Hoyerswerda

Hoyerswerda erinnert sich nur ungern

Hoyerswerda erinnert sich nur ungern
Hoyerswerda erinnert sich nur ungern Foto: DPA

Ausländerfeindlichkeit Vor 20 Jahren griffen Neonazis über Tage Asylbewerber an – Heute verlassen junge Menschen die Stadt. Rena Lehmann schildert ihre Eindrücke von einem Besuch in Hoyerswerda 20 Jahre nach den ausländerfeindlichen Übergriffen.

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Hoyerswerda – Es waren Bilder, die Menschen in ganz Deutschland in Aufruhr versetzten. Vor den tristen Plattenbauten eines Ausländerwohnheims im sächsischen Hoyerswerda skandierten jugendliche Skinheads „Ausländer raus!“. Sie warfen mit Steinen und Molotow-Cocktails auf das Haus, in dem Menschen aus Mosambik und Vietnam vorübergehend untergebracht waren.

Bürger demonstrieren gegen Ausländerfeindlichkeit in Hoyerswerda, aufgenommen am 23.09.1991. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Das Begegnungszentrum „Orange Box“ steht am Donnerstag (08.09.2011) in einer Parkanlage in Hoyerswerda. In dem Gebäude wird ab heute die Ausstellung „Hoyerswerda, Herbst 1991“ gezeigt. Die Schau dokumentiert die ausländerfeindlichen Ausschreitungen an der Stelle, die sich am 17. September zum 20. Mal jähren.

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Ein Schild mit der Aufschrift „Neugierig?“ steht am Donnerstag (08.09.2011) am Begegnungszentrum „Orange Box“ in Hoyerswerda. In dem Gebäude wird ab heute die Ausstellung „Hoyerswerda, Herbst 1991“ gezeigt. Die Schau dokumentiert die ausländerfeindlichen Ausschreitungen an der Stelle, die sich am 17. September zum 20. Mal jähren.

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Besucher sehen sich im Begegnungszentrum «Orange Box» in Hoyerswerda in der Ausstellung «Hoyerswerda, Herbst 1991» um, aufgenommen am 08.09.2011. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Aussagen von in Hoyerswerda lebenden Ausländern hängen am Donnerstag (08.09.2011) im dortigen Begegnungszentrum „Orange Box“ in der Ausstellung „Hoyerswerda, Herbst 1991“. Die Schau dokumentiert die ausländerfeindlichen Ausschreitungen an der Stelle, die sich am 17. September zum 20. Mal jähren.

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Lageberichte der Polizei hängen im dortigen Begegnungszentrum „Orange Box“ in der Ausstellung „Hoyerswerda, Herbst 1991“, aufgenommen am 08.09.2011. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Ein Asylbewerber schaut am 23.09.1991 aus einem eingeschlagenen Fenster des Asylbewerberheims im sächsischen Hoyerswerda. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Nach den schweren Ausschreitungen verließen die Bewohner des von Rechtsradikalen attackierten Asylbewerberheimes in der Thomas-Müntzer-Straße in Hoyerswerda mit ihrem Hab und Gut die Stadt, aufgenommen am 23.09.1991. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Polizeikräfte blockieren am 23.09.1991 Straßen in Hoyerswerda. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Asylbewerber können den Haß nicht verstehen, der ihnen besonders in den neuen Bundesländern entgegengebracht wird, aufgenommen am 25.09.1991. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Bis heute müht sich die Stadt um ein bessere Image. Getan hat sich einiges.

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Eine genehmigte Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit in Hoyerswerda – in der Stadt war es zu schweren Ausschreitungen gegen ein Asylantenheim gekommen – eskalierte am 29.09.1991. Linke Autonome gingen mit Pflastersteinen gegen Einheiten des Bundesgrenzschutzes vor. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke ein.

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Aus einem Fenster blickt ein farbiger Asylbewerber stumm auf die hetzende Meute, deren Zahl inzwischen auf etwa 200 angewachsen ist. Auch erwachsene Anwohner sind darunter, die in den Hass-Chor einstimmen. Die Ausschreitungen beginnen am 17. September 1991, und sie dauern mehrere Nächte an. Am Ende werden „die Ausländer“ aus der Stadt in Sicherheit gebracht. Die Übergriffe in Hoyerswerda waren der Auftakt für eine Welle rassistischer Gewalt etwa in Rostock, Solingen, Mölln. 20 Jahre später allerdings ist Hoyerswerda von einer Aufarbeitung der Ereignisse weit entfernt. Ein Besuch in der einstigen Arbeitermetropole der DDR, der immer mehr Menschen den Rücken kehren.

