby, Nadia & Co. versorgt. Silvio Berlusconi und die Justiz, das ist eine unendliche Geschichte. Neu sind allerdings die Anklagepunkte. Bezahlter Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch, das hat es in der langen Liste der Vorwürfe gegen Berlusconi und in Italiens Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben. Christdemokraten und Sozialisten mögen korrupt und bigott bis in die Knochen gewesen sein, nie aber ging es so peinlich und schmuddelig zu wie im Reich des alternden Berlusconi.

Dass der Lustgreis sich Frauen seines Geschmacks kauft, ist nicht strafbar, aber bei einem Regierungschef eben auch keine Privatsache. Das Problem ist, dass nicht nur die Italiener, sondern auch das Ausland längst die privaten Angelegenheiten Berlusconis interessanter findet als jene mutmaßlichen Delikte im Zusammenhang mit Berlusconi, die schon viel länger die Gerichte beschäftigen: Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, Bestechung. Das klingt nicht sexy, betrifft aber die Allgemeinheit. Ein Premier, der sich über dem Gesetz wähnt und der die Verfassung ändern will, um genau das zu zementieren, ist sehr viel gefährlicher für sein Land, als ein fünffacher Großvater, dessen Lustobjekte immer jünger werden.

Aalglatt und trickreich schafft es Berlusconi, die voyeuristische Öffentlichkeit mit „Bunga Bunga“ abzulenken von der existenziellen Krise ihrer Demokratie. Stattdessen bietet er Italien und der Welt eine tägliche Seifenoper, im Fernsehen wie in seinem eigenen Leben. Und schon redet keiner mehr über den Bürgerkrieg um die Müllentsorgung in Neapel. Oder über die Staatsverschuldung, die Jugendarbeitslosigkeit, die Neofaschisten in den Fußballkurven oder die Separatisten im Norden. Alles das ist nur noch Kulisse für die Berlusconi-Show. Und es ist naiv zu glauben, wir müssten nur nach der Fernbedienung greifen, um ihn endlich loszuwerden.

Im Gegenteil. So effizient die Mailänder Staatsanwälte auch arbeiten, so schnell der zuständige Ermittlungsrichter ihren Antrag jetzt auch lesen muss: Berlusconi ist von einem Urteil in diesem Fall so weit entfernt wie der Po vom Ätna. Dafür werden seine Anwälte wie gewohnt mit immer neuen juristischen Winkelzügen sorgen.

Nicht Richter und Staatsanwälte, die Wähler selbst müssten Berlusconi aus dem Amt jagen. Tun sie aber nicht. Denn weder in Berlusconis eigenem Lager noch in der Opposition ist eine Politikerin oder ein Politiker in Sicht, die oder der die alte Skandalnudel ablösen könnte. Solange sich die Konkurrenz aber gegenseitig zerfleischt, kann der „Cavaliere“ auch über den nächsten Prozess nur lachen.

E-Mail an: jochen.kruemmel@rhein-zeitung.net