Pegida in Dresden: Eine Stadt hält den Atem an

Nicht beherrschbares Risiko? Die Polizei hat die Pegida-Kundgebung am Montag in Dresden wegen Terrorgefahr untersagt. Das galt auch für die Gegendemonstrationen – wie etwa hier am 10. Januar vor der Frauenkirche.
Nicht beherrschbares Risiko? Die Polizei hat die Pegida-Kundgebung am Montag in Dresden wegen Terrorgefahr untersagt. Das galt auch für die Gegendemonstrationen – wie etwa hier am 10. Januar vor der Frauenkirche. Foto: dpa

Es ist seit Wochen der erste Montag ohne Zehntausende auf den Straßen. Die 13. Demonstration der Pegida-Bewegung gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ ist aus Angst vor islamistischen Terroranschlägen verboten worden, genau wie der Protest des Bündnisses „Dresden für alle“ gegen Pegida. Dresden bleibt dennoch im Ausnahmezustand. Ein Tag in einer gespaltenen Stadt.

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Unsere Berliner Korrespondentin Rena Lehmann berichtet aus der Stadt Dresden

Am Hauptbahnhof der sächsischen Landeshauptstadt ist gerade der 23-jährige Philosophiestudent Eric Hattke angekommen. Er lebt seit 2011 in Dresden und ist heute Pressesprecher des Anti-Pegida-Bündnisses „Dresden für alle“. Seit Wochen hetzt er von Interview zur Interview, organisiert den Protest gegen Pegida. Er ist smart und wortgewandt. „Uns wurde glaubhaft vermittelt, dass die Gefahr eines Terroranschlags so real ist, dass die Gefahr zu groß wäre für alle, die auf die Straße gehen“, sagt er. Die Veranstalter der Demos hätten auch eine Verantwortung für die Teilnehmer. Er nimmt das Verbot deshalb hin. Seit Wochen demonstriert er Montag für Montag. „Es ist wichtig, dass man sich für Menschenrechte einsetzt“, sagt der Student. Die Stimmung in der Stadt ist gerade keine leichte. Am Abend organisieren er und seine Mitstreiter der Kirchen und Gewerkschaften eine Ersatzdemo auf Facebook. „Wir zeigen schon, dass wir noch da sind.“

Pegida lädt zu Pressekonferenz

Auch Pegida ist noch da. Am Vormittag haben Initiator Lutz Bachmann und seine Mitstreiter während einer Pressekonferenz erklärt, dass sie weitermachen wollen. „Mundtot“ will man sich nicht machen lassen. Bachmann steht jetzt unter Polizeischutz. Es gibt offenbar konkrete Hinweise, dass Islamisten einen Anschlag auf ihn planten. Seither ist die Aufmerksamkeit für die Bewegung größer als je zuvor.

Die Stadt scheint unterdessen ein großes allgemeines Misstrauen erfasst zu haben. Viele reagieren verunsichert, wenn man sie fragt, wie es zu den wochenlangen Protesten kommt, ausgerechnet hier. Demonstrationen gegen die Islamisierung in einer Stadt, in der fast keine Muslime leben? Mit Journalisten sprechen viele hier nicht gern oder gar nicht. Zwei ältere Frauen wissen nicht weiter. „Wir verstehen nichts von Politik. Ich würde da nicht mitdemonstrieren“, sagt die eine. Auch mit Demonstration und Gegendemonstration kommen manche durcheinander. Wer ist eigentlich für oder gegen was? Die andere Frau glaubt, dass die „jungen Leute das doch nur zu ihrer Belustigung machen“.

In der Fußgängerzone haben zwei Männer einen Stand der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ aufgebaut. Auf Plakaten werben sie dafür, Barack Obama den Friedensnobelpreis wegzunehmen und ihn Wladimir Putin zu geben. Marco Hebestedt, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen, unterstützt Pegida. „Es sind auch jeden Montag viele Menschen mit Russlandflaggen dabei“, erklärt er. Pegida versammle alle, die sich „im Stich gelassen fühlen“. Den Islam hält er persönlich „gar nicht für das Problem“. Dafür aber „die geopolitischen Entscheidungen“ der vergangenen Jahre. Es gibt nicht viele Passanten, die stehen bleiben und sich das von ihm erklären lassen wollen. Es ist kalt an diesem Montag.

