St. Goarshausen

Tankschiff ins Unglück geschwappt? – Schiffer spekulieren über Ursache

Die Waldhof in ruhigem Fahrwasser: Ein Foto, das im Juni 2009 bei Mainz aufgenommen wurde, als das Tankschiff in gleicher Richtung unterwegs war wie auch bei dem verh&auml;ngnisvollen Ungl&uuml;ck. Weitere Bilder gibt es im <a href="http://www.binnenschifferforum.de/forum/showthread.php?7201-Waldhof-TMS-04607590" target="_blank">Binnenschifferforum</a>. Foto: reanna
Die Waldhof in ruhigem Fahrwasser: Ein Foto, das im Juni 2009 bei Mainz aufgenommen wurde, als das Tankschiff in gleicher Richtung unterwegs war wie auch bei dem verhängnisvollen Unglück. Weitere Bilder gibt es im Binnenschifferforum. Foto: reanna

Wie kann ein Tankschiff auf dem Rhein auf die Seite kippen? Während die Behörden die Frage zurückstellen, wird sie in Kreisen der Binnenschiffer bereits rege diskutiert. Eine mögliche Antwort könnte Folgen auch für viele andere Schiffe haben.

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St. Goarshausen – Wie kann ein Tankschiff auf dem Rhein auf die Seite kippen? Während die Behörden die Frage zurückstellen, wird sie in Kreisen der Binnenschiffer bereits rege diskutiert. Eine mögliche Antwort könnte Folgen auch für viele andere Schiffe haben.

Früh am Sonntagmorgen war das THW Bendorf wieder im Einsatz, um die Binnenschiffe im Stau vor der Loreley mit Trinkwasser und Lebensmitteln zu versorgen.

Suzanne Breitbach

Nach Auskunft der Ehrenamtlichen sollen sie bis Freitag noch Dienst tun und ihre zwei 70 PS starken Außenbordmotoren in der starken Strömung anwerfen.

Suzanne Breitbach

Nach dem Schiffsunglück im Rhein warten über 200 Schiffe auf die Weiterfahrt. Auf einigen geht inzwischen Essen und Wasser aus.

dpa

Hilfsdienste wie das THW versorgen die Bootsleute vom Ufer aus, das herrschende Hochwasser auf dem Rhein macht derzeit alles schwieriger.

Suzanne Breitbach

Nach der Havarie des Schwefelsäure- Tankschiffs am Donnerstag stauen sich auf dem Rhein, hier an der Uferstraße bei Bad Salzig, die mit Containern beladenen Frachtschiffe.

Thomas Frey, dpa

Frischwasser wurde am Samstagnachmittag im Hafen Hunt in St. Goar durch das THW in den Tank an Bord des Bootes verladen ebenso wiee Lebensmittel, um die Rheinschiffer, denen die Reserven knapp wurden, zu versorgen.

Suzanne Breitbach

Erste Auswertungen zeigen, dass das Schiff völlig normal gefahren war, bevor es am frühen Donnerstagmorgen vom Radar verschwand. Seither liegt es – nun eingermaßen stabil fixiert – im Rhein.

dpa

Zu den vermissten Männern des Tankers gab es Samstag einen ersten Hinweis: Eine Leiche im blauen Overall wurde von einer Fußgängerin in Hirzenach im Wasser treibend gesehen.

dpa

Warteschlange im Rhein: Erst frühestens am Montag können die ersten der rund 200 Schiffe die Unfallstelle an der Loreley vorbei an der TMS „Waldhof“ passieren.

dpa/Suzanne Breitbach

Direkt vor der Loreley-Bronzestatue liegt der Havarist auf der Backbordseite. Freiwillige Schiffer sollen sich beim Wasser- und Schiffahrtsamt Bingen melden, die dann zunächst testweise und kontrolliert an der TMS „Waldhof“ vorbeigeleitet werden.

