Anwalt von Beate Zschäpe im RZ-INTERVIEW: Mittäterschaft ist „bislang nur eine These der Anklage“

Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, Koblenz
Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, Koblenz Foto: stahlvonderinger

Koblenz/München – Ist Beate Zschäpe (37) eine Neonazi-Terroristin, Drahtzieherin, Komplizin von Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos oder nur Mitläuferin des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)? Für den Koblenzer Anwalt Wolfgang Stahl, der Tschäpe beim OLG-Prozess in München vertritt, ist ihre Mittäterschaft an Morden und bewaffneten Raubüberfällen „bislang nur eine These der Anklage“. Und die hält er teilweise auch für konstruiert. Wir sprachen mit ihm über den größten Prozess seines Lebens und die Akte eines Jahrzehnts. Stahl erklärt Zweifel an der Anklage, Zschäpes Schweigen – und wie die Vorverurteilung ein faires Verfahrens erschwert.

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Koblenz/München – Ist Beate Zschäpe (37) eine Neonazi-Terroristin, Drahtzieherin, Komplizin von Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos oder nur Mitläuferin des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)? Für den Koblenzer Anwalt Wolfgang Stahl, der Tschäpe beim OLG-Prozess in München vertritt, ist ihre Mittäterschaft an Morden und bewaffneten Raubüberfällen „bislang nur eine These der Anklage“. Und die hält er teilweise auch für konstruiert.

Wir sprachen mit ihm über den größten Prozess seines Lebens und die Akte eines Jahrzehnts. Stahl erklärt Zweifel an der Anklage, Zschäpes Schweigen – und wie die Vorverurteilung ein faires Verfahrens erschwert.

Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, Koblenz
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Foto: stahlvonderinger

Die Anklage ist 488 Seiten stark, enthält 1654 Fußnoten. Die Hauptakte umfasst 587 Stehordner oder grob überschlagen 250 000 bis 300 000 Seiten, ohne Bei- und Altakten. Hinzu kommen zig Bände von Verschlusssachen, die nur bei Gericht einsehbar sind. Wie ist diese Dimension zu bewältigen?

In den Akten könnte man wohl ein ganzes Leben lesen. Meine Kollegin Anja Sturm hat ausgerechnet: Bei einer überdurchschnittlichen Lesegeschwindigkeit von einer Minute pro Seite wäre eine Person – wenn man acht Stunden pro Tag ununterbrochen liest – 525 Tage lang damit beschäftigt, sich den Akteninhalt von 250 000 Seiten zu erarbeiten.

Deshalb teilen sich auch drei Strafverteidiger das Pensum?

Selbst das ist schwierig, zumal jetzt nahezu täglich Schriftsätze des Oberlandesgerichts München eingehen. Die rund 50 Nebenkläger stellen umfangreiche Anträge. Wir sind ja auch nicht wie Staatsanwälte freigestellt. Wir können nicht einfach die Schilder

Wie kommt man zu so einem Mandat? Als Szene-Anwalt sind Sie nicht bekannt.

Ich arbeite seit Jahren mit meinem Kölner Kollegen Wolfgang Heer erfolgreich und gut zusammen. Er hat mich gefragt, ob ich bereit bin, die Verteidigung mit zu übernehmen. Auch Kollege Heer kam allein wegen seines Rufs als Strafverteidiger zu dem Mandat. Ich glaube, Justiz und Rechtsstaat können dankbar sein, dass in dem Verfahren Verteidiger tätig sind, die neutral und keine Gesinnung verteidigen. Auch für die Nebenkläger wäre es schwer zu ertragen, wenn Frau Zschäpe von Anwälten verteidigt würde, die das Verfahren instrumentalisieren.

Hatten Sie auch Zweifel?

Wegen des rechtsextremistischen Hintergrunds hatten wir natürlich auch die Sorge, dass man uns für bekennende Anwälte halten könnte, obwohl wir auch in anderen Fällen keine Gesinnung, sondern die Rechte eines Beschuldigten verteidigen. Aber erfreulicherweise hat die Öffentlichkeit sehr genau gesehen, dass wir ohne Ansehen der Person unserem verfassungsmäßigen Auftrag der Strafverteidigung nachkommen.

Gab auch die historische Dimension des Verfahrens den Ausschlag?

Für jeden Strafverteidiger ist ein solches Verfahren fachlich eine große Herausforderung. Ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft ist juristisch auf höchstem Niveau angesiedelt. Natürlich führt die Übernahme einer solchen Verteidigung auch zu Medienpräsenz. Die dadurch erlangte Bekanntheit als Verteidiger ist aber nicht nur Chance, sondern auch Risiko.

Haben Sie die Zusage angesichts des Aktenbergs auch schon bereut?