Wenige Schritte weiter hängt ein Transparent der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, das „mit Werken aller Kontinente“ wirbt und mit dem Spruch „Ein großes Haus voller Ausländer“. Es ist ein Bekenntnis der Stadt. „Weltoffen“ nennen seine Vermarkter Dresden gern. „Augen auf“ und „Herzen auf“ steht auf weißen Fahnen, die vor der Semperoper im Wind flattern. Hier haben die Pegida-Demonstranten schon häufig ihre Kundgebungen abgehalten. Polizisten fotografieren sich heute gegenseitig vor dem prachtvollen Gebäude. Die Bedrohung durch einen Anschlag wirkt wieder sehr abstrakt. Als es dunkel wird, fahren immer mehr Polizeiautos vor der Semperoper vor.

Von denen, die sonst bei Pegida mitlaufen, glauben manche, dass die Anschlagswarnung ein Vorwand ist. Auch Vertrauen in den Rechtsstaat ist unter den Anhängern der Bewegung offenbar nicht weit verbreitet. Einen Rentner, der am Zwinger entlang spaziert, regt das alles furchtbar auf. „Das Demonstrieren müsste grundsätzlich verboten werden“, sagt er entschieden. Viel zu lange hätten Politiker nicht darauf reagiert, „dass wir hier in Sachsen so viele Braune haben“. Mit den Braunen meint er die NPD, aber auch Pegida und ihre Anhänger, irgendwie. Mit der Trennschärfe ist es heute nicht mehr so einfach. Wer nicht für Pegida ist, ist jedenfalls nicht zwangsläufig dagegen.

Gefahr der Islamisierung?

Ute Hesse findet es unheimlich, dass es jetzt Anschlagsdrohungen gibt. Ihr Mann und sie wollen rasch wieder nach Hause, besser nicht so lange draußen sein. Was sie von Pegida hält? Sie überlegt kurz. „Ich bin da gespalten“ , sagt sie schließlich. Die Gefahr einer Islamisierung sieht sie aber schon. „Es geht jedenfalls nicht, dass in der Türkei keine Kirchen gebaut werden dürfen, aber sich hier bei uns die Moscheen breitmachen“, meint sie.

In der Altstadt Dresdens ist immer viel los, auch heute, an diesem kalten Tag im Januar. Viele, die hier vom Tourismus leben, machen sich allerdings Sorgen um ihre Stadt. „Ich finde diese Demonstrationen sehr unangenehm“, sagt die Verkäuferin in einem Souvenirladen mit Weihnachtsschmuck aus dem Erzgebirge. „Ich hoffe, dass das bald aufhört.“ Die Touristen kämen bisher noch. „Gott sei Dank.“

Dresden kämpft in diesen Tagen auch um seinen Ruf. In den Tourist-Infos reagieren Mitarbeiter schmallippig auf Fragen zu Pegida. Am Dresdener Bahnhof etwa kämen viele Menschen an, die sich Pegida anschließen wollten und in der Tourist-Info nach dem Weg zur Demonstration fragen. „Dazu Infos zu geben, sehen wir nicht als unsere Aufgabe“, sagt eine Mitarbeiterin. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) wünscht sich weiter trotzig, dass Dresden 2025 Kulturhauptstadt wird. „Das ist nicht unsere Stadt, was da montags passiert“, kommentiert sie die Pegida-Demos.

Im Döner-Imbiss am Bahnhof arbeitet ein junger Mann, der aus dem Irak stammt. Seit sieben Jahren lebt er in Dresden und fühlt sich hier sicher, auch jetzt. Er sagt: „Alles ist okay hier.“ Es ist damit zu rechnen, dass demnächst wieder demonstriert wird in Dresden. Gegen eine Islamisierung, für Russland und irgendwie gegen Obama, gegen die „Lügenpresse“ auf der einen Seite. Für Menschenrechte, gegen Fremdenhass, für Flüchtlinge auf der anderen Seite.