Suzanne Breitbach

„Ich wusste, dass an der Loreley mal so etwas passiert“, sagt ein Kapitän und langjähriger Lotse unserer Zeitung. „Aber das will keiner hören.“ Aus Angst vor Repressalien will er Franz H. genannt werden. Es sind Spekulationen, die aber viele Binnenschiffer sehr ernst nehmen: Gibt es einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler?
Franz H., seit den 70er-Jahren auch als Schiffsführer von Tankern auf dem Rhein unterwegs, hat eine ziemlich genaue Vorstellung, wie es zum Unfall gekommen sein könnte. Seine Erklärung deckt sich mit den Einschätzungen, die auch Tankerkapitäne im Binnenschifferforum im Internet äußern. Die beiden Geretteten haben offenbar noch keine Angaben gemacht, die den Unfall erklären könnten.
Die Version, die Franz H. und andere Kapitäne für wahrscheinlich halten: Die „Waldhof“ fährt an Oberwesel vorbei, 20 Kilometer pro Stunde darf sie schnell sein, die starke Strömung durchs Hochwasser gibt Schub. An den aus dem Wasser ragenden Felsen beim „Geisenrücken“ fährt sie durch die scharfe Linkskurve am „Kammereck“. Die Schwefelsäure schwappt nach rechts, auf die Steuerbordseite. Das Schiff schöpft zwar mit 2377 Tonnen Schwefelsäure das maximale Ladegewicht fast aus, in den sieben Kammern füllt die Säure, die viel schwerer ist als Wasser, den Laderaum aber längst nicht. „Manche Schiffer beladen deshalb dann nur einige Kammern, die dann aber voll“, sagt H.
Auf einigen Hundert Metern Gerade hat die Ladung Zeit, sich wieder etwas auszupendeln. Aber dann folgt „Betteck“, die nächste scharfe Linkskurve. Wieder schwappt die Ladung, das Schiff neigt sich zur Seite. Vielleicht verfestigt sich auch ein Teil der Ladung am kalten Metall weiter oben – bei Werten unter 10 Grad wird Schwefelsäure hart. Die Loreley kommt, scharf rechts geht es. Hinter der Loreley muss die nächste Linkskurve eingeleitet werden. Erwischt die „Waldhof“ die Kurven genau so, dass sich die Flüssigkeit aufschaukelt und das Schiff dann stark nach Backbord „krängend“, also mit Schlagseite, mit der Steuerbordseite quer zur Strömung gerät und nun vollends umkippt?
Die „Waldhof“ ist ein Doppelhüllentanker, ein modernes Schiff. Und dennoch: „Als ich erstmals mit einem solchen Tanker gefahren bin, fand ich es kriminell, wie er in die Knie geht“, sagt Franz H. „Diese Tankschiffe bräuchten ein Längsschott, eine Schwallwand.“ Wenn die Tankkammern in der Mitte unterteilt sind, kann Flüssigkeit nicht frei von der einen zur anderen Schiffsseite schwappen. Doch die Umrüstung sei teuer und könne pro Schiff in den sechsstelligen Bereich gehen, sagt Kapitän H.
Der Sprecher der Einsatzleitung, Uwe Gilberg-Rindsfüßer, sagt, man sei „mit den Hinweisen auch schon konfrontiert“ worden. „Das ist aber nichts, womit wir uns derzeit befassen.“ Die Staatsanwaltschaft Koblenz gibt sich bedeckt. Sie macht nicht einmal Angaben, wer zur Unglückszeit das Schiff führte – einer der beiden Geretteten oder einer der beiden noch Vermissten. Die Geretteten sollen bei einer Vernehmung aber zum Hergang wenig gesagt haben. Untersuchungen am Schiff werden erst nach der Bergung möglich sein.

„Bis zur Hebung des Schiffes ist alles nur Spekulation“, meint Hans Wasserburger aus Oberwesel, gelernter Schiffsführer und Inhaber des Rheinpatents. Der 68-Jährige hat noch eine andere Erklärung: Das Schiff könnte zwischen Bacharach und Bingen eine Buhne (Landzunge) touchiert haben, ein Riss an der äußeren Schiffswand könnte entstanden sein. Die Folge: Wasser dringt im Leerraum zwischen Außenhaut und Ladung ein. Fest steht für ihn aber nur eines: „Es ist das Schlimmste eingetreten, was einem Schiffsführer passieren kann."

Die Zuständigkeit für die Abnahme von Schiffen ist ein Dickicht: Die Zentralstelle Schiffsuntersuchungskommission ist im Spiel, die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt – und private Klassifikationsgesellschaften wie die „Germanische Lloyd“, die zuletzt 2005 eine „umfangreiche“ Stabilitätsprüfung der „Waldhof“ durchgeführt hat. An Spekulationen will sich auch dort niemand beteiligen, aber Pressesprecher Olaf Mager räumt ein: „Es gibt eine gewisse Diskussion. Und es wird mit großer Spannung auf die Ergebnisse der Untersuchungskommission gewartet.“

Lars Wienand