Wir konnten anfangs nicht ahnen, welche politischen Skandale neben den kriminalistischen Fehlern noch ans Licht kommen würden. Uns war auch zunächst nicht klar, dass derart viele Nebenkläger an dem Verfahren beteiligt sein würden. Deshalb haben wir im Sommer auch unsere Kollegin Anja Sturm gebeten, uns bei dieser Mammutaufgabe zu unterstützen.

Sind Sie Wahlverteidiger?

Im Moment ja. Weil Frau Zschäpe aber nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, ist uns wichtig, dass das Oberlandesgericht München jetzt feststellt, dass die notwendige Verteidigung nicht durch einen Pflichtverteidiger allein geleistet werden kann und mindestens drei erforderlich sind.

Ist Beate Zschäpe Drahtzieherin, Komplizin oder Terrorbraut?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich zu der Frage, ob und in welchem Umfang die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft berechtigt sind, hier keine Erklärung abgebe.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mittäterschaft an zehn Morden und 15 bewaffneten Raubüberfällen vor, zudem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, besonders schwere Brandstiftung und versuchten Mord in 25 Fällen, außerdem die Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen. Hat Sie die Wucht der Vorwürfe am Ende noch überrascht?

Uns war natürlich bewusst, dass man versuchen würde, eine Täterschaft unserer Mandantin für alle aufgedeckten strafbaren Handlungen argumentativ darzustellen. Eine mittäterschaftliche Beteiligung von Frau Zschäpe drängt sich aber aus den Akten nicht eben auf. Dass das maximal Mögliche angeklagt wird, ist vermutlich auch dem politischen und öffentlichem Aufklärungsdruck auf die Bundesanwaltschaft geschuldet. Wenn nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung angeklagt worden wären, wäre dies – ob nun berechtigt oder nicht – in der Öffentlichkeit wahrscheinlich auf Unverständnis gestoßen. Die Bundesanwaltschaft hat sich eventuell verpflichtet gesehen, dem Gericht die Entscheidung über die Strafbarkeit zu überlassen.

Warum halten Sie die Anklage für konstruiert?

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war Frau Zschäpe an keinem der Tatorte. Auch aktive Tatbeiträge waren nicht ermittelbar. Man muss argumentativ schon erhebliche „Klimmzüge“ machen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Frau Zschäpe die Taten als eigene wollte. Der Vorwurf der Mittäterschaft steht für uns daher auf sehr dünnen Beinen. Wir halten die These der Anklage für ausgesprochen gewagt.

Aber es gibt viele Indizien, die gegen Ihre Mandantin sprechen.

Keine Frage. Trotzdem bleibt die Anklage eine These, die zwar denkbar ist, aber keinesfalls zwingend die Wirklichkeit wiedergibt.

Unbestritten hat sie aber doch mehr als 13 Jahre mit Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos zusammengelebt.

Das ist für sich genommen aber nicht strafbar. Es ist schon sehr ambitioniert, zu behaupten, weil Frau Zschäpe unter anderem 13 Jahre lang im Untergrund gelebt habe, sei sie Mittäterin bei Morden, die nach den Ermittlungen aber von zwei anderen Menschen begangen worden sein sollen. Unter dem Begriff „Untergrund“ verstehe ich im Übrigen etwas gänzlich anderes, als unter falschem Namen in einem Mehrparteienhaus zu leben und zu allen möglichen Menschen – beispielsweise im Urlaub auf dem Campingplatz – völlig normale Kontakte zu unterhalten.

Aber stellt man sich nicht Fragen – auch die nach der Herkunft des Geldes oder der Gesinnung?

Unterstellt, das war so, wäre es nicht strafbar.

Und die Tatsache, dass Beate Zschäpe bei der Übergabe der Tatwaffe dabei gewesen soll?

Soll. Das ist auch ein Indiz, das der Generalbundesanwalt sehr stark gewichtet. Es beruht allerdings auf den Angaben eines seinerzeit noch inhaftierten und jetzt – nach seiner Aussage – wieder auf freiem Fuß befindlichen Mitbeschuldigten. Man wird diese Angaben kritisch zu prüfen und zu bewerten haben.

Ist für Sie denn auch strittig, dass Beate Zschäpe Bekennervideos verschickt und das Haus angezündet hat, in dem man zusammen lebte?

Aus dem Versenden eines Videos ist nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass der Versender den Inhalt kannte und sich diesen auch zu eigen gemacht hat. Das ist denkbar, vielleicht auch naheliegend, aber zweifelsohne auch noch nicht bewiesen.

Aus Ihrer Sicht stand der Ankläger unter politischem Druck. Erwarten Sie auch einen politischen Prozess?

