Berlin/Ankara

Wahl: Türken wählen fern der alten Heimat

Erdogan polarisiert sein Land Foto: dpa

Asim Tozoglu ist froh. Er will an der Präsidentenwahl in seinem Heimatland, der Türkei, teilnehmen und hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten dabei nur einen kurzen Weg zu bewältigen: von Frankfurt in den Stadtteil Höchst. In der dortigen großen Sporthalle können ab Ende Juli türkische Staatsangehörige aus drei Bundesländern ihre Stimme abgeben: aus ganz Hessen, aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz. Bisher mussten sie dazu eigens in die Türkei reisen.

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„Es ist gut, wenn man sein demokratisches Recht ausüben kann“, sagt Tozoglu, der in Frankfurt als Steuerberater arbeitet und 1979 nach Deutschland kam. Die Politik in der Türkei ist ihm wichtig, weil er türkischer Staatsangehöriger ist und dort viele Verwandte hat. Der Präsident wird auch erstmals in direkter Wahl bestimmt, das findet er gut, denn das Volk hat so einen noch größeren Einfluss als bisher, denkt er.

Glaubt man Gökay Sofuoglu, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Deutschland, ist das große Interesse an der Politik in der Türkei kein Einzelfall. Seiner Meinung nach hat die Türkeipolitik für die Türken in Deutschland mehr Gewicht als die Politik hierzulande. Und er gibt daran auch der Integrationspolitik in Deutschland eine Mitschuld: „Das große Interesse an der Wahl ist ein Beleg dafür, dass die Politik versäumt hat, die Leute einzugliedern“, sagt er. „Als deutscher Politiker muss man sich Gedanken machen, warum fast eineinhalb Millionen Menschen in Deutschland plötzlich ein großes Interesse an einer Wahl irgendwo in der Welt haben, die sie gar nicht direkt beeinflusst.“ Hätte man den Türken die Einbürgerung erleichtert, wäre das Interesse an der Wahl in der Türkei längst nicht so groß. In Zukunft müssten die Menschen stärker in die Politik miteinbezogen werden, auch auf kommunaler Ebene.

Die Türkische Gemeinde rechnet mit einer Wahlbeteiligung von rund 70 Prozent der 1,5 Millionen türkischen Staatsbürger in Deutschland. „Die Wahl wird mit großer Spannung erwartet – viele Türken werden zum ersten Mal wählen gehen“, sagt Sofuoglu. Doch die Freude ist nicht ganz ungetrübt: „Wie die Wahl durchgeführt wird, enttäuscht jetzt viele“, sagte er. Das Prozedere sei kompliziert, die Zugangsbarrieren seien hoch: „Nehmen wir einen, der in Ulm wohnt: Der muss erst mal nach Stuttgart reisen, um sich im Konsulat zu registrieren. Dann muss er sich für einen Wahltermin anmelden und pünktlich in Karlsruhe erscheinen. Wenn er zu spät kommt, hat er's verpasst.“

Der Frankfurter Asim Tozoglu will diese Hürden überwinden und möglichst gemeinsam mit seiner Familie wählen gehen. „Wir sind froh, dass es so etwas gibt. Das ist ein guter erster Schritt.“ Denn bisher hat er die Wahlen verpasst – wenn er nicht gerade zufällig Urlaub in der Türkei gemacht hat.

Die Wahl findet in Frankfurt-Höchst an vier Tagen statt, beginnend am 31. Juli. Auch in sechs anderen deutschen Städten werden für die insgesamt rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten zentrale Wahllokale eingerichtet, darunter im Olympiastadion in Berlin. Insgesamt leben rund fünf Millionen türkische Staatsangehörige im Ausland.

Wie viele Wähler mitten in der Urlaubszeit nach Höchst kommen, ist völlig unklar. Das Frankfurter Generalkonsulat geht von bis zu 190 000 Wahlberechtigten in den drei Bundesländern aus. Generalkonsul Ufuk Ekici hat vorsorglich Hunderte Wahlhelfer engagiert und vom Frankfurter Wahlamt mehr als 100 Wahlkabinen ausgeliehen. Auch Sicherheitspersonal wird da sein. Zur Wahl aufgerufen worden sei in Zeitungen, über Facebook und Informationsblätter, sagt Ekici.

Das Wahlprozedere in Deutschland wird nun erprobt und bei Gelingen dann gleich im kommenden Jahr wieder angewandt, denn dann ist die nächste Parlamentswahl in der Türkei geplant. Ausgezählt wird in Ankara, sagt der Generalkonsul: „Wir schicken die Umschläge mit den Stimmen dorthin.“ In der Türkei selbst findet die Präsidentenwahl am 10. August statt, unter anderen tritt der islamisch-konservative Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an. Erdogan, der als Favorit gilt, und andere Kandidaten für das einflussreiche Amt haben auch mit umstrittenen Wahlkampfreden in Deutschland für sich geworben.

Trotzdem: Über die Möglichkeit, außerhalb der Türkei an der Wahl teilnehmen zu können, freut sich auch Haci Haciouglu, Taxifahrer aus Frankfurt. „Das kann die Entscheidung schon beeinflussen.“ Er selbst wird allerdings noch einmal in der Türkei seine Stimme abgeben, sagt der 50-Jährige, der seit fast 30 Jahren in Deutschland lebt: „Ich mache ohnehin vier Wochen Ferien, deshalb werde ich dort wählen.“

Lena Klimkeit/Isabell Scheuplein