Berlin

Jubiläum: 30 Jahre Grüne im Bundestag

Ihr Nervenkostüm hätte es nicht ausgehalten. Marieluise Beck, heute 60 Jahre alt und Frau der ersten Stunde in der Grünen- Bundestagsfraktion, ist erleichtert darüber, dass die Grünen heute „so vernünftig“ sind. Im März 1983, vor 30 Jahren, wurden die Neulinge im Bundestag noch als Chaostruppe wahrgenommen.

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„Ich bin froh, dass wir nicht so geblieben sind“, sagt die heutige Grande Dame der Grünen. In den Wahlkampf 2013 zieht ihre Partei jetzt mit Umfragewerten um die 15 Prozent – inzwischen will man lieber mitregieren als opponieren.

 Marieluise Beck bei ihrer ersten Rede.
Marieluise Beck bei ihrer ersten Rede.
Foto: DPA

Im März 1983 war Regierungsverantwortung aber noch gar nicht das Ziel der erst drei Jahre zuvor gegründeten neuen Ökopartei. 5,6 Prozent erzielten die Grünen bei der Wahl, damit zogen sie mit 27 Abgeordneten in das Bonner Parlament ein, für sie selbst so überraschend wie für die damalige Bonner Republik. Marieluise Beck zählte zu den Spitzenkandidatinnen.

Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 29. März 1983 waren die Grünen die Neulinge.
Transparente halten sie heute nicht mehr hoch.
Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 29. März 1983 waren die Grünen die Neulinge. Transparente halten sie heute nicht mehr hoch.
Foto: DPA

Für die etablierten Parteien CDU, CSU, SPD und FDP bedeutete der Einzug so andersartiger Neulinge ins Parlament eine Revolution, an die sie sich erst allmählich gewöhnen konnten. Plötzlich gab es im Plenum Strickpullis und lange Haare – und vermehrt auch junge Frauen, die Themen wie Sexismus auf die Tagesordnung setzten und selbstbewusst für ihre feministischen Ziele warben.

Marieluise Beck erinnert sich heute amüsiert an diese erste Zeit im Parlament. „Wir waren
kein bisschen vorbereitet“, sagt die heutige Außenpolitikerin.
Marieluise Beck erinnert sich heute amüsiert an diese erste Zeit im Parlament. „Wir waren kein bisschen vorbereitet“, sagt die heutige Außenpolitikerin.
Foto: DPA

In alten Filmaufnahmen ist CDU-Mann Helmut Kohl sein Unbehagen angesichts der jungen Wilden im Parlament deutlich anzusehen.

Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 29. März 1983 waren die Grünen die Neulinge neben SPD-Größen wie Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel: Marieluise Beck mit Petra Kelly.
Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 29. März 1983 waren die Grünen die Neulinge neben SPD-Größen wie Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel: Marieluise Beck mit Petra Kelly.
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Der Bundestag wurde bunter

Auch Marieluise Beck ist heute „amüsiert, wenn ich die skurrilen Bilder sehe“. Die Bremer Bundestagsabgeordnete ist anerkannte Osteuropa-Expertin ihrer Partei und engagiert sich für Menschenrechte. Beck war in der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder ab 2002 schon Integrationsbeauftragte, auch als parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium hat sie den einst so verachteten Politikbetrieb längst von innen kennengelernt.

„Wir waren völlig unvorbereitet“, erinnert sich die erfahrene Parlamentariern an die Anfänge. Sie und ihre Mitstreiter hätten nicht einmal gewusst, wo sich der Bundestag genau befindet. Auch die Geschäftsordnung des Parlaments war den neuen Abgeordneten, die den Protestbewegungen der 70er- Jahre entstammten, fremd.

Sie hatten ohnehin nicht vor, die Regeln der verstaubten Bonner Beamtenrepublik zu akzeptieren: Die Grünen hielten im Bundestag verbotenerweise Transparente hoch, um zu erklären, wofür sie stehen. Den Platzverweis nahmen sie damals billigend in Kauf. Heute wäre eine solche Aktion unvorstellbar. „Natürlich würden wir so etwas heute nicht mehr machen“, sagt Marieluise Beck. Zwischen vielen Terminen des Parlamentsbetriebs hat sie in ihrem Bundestagsbüro Unter den Linden in Berlin kurz Zeit für ein Gespräch.

Ihr inzwischen ergrautes Haar trägt sie noch immer kurz. Sie antwortet schnell, präzise, sie beherrscht die Sprache der Politik. Die frühere Lehrerin ist seit 30 Jahren Berufspolitikerin. Die Grünen hätten den Sinn der parlamentarischen Verfahren erst lernen müssen. „Mit 5,6 Prozent kann man nicht dafür sorgen, dass der Rest der Republik das macht, was wir wollen“, sagt sie trocken. Sie selbst wurde früh zur Realo-Politikerin.

Realo nennen die Grünen bis heute ihren pragmatischen und eher regierungsorientierten Flügel.

Wandel unter Schmerzen

Die meisten Grünen lernten unter Schmerzen, dass Parlamentarismus Kompromisse einschließt. Nachdem sie es 1990 nicht mehr in den Bundestag schafften, entschied sich die Partei für konventionellere Parteistrukturen und gegen das Dauer- Spontitum der Anfänge. Die prominente Fundi-Vertreterin Jutta Ditfurth und viele andere traten damals aus.

Ein zweiter Bruch mit Überzeugungen folgte acht Jahre später, als Joschka Fischer als grüner Außenminister der ersten rotgrünen Bundesregierung den Militäreinsatz der Nato im Kosovo befürwortete. Die Grünen, aus der Friedensbewegung entstanden, standen mit in der Regierungsverantwortung – und mitten in einem Krieg.

Marieluise Beck zählte damals zu den Befürwortern des Einsatzes. „Es gibt nicht nur eine Ethik der Nicht-Intervention, sondern auch eine Verpflichtung zur humanitären Intervention“, erklärt sie beflissen. Trotz aller Anpassung hält sie die Grünen aber auch 2013 noch für ein wenig anders als die anderen Parteien im Bundestag. „Wir sind nicht die besseren Menschen, aber viele von uns sind doch sehr normal geblieben“, meint sie.

Einer der Männer der ersten Stunde, Christian Ströbele, und sie träfen sich noch immer am Reichstag mit dem Fahrrad.

Rena Lehmann