Wir erwarten als Strafverteidiger definitiv keinen politischen Prozess und sind auch überzeugt davon, dass der Strafsenat des Oberlandesgerichts München dazu auch nicht ansatzweise bereit ist. Man darf aber nicht vergessen, dass die Nebenkläger ein Recht darauf haben, in der Hauptverhandlung Fragen nach den Hintergründen der angeklagten Taten zu stellen, und dass es – Stichwort Verfassungsschutz – auch politische beziehungsweise behördliche Aspekte gibt, die zu problematisieren sein werden. Für die Verteidigung steht das nicht im Fokus. Aber ich gehe fest davon aus, dass die Nebenkläger auf diese Fragen Antworten erwarten.

Spielen Sie auf Kassel an, wo ein Verfassungsschützer annähernd zur Tatzeit am Tatort war?

Derartige „Zufälle“ lassen – auch wenn heute alles nachträglich aufgeklärt zu sein scheint – schon aufmerken. Deshalb stellen Nebenkläger sicher auch dazu ihre Fragen. Die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse werden für uns insofern eine Rolle spielen, wenn sich herausstellt, dass bei Verfassungsschutzämtern auch Akten geschreddert worden sind, die möglicherweise Entlastendes für unsere Mandantin enthalten haben.

Sie und Ihre Kollegen haben gesagt: „Wir sorgen dafür, dass Frau Zschäpe einen fairen Prozess bekommt.“ Haben Sie Zweifel an dieser Selbstverständlichkeit oder am Gericht?

Ich habe keinerlei Veranlassung, Zweifel an den beteiligten Richtern zu äußern. Aber eines ist doch klar: In den Medien wird deutschlandweit schon seit einem Jahr – bedauerlicherweise veranlasst durch ein Vorpreschen der Ermittlungsbehörden – unter anderem von einer Mörderbande gesprochen. Diese Dimension der Vorverurteilung macht es jedem Richter ausgesprochen schwer, noch unvoreingenommen einer Angeklagten entgegenzutreten. Das wird ein großes Problem sein. Denn die durchaus vorhandenen Zweifel an der Richtigkeit des Tatverdachts tauchen nicht gleichrangig in einer Ermittlungsakte auf, wenn in eine bestimmte Richtung ermittelt und ein roter Faden verfolgt wird. Das gibt es auch in anderen Fällen. Aber hier kommt eine öffentlichkeitswirksame Vorverurteilung hinzu, die ein faires Verfahren für alle Beteiligten ungemein erschwert.

Was entlastet denn Beate Zschäpe?

Darüber werde ich in der Öffentlichkeit nicht reden. Aber es existiert eine Vielzahl auch der Bundesanwaltschaft bekannter entlastender Fakten.

Weil die Taten so unbegreiflich sind, würden sich nicht nur Angehörige der Opfer erhoffen, dass Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht und das Warum hinter den Taten erklärt. Können Sie dies verstehen?

Absolut. Aber auch nur unter der Prämisse, dass die Rolle, die ihr die Bundesanwaltschaft zugedacht hat, zutrifft. Denn nur unter dieser Voraussetzung wäre Frau Zschäpe überhaupt in der Lage, Aufklärendes beizutragen. Aber für die Mandantin geht es darum, dass für sie die höchste Sanktionierung des deutschen Strafrechts im Raume steht: die lebenslange Freiheitsstrafe mit dem Risiko der anschließenden Sicherungsverwahrung. Selbst wenn ein Mandant in dieser Situation den inneren Drang spürt, Dinge aufzuklären und richtigzustellen, muss jeder Verteidiger zur absoluten Vorsicht raten und alle prozessualen Mittel eines Angeklagten sorgsam auswählen. Dazu gehört auch das Recht, zu schweigen. Das ist in dieser Konstellation der richtige Weg. Das sieht auch die Mandantin selbst so. Sie will schweigen.

Die mögliche Strafmilderung ist kein Anreiz?

Sie zielen auf die im Volksmund sogenannte Kronzeugenreglung ab, nach der ein bei der Aufklärung behilflicher Beschuldigter bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens eine erhebliche Strafminderung erfahren kann. Darüber entscheidet das Gericht und nicht der Generalbundesanwalt, der schon früh erklärt hat, das sei mit ihm nicht zu machen. Aber es gilt auch die Frage abzuwägen: Was passiert einer Angeschuldigten in einem Verfahren, in dem es nur Indizien gibt? Öffnet man einem Gericht Tür und Tor, mit der Aussage zu machen, was es will? Das Gericht kann der Aussage Glauben schenken, es aber auch lassen und sie als Schutzbehauptung werten. Schweigen ist einem Angeklagten nicht vorzuhalten. Ihm kann man auch rein gar nichts für einen Schuldspruch entnehmen. Und das ist auch gut so.

Das Gespräch führte Ursula Samary