Rheinland-Pfalz

RZ-INTERVIEW: Industrie- und Handelskammern mit rot-grüner Landesregierung unzufrieden

Die rot-grüne Landesregierung will den defizitären Hunsrück-Flughafen aus seinen finanziellen Nöten befreien und ihm einen Großteil seiner Schuldenlast nehmen.
Die rot-grüne Landesregierung will den defizitären Hunsrück-Flughafen aus seinen finanziellen Nöten befreien und ihm einen Großteil seiner Schuldenlast nehmen. Foto: Werner Dupuis

Vor ihrem Neujahrsempfang der Wirtschaft kritisieren der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), Manfred Sattler, und Hauptgeschäftsführer Arne Rössel im Interview mit unserer Zeitung die rot-grüne Landesregierung. Sie hoffen auf „den Neustart“ mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), auch beim Flughafen Hahn.

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Das Interview im Wortlaut:

Wie geht es der Wirtschaft in der Region Mittelrhein generell?

IHK-Hauptgeschäftsführer Arne Rössel
IHK-Hauptgeschäftsführer Arne Rössel
Foto: Benjamin Stöß

Sattler: Sie ist erfreulich robust. Nach unserer aktuellen Konjunkturumfrage herrscht verhaltener Optimismus. Man wartet noch Rahmenbedingungen der Politik ab.

Welche Branchen blicken besonders optimistisch in die Zukunft?

Sattler: Da ragt nicht nur eine einzelne Branche heraus, mit seinen Investitionen vielleicht der Bereich Umwelt und Energie etwas. Der Maschinenbau scheint gefestigt. Handel und Dienstleistung halten das Niveau.

Welche Branchen haben Sorgen?

Sattler: Besondere Sorgen hat keine Branche. Genaueres wird unsere nächste Konjunkturumfrage Anfang Februar zeigen.

In Rheinland-Pfalz regiert seit 2011 Rot-Grün. Wie kommt die Wirtschaft mit den neuen Machtverhältnissen klar?

Sattler: Die Wirtschaft ist nicht ganz zufrieden. Sie wünscht sich mehr Orientierung in Richtung Wirtschaft. Vor allem vom Wirtschaftsministerium fühlen wir uns als Vertreter der Wirtschaft vernachlässigt. Wir würden gern nicht nur über Energie sprechen, sondern auch über wirkliche Wirtschaftsthemen.

Ministerin Lemke ist doch eine freundliche und immer gesprächsbereite Persönlichkeit.

Sattler: Das ist sicherlich richtig. Aber uns beschäftigen wichtige Sachthemen, die angepackt werden müssen. Gespräche über die Infrastruktur beispielsweise scheitern immer sofort an der Ideologie und Aussagen wie: Wir wollen und brauchen keine neuen Straßen. Solche Themen werden schnell beiseitegeschoben – leider auch unbeachtet.

Was ärgert Sie denn zum Beispiel besonders?

Sattler: Mich ärgert, dass ich als Unternehmer, der verantwortlich ist für fast 400 Mitarbeiter, keine Beispiele sehe, wie der Staat künftig kostengünstiger funktionieren kann und will. Die Politik hat immer nur die Einnahmeseite im Blick und schaut, wie sie von Bürgern und Firmen noch mehr Geld bekommt, um steigende Kosten zu decken. Es gibt aber die ganz große Aufgabe, den Staat durch Aufgabenkritik und Bürokratieabbau günstiger zu machen.

Wie könnte sich der Staat schlanker aufstellen?

Sattler: Das beginnt schon bei der Definition von Mindeststandards. Viele Anforderungen an Bauten beispielsweise sind schlichtweg überzogen. Daher werden öffentliche Bauten in der Regel auch viel teurer als private. Da könnte man eine ganze Menge tun, sich auch an Nachbarstaaten orientieren.

Setzen höhere Grunderwerbsteuer, neuer Wassercent oder die steigenden kommunalen Steuern und Abgaben den Unternehmen gravierend zu?

Sattler: Jede einzelne Position für sich ist vielleicht kein so großes Problem. Aber in der Summe führt dies zu einer enormen Kostensteigerung. Und die verteuert letztlich auch die Produkte. Damit stellt sich die Frage, wie wettbewerbsfähig rheinland-pfälzische Unternehmen national und international noch sind – um Produkte wie Dienstleistungen zu verkaufen und bei uns auch Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem wird die Krisenresistenz der Unternehmen geschwächt.

Knapp zwei Jahre Rot-Grün: Hat die Wirtschaft Bilanz gezogen, was dies für sie bedeutet hat?

