Mainz

Die Qual der Wahl wird jetzt noch größer

Die Untreue-Vorwürfe gegen den CDU-Kandidaten Lukas Augustin haben die Lage vor der OB-Wahl verändert. Verschwörungstheorien stehen im Raum und die Frage, wie der Wähler reagiert.

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Mainz – Das Bekanntwerden von Untreue-Vorwürfen gegen den CDU-Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl, Lukas Augustin, und dessen öffentliches Bemühen um Aufklärung haben die Lage vor dem Urnengang am Sonntag urplötzlich verändert. Verschwörungstheorien stehen ebenso im Raum wie die Frage, wie der Wähler, das unbekannte Wesen, jetzt reagiert.

Augustins Konkurrenten halten sich mit Äußerungen wohlweislich zurück – sei es, weil sie fürchten, dass der Wähler-Unmut die Politik als Ganzes trifft, oder um nicht in den Ruf zu geraten, bei einem vermeintlich oder tatsächlich geschwächten Konkurrenten noch nachzutreten. Von derlei Politikverdrossenheit wollen wiederum die Bewerber kleiner Parteien profitieren.

Die Kandidaten für die OB-Wahl in Mainz (im Uhrzeigersinn): Günter Beck (Grüne), Klaus Bohland (parteilos), Lukas Augustin (CDU), Matthias Hepner (Piraten), Heinz-Werner Stumpf (Pro Mainz), Rainer Riemann (parteilos), Michael Ebling (SPD) und Claudius Modeler (ÖDP).
Die Kandidaten für die OB-Wahl in Mainz (im Uhrzeigersinn): Günter Beck (Grüne), Klaus Bohland (parteilos), Lukas Augustin (CDU), Matthias Hepner (Piraten), Heinz-Werner Stumpf (Pro Mainz), Rainer Riemann (parteilos), Michael Ebling (SPD) und Claudius Modeler (ÖDP).
Foto: dpa

Der Mainzer CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Reichel vermutet eine gezielte Durchstecherei aus den Reihen politischer Gegner. „Ich habe sehr deutliche Hinweise, dass es eine Intrige ist“, bekräftigte Reichel gegenüber MRZ. Er habe Hinweise auf eine bestimmte Person, die er noch nicht nennen könne. Sollte sich dies aber bestätigen, will Reichel vor einer mutmaßlich zwischen Michael Ebling (SPD) und Günter Beck (Grüne) stattfindenden Stichwahl am 25. März eine persönliche Wahlempfehlung abgeben.

„Wenn ich weiß, wer dahinter steckt, werde ich nicht zulassen, dass der entsprechende Kandidat davon profitiert“, sagt Reichel. Gleichzeitig stellt er klar: Informationen über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der dienstlichen Nutzung eines Volvo XC 90 als Geschäftsführer der Ingelheimer Stadtentwicklungsgesellschaft (Segi) seien nicht von deren Vorstandschef, dem Ingelheimer OB Ralf Claus (SPD), gekommen.

Dass es sich um eine missgünstige Kampagne zwischen Gruppen innerhalb der CDU handeln könnte – wie andere mutmaßen, übrigens nicht nur außerhalb der CDU – schließt Reichel kategorisch aus. Sein Kreisverband habe als einziger den OB-Kandidaten in einem Auswahlverfahren bestimmt, auch wenn dies „nicht optimal gelaufen“ sei. Am Schluss habe der Kreisverband geschlossen hinter Augustin gestanden und tue dies weiterhin. Auf seinen Wahlkampfveranstaltungen habe Augustin viel Unterstützung gespürt. In der Krisensitzung des erweiterten CDU-Vorstands mit der gesamten Stadtratsfraktion am Mittwoch Abend habe Augustin zugegeben, Fehler gemacht zu haben, aber „eher aus Schusseligkeit“. Den Wahlkampf einzustellen, sei in dem Gremium keine Option gewesen: „98 Prozent waren von Anfang an dafür, den Wahlkampf zu Ende zu führen“, versichert Reichel. Bei der abschließenden Solidaritätsbekundung für den Kandidaten habe zuletzt nur eine Stimme gefehlt: Augustin selbst und der hat sich enthalten.

Die CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner, die am Zustandekommen von Augustins Kandidatur beteiligt gewesen sein soll, unterstütze Augustin weiterhin, heißt es aus ihrem Umfeld. Ansonsten nehme sie als Landespolitikerin generell nicht Stellung zum Verlauf von kommunalen Wahlkämpfen. Michael Ebling „will das alles nicht bewerten“, sagt der bisher in Umfragen führende SPD-Kandidat. Sein Wahlkampf gehe unverändert weiter. „Wir haben bis jetzt eine sachorientierte Auseinandersetzung geführt und das werde ich weiter tun.“ Er gehe aber „mit einem guten Gefühl“ in den Sonntag. Ob vielleicht doch ein Wahlgang reicht, das „werden die Wähler entscheiden“.

Eblings Wahlkampfmanager kann da schon deutlicher werden: Er glaube, dass die Wähler von Augustin noch mehr Aufklärung erwarten, sagt Thomas Hauf, stellvertretender SPD-Unterbezirksvorsitzender in Mainz. So müsse Augustin alle Belege für seine Barentnahmen in Höhe von 6000 Euro aus der Segi-Kasse nachliefern.

Grünen-Bewerber Günter Beck, in Umfragen Ebling zuletzt hart auf den Fersen, will sich nicht äußern. Der Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Ansgar Helm-Becker ist aber schon der Ansicht, dass unter den veränderten Umständen bereits der erste Wahlgang am Sonntag den Charakter einer Stichwahl zwischen Beck und Ebling bekommen könnte. „Bis dahin bündeln wir alle Kräfte“, aber ohne auf Augustin Bezug zu nehmen. „Jetzt liegt er am Boden, warum sollten wir auf ihm herumtreten?“ In den letzten Wahlkampfstunden gehe es darum, darzustellen, dass Günter Beck einer ist, „der Mainz gut tut“.

Dagegen können sich die Außenseiterkandidaten ganz andere Töne leisten. Claudius Moseler (Ökologisch-demokratische Partei / Freie Wähler) möchte die Vorgänge um Dienstwagenrechnungen nicht bewerten, fischt aber mit seiner „Forderung nach einer neuen politischen Kultur“ nach jenem Wählerpotenzial, das genug hat von „Mainzer Verhältnissen“: Die Wähler sollten am Sonntag „das gesamte Spektrum der Kandidaten ernsthaft betrachten“.

Matthias Heppner fordert in Übereinstimmung mit dem Programm der Piratenpartei die gläserne Verwaltung: „Alle Finanz- und Kontotransaktionen der Stadt und der stadtnahen Gesellschaften müssen öffentlich einsehbar und überprüfbar sein.“ Trotzdem warnt er davor, über Augustin den Stab zu brechen: Es dürfe keine Vorverurteilung geben. Und die Segi müsse offen legen, dass es sich „bei der Bekanntgabe so kurz vor der Wahl nicht um parteipolitische Taktik aus dem SPD-Umfeld handelt“. Claudia Renner