Moskau

Krim-Krise: Putins Äußerungen sind russische Giftpfeile auf die Ukraine

Kremlchef Wladimir Putin ließ sich viel Zeit. Mehr als eine Woche nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und zwei Tage nach der russischen Besetzung der Krim hat Russlands Staatsoberhaupt sein Schweigen beendet.

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Von unserer Moskauer Korrespondentin Doris Heimann

In einem ausführlichen Interview mit russischen Medien äußerte er sich sehr widersprüchlich zu heiklen Fragen. Putin bezeichnete den Sturz Janukowitschs als „verfassungswidrigen Umsturz und gewaltsame Machtergreifung“. Unter solchen Umständen könne jeder an die Macht kommen, sagte der Kremlchef und zog den direkten Vergleich zu Deutschland 1933. Damals habe die SA des Kampfbundführers Ernst Röhm eine wichtige Rolle bei der Machtergreifung Hitlers gespielt. „Auch jetzt gibt es die Gefahr, dass irgendein Nationalist oder Antisemit an die Macht kommt“, so Putin.

Betrachte man die Vorgänge in der Ukraine als Revolution, dann sei das daraus Hervorgegangene nun ein neuer Staat – „ähnlich wie auf dem Territorium des russischen Zarenreichs 1917“. Mit diesem neuen Staat habe Russland keine Vereinbarungen unterzeichnet und sei zu nichts verpflichtet. Obwohl Moskau die ukrainische Interims-Regierung nicht anerkennt, betonte Putin, dass man schon Kontakt zu den neuen Kräften in Kiew aufgenommen habe. Regierungschef Dmitri Medwedew sei in Verbindung mit dem Interims-Premier Arseni Jazenjuk. Auch zwischen der Kremladministration und Übergangspräsident Alexander Turtschinow gebe Kontakt.

Ebenso widersprüchlich wie verächtlich äußerte sich Putin über den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Er war vor zehn Tagen nach Russland geflüchtet. „Klar, dass er keine Macht mehr hat“, sagte Putin, trotzdem sei er der einzige legitime Präsident des Nachbarlandes. Seine Macht habe Janukowitsch bereits mit der von europäischen Außenministern ausgehandelten Kompromiss-Vereinbarung vom 21. Februar abgelegt. Es sei also für die Opposition nicht nötig gewesen, das Land mit Gewalt ins Chaos zu stürzen. Er verstehe sogar die Unzufriedenheit der ukrainischen Bevölkerung, sagte der Kremlchef und fügte süffisant hinzu: „Die haben sich schon daran gewöhnt, dass eine Gaunerbande gegen eine andere ausgetauscht wird.“

„Schutz ukrainischer Bürger“

Zu Frage, ob russische Truppen in der Ukraine einmarschieren werden, sagte der Kremlchef: „Im Moment ist es nicht notwendig, aber diese Möglichkeit gibt es“. Es gebe eine direkte Bitte Janukowitsch um militärische Hilfe zum Schutz ukrainischer Bürger. Die neue pro-europäische Führung und die USA werfen Russland vor, Tausende Militärangehörige auf die Krim geflogen zu haben. Am Wochenende hatten Russisch sprechende Soldaten mit Kalaschnikows und professioneller Kampfausrüstung den Flughafen von Simferopol und alle strategisch wichtigen Punkte auf der Halbinsel eingenommen. Putin sagte dazu nur, es handele sich um Kräfte der „Selbstverteidigung“.

Nach übereinstimmenden Berichten ukrainischer Militärexperten und westlicher Medien werden die Angehörigen des ukrainischen Militärs auf der Krim de facto als Gefangene in ihren eigenen Kasernen gehalten – wenn sie nicht davongelaufen sind. Putins Version lautete nun: „Unsere Streitkräfte sind Waffenbrüder und Freunde.“ Seinen Angaben zufolge sind 22 000 Soldaten und mehrere Dutzend S-300 Raketeneinheiten auf die Seite der pro-russischen selbsternannten Regierung auf der Krim übergelaufen. Die Bewohner der Halbinsel sollen am 30. März in einem Referendum über eine größere Autonomie ihrer Region von der Zentralregierung in Kiew abstimmen. Der Chef der regionalen Regierung, Sergej Aksjonow, kündigte aber die möglich Vorverlegung der Abstimmung auf ein früheres Datum an.

Offensichtlich ist Putin zufrieden mit dem De-facto-Anschluss der Krim. Durch die Präsenz der russischen Schwarzmeer-Flotte und den hohen Anteil an ethnischen Russen und russischen Staatsbürgern war es leicht, dort Fakten zu schaffen. Außerdem gibt ihm die Okkupation der Krim ein Instrument in die Hand, um der schwachen Interims-Regierung in Kiew die Luft abzudrücken.

Die Superreichen sind zur Stelle

Mit einer Invasion der ebenfalls russisch-sprachigen Ostukraine verhält es schwieriger. Hier fühlen sich viele Menschen trotz ihrer Sprachzugehörigheit als Ukrainer. Das russische Vorgehen auf der Krim hat diesen Effekt noch erhöht. Führende ostukrainische Intellektuelle distanzierten sich von der Politik des großen Nachbarn. Die Regierung in Kiew hat ein Bündnis mit den Oligarchen aus der Region geschlossen, um ihre Basis auszuweiten. Die Industrie-Barone aus Donezk und Dnepropetrowsk spielen in der Politik des Landes eine wichtige Rolle. Dass sie nun zwangsläufig wieder einbezogen werden, stellt allerdings auch das Ziel einer Bekämpfung der Korruption in Frage, für das viele auf dem Maidan demonstriert haben.

Die Oligarchen wiederum haben ihre eigenen Gründe, sich nicht auf die Seite Russlands zu schlagen: Russlands Superreiche warten nur darauf, sich diese Pfründe einzuverleiben.