Rössel: Wir haben eine Zwischenbilanz gezogen, weil wir der neuen Ministerpräsidentin nicht nur Gutes wünschen, sondern auch hilfreich zur Seite stehen wollen. Aber: Die Zwischenbilanz fällt sehr negativ aus. Wir haben den Eindruck, dass sich die Wettbewerbsposition des Landes verschlechtert hat. Wir hoffen, dass mit dem Neustart die Wirtschaft wieder mehr in den Fokus kommt und sich die Landespolitik darauf konzentriert, die Wettbewerbsfähigkeit wieder zu verbessern.

Das Land hat eine Energieagentur gegründet, um Wirtschaft und Kommunen zu beraten. Wie beurteilen Sie dies?

Sattler: Diese Agentur ist aus Sicht der Wirtschaft nicht notwendig. Und: Das Geld für die neue Agentur wurde bei der Tourismusförderung gekürzt, wo es besser angelegt wäre. Denn es ist auch der Tourismus, der unser Land prägt und der noch stark ausbaufähig ist. Hier sind wir als IHK auch aktiv, um mit stärkerer Koordination noch weiter nach vorn zu kommen. Das Energiethema gehört mehr auf die Bundesebene.

Wie zufrieden sind Sie mit Konzepten des Landes, die den Flughafen Hahn sichern und für die Zukunft fit machen?

Sattler: Wir sind überhaupt nicht zufrieden mit der Taktik, die momentan an den Tag gelegt wird. Wir haben seit Langem betont, dass und wo gehandelt werden muss. Es gibt Daten, zu denen es für die Zukunftsfähigkeit des Flughafens sehr kritisch wird. Die Politik muss als Gesellschafter des Hahns endlich Entscheidungen treffen, um Bürgern, Kunden und Firmen eine Perspektive zu geben. Denn es sind bereits Abwanderungen zu verzeichnen. Es ist dringend notwendig, ein wirtschaftlich tragfähiges Gesamtkonzept auf der Basis der heutigen Marktlage zu erstellen. Dies wird sicher anders aussehen, als es vor 10 oder 15 Jahren der Fall war.

Es wird am Gesamtkonzept Mittelrhein gearbeitet. Läuft das besser?

Sattler: Wir warten ab, was im Masterplan Mittelrhein steht. Wir sind gespannt, wie die absolut notwendige Brücke berücksichtigt wird und wie die Region rechts und links des Rheins aus Sicht der Landesregierung eine positive Zukunft haben wird.

Steht eine Fusion an, oder bleibt es bei vier Kammern in Rheinland-Pfalz?

Sattler: Ausgehend von der bereits gelebten Arbeitsteilung gibt es derzeit keine Fusionsgespräche, aber Diskussionen über noch intensivere Zusammenarbeit. Mit der IHK Trier sehen wir bereits Rationalisierungseffekte, die wir auch realisieren wollen. Da gibt es sicher noch mehr Potenzial. Diese Chancen wollen wir auch mit den IHKs im Süden ausloten.

Die IHK hat stürmische Zeiten hinter sich. Wie steht sie 2013 da?

Sattler: Die IHK Koblenz hat sich in den vergangenen zwei Jahren wesentlich verändert. Wir haben eine andere Kultur, neue Verantwortlichkeiten und Aufgaben definiert und Leistungen mit anderen IHKs verglichen. Wir haben die Beiträge erneut senken können und die Verbindungen zu den Bildungszentren sehr transparent geregelt.

Herr Rössel, Ihr Vorgänger war oft publikumswirksam unterwegs. Sie eher nicht. Wie richten Sie Ihre Arbeit aus?

Rössel: Aus dem ersten Jahr ist nicht zu schließen, dass ich immer nur unauffällig unterwegs bin. Ich habe Freude daran, die IHK nach außen zu vertreten. Aber im ersten Jahr habe ich viel intern gearbeitet und zudem rund 150 Unternehmen besucht, um ein gutes Gefühl für die Region zu bekommen. Ich habe festgestellt, dass die Firmen durch die Bank gut unterwegs sind, dass die Unsicherheit über die politischen Rahmenbedingungen wächst, das Zutrauen in die Politik nicht gestiegen ist und die größte Herausforderung sicher in der Fachkräftesicherung gesehen wird.

IHK und Handwerkskammer (HwK) Koblenz luden über Jahre zum gemeinsamen Neujahrsempfang ein. Jetzt wollte die HwK ihren Empfang wieder allein ausrichten. Wie denken Sie darüber?

Sattler: Seit 2002 gab es den gemeinsamen Empfang. Ich fand dies gut und bin über die getrennten Wege nicht froh. Es ist die Entscheidung der Handwerkskammer, in ihrem neuen Gebäude lieber mit ihren Gästen unter sich zu sein. Wir haben dies zu akzeptieren. Aber wir hätten uns als Wirtschaft lieber gemeinsam mit der Handwerkskammer den Gästen präsentiert und mit ihnen diskutiert.

Das Gespräch führten Chefredakteur Christian Lindner und Ursula Samary