Aus für Netzneutralität steht bevor: USA droht das Zweiklasseninternet
Die Folgen wären für Cowles gravierend: Cowles, der sein Geld im ländlichen Norden des Bundesstaats New York als Freiberufler mit Zeichnungen für Comicverlage verdient, fürchtet, dass dann die Kosten für die Ausübung seines Geschäfts dramatisch steigen werden. Seine größte Sorge ist, dass sein örtlicher Internetanbieter (ISP) ein Netz der zwei Geschwindigkeiten schafft, beschwert er sich in der „New York Times“.
Tatsächlich könnte der lokale Internetanbieter dem Freiberufler Cowles nach Abschaffung der Netzneutralität höhere Gebühren abknöpfen, wenn er seine Zeichnungen in Höchstgeschwindigkeit durch das Netz zu seinen Kunden übertragen will. „Die haben hier so ziemlich das Monopol“, erklärt Cowles, warum ihm dann nichts anderes übrig bliebe, als zu zahlen. „Ich bin auf sie angewiesen.“
Das ist die Realität in rund einem Drittel der USA, wo die Bürger keinen oder nur einen Anbieter schneller Internetdienste haben. Oft genug handelt es sich dabei um ländliche Regionen, für die der Zugang zum Netz essenziell ist.
Die Behauptung von FCC-Chef Pai, die seit 2015 bestehenden Regeln der FCC unterdrückten den Wettbewerb, klingt in den Ohren von Cowles wie ein Hohn. „Welcher Markt?“, lautet die Antwort. Selbst in lukrativen Ballungsräumen wie New York, Washington oder Los Angeles sei es bestenfalls ein Oligopol, sagen Kritiker.
Wenn die FCC mit ihrer republikanischen Mehrheit kurz vor Weihnachten im Namen der Freiheit den Internet-Service-Anbietern maximale Flexibilität verschafft, können AT&T, Comcast und Verizon den Kunden nach Belieben in die Tasche greifen.
Die ISP erhielten dann weitgehend freie Hand, bestimmte Angebote zu bevorzugen und andere zu diskriminieren oder sogar ganz zu verbannen. Einzige Bedingung: Sie müssen ihre Eingriffe im Kleingedruckten kenntlich machen. Außerdem sollen die US-Bundesstaaten daran gehindert werden, die Deregulierung zu unterlaufen.
„Die Kunden werden höhere Preise bezahlen“, sagt Branchenanalyst Roger L. Kay voraus. Das sei weniger ein Problem für große Inhalte-Anbieter wie Google, Netflix oder Facebook, sondern mehr eines für kleine Unternehmer und die Endverbraucher. Die geschmähten ISPs geloben derweil hoch und heilig, sie dächten nicht im Traum daran, den Zugang zu verlangsamen. Das sei kein gutes Geschäftsmodell, heißt es. Comcast-Chef David N. Watson versprach, sein Konzern werde „rechtmäßige Inhalte weder blockieren, noch ihre Geschwindigkeit drosseln oder sie anders diskriminieren“. AT&T teilte mit, es wäre dumm zu versuchen, so etwas zu tun.
Doch die Kundschaft glaubt das nicht. Mehr als 500 mittelständische Unternehmen schrieben an die FCC und forderten, die Netzneutralität zu belassen. Alles andere sei ein Desaster für eine Wirtschaft, in der acht von zehn Unternehmen Familienbetriebe seien. Corynne McSherry von der „Electronic Frontier Foundation“ sagt, selbst wenn die Internetanbieter gegen Bezahlung „Überholspuren“ auf der Datenautobahn einrichten, ohne den übrigen Verkehr zu verlangsamen, würden Start-ups, Freiberufler und öffentliche Nutzer wie Bibliotheken und Schulen am Ende ausgebremst. McSherry fürchtet eine Zukunft, „in der nur die größten Internet-, Kabel- und Telefonanbieter bestehen können“. Geschwindigkeit macht den Unterschied. Darauf deutet auch eine von Google finanzierte Studie hin. Demnach verabschiedet sich mehr als die Hälfte aller Besucher von einer Internetseite, die mehr als drei Sekunden Ladezeit benötigt.
Sollte die FCC Mitte Dezember die Deregulierung beschließen, erwarten Analysten auch Auswirkungen auf andere Länder. Und wenn es nur durch den Nachahmungseffekt sei.