Washington

Aus für Netzneutralität steht bevor: USA droht das Zweiklasseninternet

Von Thomas Spang
Für die Privilegierten einen schnelle Datenübertragung, für die anderen ein Netz im Schneckentempo: Kommt bald das Zweiklasseninternet?
Für die Privilegierten einen schnelle Datenübertragung, für die anderen ein Netz im Schneckentempo: Kommt bald das Zweiklasseninternet? Foto: imago

Dem Mittelständler Clayton Cowles verging die vorweihnachtliche Freude gründlich, als er hörte, was Donald Trumps Mann für die Regulierung des Internets den Amerikanern kurz vor den Festtagen bescheren will. Der Chef der Federal Communications Commission (FCC), Ajit Pai, will die Ende der sogenannten Netzneutralität beschließen lassen.

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Die Folgen wären für Cowles gravierend: Cowles, der sein Geld im ländlichen Norden des Bundesstaats New York als Freiberufler mit Zeichnungen für Comicverlage verdient, fürchtet, dass dann die Kosten für die Ausübung seines Geschäfts dramatisch steigen werden. Seine größte Sorge ist, dass sein örtlicher Internetanbieter (ISP) ein Netz der zwei Geschwindigkeiten schafft, beschwert er sich in der „New York Times“.

Tatsächlich könnte der lokale Internetanbieter dem Freiberufler Cowles nach Abschaffung der Netzneutralität höhere Gebühren abknöpfen, wenn er seine Zeichnungen in Höchstgeschwindigkeit durch das Netz zu seinen Kunden übertragen will. „Die haben hier so ziemlich das Monopol“, erklärt Cowles, warum ihm dann nichts anderes übrig bliebe, als zu zahlen. „Ich bin auf sie angewiesen.“

Das ist die Realität in rund einem Drittel der USA, wo die Bürger keinen oder nur einen Anbieter schneller Internetdienste haben. Oft genug handelt es sich dabei um ländliche Regionen, für die der Zugang zum Netz essenziell ist.

Die Behauptung von FCC-Chef Pai, die seit 2015 bestehenden Regeln der FCC unterdrückten den Wettbewerb, klingt in den Ohren von Cowles wie ein Hohn. „Welcher Markt?“, lautet die Antwort. Selbst in lukrativen Ballungsräumen wie New York, Washington oder Los Angeles sei es bestenfalls ein Oligopol, sagen Kritiker.

Wenn die FCC mit ihrer republikanischen Mehrheit kurz vor Weihnachten im Namen der Freiheit den Internet-Service-Anbietern maximale Flexibilität verschafft, können AT&T, Comcast und Verizon den Kunden nach Belieben in die Tasche greifen.

Die ISP erhielten dann weitgehend freie Hand, bestimmte Angebote zu bevorzugen und andere zu diskriminieren oder sogar ganz zu verbannen. Einzige Bedingung: Sie müssen ihre Eingriffe im Kleingedruckten kenntlich machen. Außerdem sollen die US-Bundesstaaten daran gehindert werden, die Deregulierung zu unterlaufen.

„Die Kunden werden höhere Preise bezahlen“, sagt Branchenanalyst Roger L. Kay voraus. Das sei weniger ein Problem für große Inhalte-Anbieter wie Google, Netflix oder Facebook, sondern mehr eines für kleine Unternehmer und die Endverbraucher. Die geschmähten ISPs geloben derweil hoch und heilig, sie dächten nicht im Traum daran, den Zugang zu verlangsamen. Das sei kein gutes Geschäftsmodell, heißt es. Comcast-Chef David N. Watson versprach, sein Konzern werde „rechtmäßige Inhalte weder blockieren, noch ihre Geschwindigkeit drosseln oder sie anders diskriminieren“. AT&T teilte mit, es wäre dumm zu versuchen, so etwas zu tun.

