RZ-KOMMENTAR: Schäubles Rückzug wäre tragisch

Von Christian Kunst

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Es gibt nicht mehr viele Politiker in Berlin, vor denen Vertreter aller Parteien großen Respekt haben und die für sie in hohem Maße glaubwürdig sind. Ex-SPD-Finanzminister Peer Steinbrück war vielleicht ein solches politisches Original – geradlinig, manchmal auch mit schnodderiger Schnauze, aber stets prinzipientreu hat er den Deutschen Halt in der Finanzkrise gegeben.

Auch sein Nachfolger Wolfgang Schäuble gehört zu diesem Typus einer aussterbenden Politikergeneration. Anders als viele Berufspolitiker, die nicht gerade besonders viel Lebenserfahrung ausstrahlen und oft abgehoben vom Volk sprechen, ist der 68-jährige Mann aus Nordbaden bodenständig geblieben. Und er weiß, was es bedeutet, im Leben ganz tief zu sinken, um sich dann wieder ganz nach oben zu kämpfen. Das merken die Menschen. So jemandem verzeihen sie auch, dass er in der Spendenaffäre der CDU eine eher zwielichtige Rolle gespielt hat.

Wer Schäuble einmal persönlich erlebt hat, der weiß, wie nah er den Menschen mit seinen Worten und seiner sehr persönlichen Art kommen kann, ohne sie zu bedrängen. Gerade wegen seiner hohen Glaubwürdigkeit ist es ein Jammer, dass er die politische Bühne vermutlich bald verlassen wird. Es hat schon etwas Tragisches, dass die Karriere Schäubles jetzt wegen der Spätfolgen eines Attentats zu enden droht. Ein Attentat, das ihn ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere ereilte – während des ersten gesamtdeutschen Wahlkampfs, den er als Verhandler der Deutschen Einheit erst ermöglicht hatte. Anstatt die Segel zu streichen und sich in die Privatsphäre zurückzuziehen, arbeitete er sich mit fast selbstzerstörerischer preußischer Disziplin wieder hoch.

Wer solch ein Leben hinter sich hat, der will und wird sich nicht vorschreiben lassen, wann er sein Amt verlässt. Zu Recht. Doch sollte man nicht vergessen, dass der Homo Politicus Schäuble auch ein gewiefter Taktiker ist. Deshalb munkelt man in Berlin, dass Schäuble die Schlagzeilen im „Stern“ bewusst lanciert hat, um den Boden für seinen Rücktritt zu bereiten. Vor 13 Jahren sagte er demselben Magazin die denkwürdigen Sätze: „Ein Krüppel als Kanzler? Ja, diese Frage muss man stellen.“ Kanzler ist der Mann aus Nordbaden bekanntlich nie geworden, auch wenn er wie wohl kaum ein anderer in der Union das Zeug dazu gehabt hätte. Doch Schäuble ist jemand, bei dem selbst die Kanzlerin davor zurückschreckt, ihn vom Sockel zu stoßen. Das können in der CDU nicht viele von sich behaupten.