Doch die Kundschaft glaubt das nicht. Mehr als 500 mittelständische Unternehmen schrieben an die FCC und forderten, die Netzneutralität zu belassen. Alles andere sei ein Desaster für eine Wirtschaft, in der acht von zehn Unternehmen Familienbetriebe seien. Corynne McSherry von der „Electronic Frontier Foundation“ sagt, selbst wenn die Internetanbieter gegen Bezahlung „Überholspuren“ auf der Datenautobahn einrichten, ohne den übrigen Verkehr zu verlangsamen, würden Start-ups, Freiberufler und öffentliche Nutzer wie Bibliotheken und Schulen am Ende ausgebremst. McSherry fürchtet eine Zukunft, „in der nur die größten Internet-, Kabel- und Telefonanbieter bestehen können“. Geschwindigkeit macht den Unterschied. Darauf deutet auch eine von Google finanzierte Studie hin. Demnach verabschiedet sich mehr als die Hälfte aller Besucher von einer Internetseite, die mehr als drei Sekunden Ladezeit benötigt.

Sollte die FCC Mitte Dezember die Deregulierung beschließen, erwarten Analysten auch Auswirkungen auf andere Länder. Und wenn es nur durch den Nachahmungseffekt sei.

Von unserem USA-Korrespondenten Thomas Spang

Kommentar: Das ist nicht das Ende des Internets

Wird das Internet teurer? Wird es nicht mehr frei sein, weil Telekom und Co. über die Inhalte bestimmen? Droht gar das Ende des Internets, wie wir es kennen?

Jochen Magnus zur Debatte über Netzneutralität

Noch gilt die Netzneutralität: Alle Daten werden gleich behandelt. In der EU können klar beschriebene Ausnahmen für „Überholspuren“ genehmigt werden, denkbar für Telemedizin oder den Datenverkehr selbstfahrender Autos, undenkbar aber für gewöhnliche Inhalteanbieter, wie zum Beispiel einen Videoverleih. Wenn die Netzneutralität in den USA bald wegfällt, können dort die „Spediteure“ der Daten, die Internetprovider, bestimmen, ob und zu welchem Preis sie Daten versenden. Bestimmte Dienste, vielleicht WhatsApp und Facebook oder Netflix und Spotify, wären aufpreispflichtig. Oder die Anbieter von Inhalten schließen einen Deal mit den Providern, damit ihre Angebote bevorzugt durch Leitungen und Mobilfunk transportiert werden: Ja, in den USA wird das Internet vermutlich teurer.

Es wird auch nicht mehr so frei sein wie heute. Denn für Neueinsteiger, Start-ups, heißt es dann: Ohne Moos nichts los. Missliebige, kritische Inhalte könnten auch einfach unterdrückt werden. Die Gerichte in den USA werden viel beschäftig werden, denn hinter den Kulissen tobt ein Kampf des Big Business. Alteingesessene Telekomkonzerne wie AT&T stehen Trump nahe – sie wollen ein größeres Stück vom Billionen-Dollar-Internetkuchen. Das fortschrittshungrige Silicon Valley dagegen wählt Demokraten. Dort ansässige Firmen wie Ebay, Google und Netflix wären ohne freies, neutrales Netz niemals groß geworden.

Für Europa heißt es auch hier: Ausharren, bis ein hoffentlich wieder zur Vernunft gekommenes Amerika das Trump'sche Chaos aufräumt. Bis zur US-Wahl 2020 werden die recht stabilen Dämme, die erst kürzlich um die Netzneutralität in Europa hochgezogen wurden, halten. Der EU und unseren Netzaktivisten sei dank.

Der freie und faire Netzzugang für alle

Der Begriff der Netzneutralität geht auf Tim Wu von der Columbia University in New York zurück. Der Rechtswissenschaftler beschrieb 2003 damit die Idee, das Internet als Datenautobahn zu begreifen, die sich den Nutzern gegenüber neutral verhält. Es dauerte bis 2015, als Barack Obamas FCC-Chef Tom Wheeler diese Grundsätze in einer bis heute geltenden Richtlinie festschrieb.

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Diese garantiert den freien und fairen Zugang zum Internet für alle Nutzer. Die Internet-Anbieter wehrten sich mit dem Argument gegen die Netzneutralität, dass dies Innovationen verhindere. Große Inhalte-Anbieter wie Google, Netflix und Facebook finden sich auf der anderen Seite wieder. Wie der Mittelstand und die Endverbraucher fürchten auch die Riesen, künftig stärker zur Kasse gebeten zu werden.
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