Hoyerswerda war vor der Wende 1989 noch Inbegriff des sozialistischen Aufbaus. Es profitierte von der Nähe des berühmten Braunkohleveredelungswerks Schwarze Pumpe. Dort entstanden Ende der 50er-Jahre Arbeitsplätze und in der Folge 10 000 neue Wohnungen in riesigen Plattenbaukomplexen. Mehr als 70 000 Einwohner lebten hier noch Anfang der 90er-Jahre. Einst modern, fortschrittlich und begehrt, stehen viele der sogenannten Arbeiterschubladen im Stadtteil Neustadt heute leer. Mittendrin liegt das Pfarrzentrum Martin-Luther-King, wo der evangelische Pfarrer Jörg Michel seit 1993 eine schrumpfende Zahl von Gemeindemitgliedern betreut. Hoyerswerda hat heute nur noch 37 000 Einwohner, 400 sind ausländischer Herkunft.

Auf einer Wiese am Rande der Neustadt steht ein orangefarbener Würfel, davor sitzen zwei Frauen beim Plausch – 1-Euro-Jobberinnen, wie sie selbst erzählen. „Wir passen hier auf, dass keine Neonazis die Ausstellung kaputt machen.“ In der orangenen Box hat die Stadt vor einigen Tagen notdürftig zusammengetragen, was an den Herbst '91 erinnern soll. Zeitungsartikel und Polizeiberichte wurden auf große Plakate gedruckt, die Plakate aufgehängt. Es sieht aus, als sei hier in großer Eile zusammengezimmert worden, was man auftreiben konnte. Im oberen Stockwerk gibt es Fotos von Menschen aus Hoyerswerda mit ausländisch klingenden Namen, daneben Zitate. Die Menschen erklären, dass sie gern in Hoyerswerda leben. Es sei so grün, so ruhig, die Menschen hier seien freundlich. Auf einem besonders großen Plakat am Ein- und Ausgang erklären die Macher der übersichtlichen Schau, dass die Ausstellung nur der Anfang sein könne. Es sei nun „an der Zeit für eine differenziertere Aufarbeitung“, bei der auch Zeitzeugen zu Wort kommen sollten.

Auf der anderen Seite der Straße, im Martin-Luther-King-Zentrum, wundert sich Pfarrer Michel über solche Worte. Das zeige doch, dass in 20 Jahren nicht sehr viel passiert ist, meint er. Zusammen mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen wie Kulturvereinen und Kirchen hat er vor einigen Jahren die „Initiative Zivilcourage“ gegründet. Schon im Herbst hätten sie sich den Fraktionen im Stadtrat als Helfer angeboten, um im 20. Jahr danach angemessen zu gedenken. Doch niemand hätte auf das Angebot reagiert.

Michel schüttelt den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Da gibt es Bürger, die etwas tun wollen, aber niemand interessiert sich dafür.“ Im vergangenen Jahr hatte sich Hoyerswerda den Titel „Ort der Vielfalt“ erworben und sich mit seinen vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen geschmückt. „Aber so ein Titel ist doch auch Verpflichtung“, meint Michel.

Seit einigen Jahren reisen Delegationen von Stadtverwaltungen aus dem ganzen Bundesgebiet nach Hoyerswerda an, um sich anzusehen, wie vorbildlich hier der Rückbau von Wohnraum, sprich: der demografische Wandel, gemeistert wird. Michel ist überzeugt, dass Hoyerswerda auch mit anderen Entwicklungen nach dem Herbst '91 hätte berühmt werden können. Mit einer kreativen Aufarbeitung der ausländerfeindlichen Übergriffe zum Beispiel.

Auf dem Weg zum Plattenbau in der Albert-Schweitzer-Straße, Schauplatz der Übergriffe vom Herbst '91, begegnet man vielen alten Frauen mit Gehwagen, junge Familien dagegen sieht man selten. Wer gut ausgebildet ist, sucht sein Glück in Bayern und Baden-Württemberg. „Wer nicht mobil ist, fühlt sich als Verlierer, der hierbleiben muss“, meint Michel. Radikale wüssten dies zu nutzen. Auf den Schaufenstern verlassener Geschäftsräume, an Ampeln und Laternen liefern sich Linke und Rechte eine politische Schlacht mit Aufklebern. „Gute Heimreise“ steht auf den sogenannten „Spuckis“ der NPD, „kein Fußbreit den Rechten“ auf denen der linken Initiative „Progrom '91“. Michel kratzt beide ab, wo er sie findet.

Extremisten führen hier einen Krieg auf Kosten der Mehrheit in der Stadt. So sieht Michel das. Über die Jahre hat er sich sein eigenes Bild der Vorgänge von damals und des Umgangs damit bis heute gemacht. Es gebe noch immer eine rechte Szene. Die normale Bevölkerung allerdings sei schlicht zutiefst verunsichert darüber, wie ihre Zukunft in Hoyerswerda aussehen wird. „Es gibt hier Menschen, die rechte Meinungen vertreten, aber sie als rechtsradikal abzustempeln, halte ich für falsch“, sagt Michel. Er plädiert stattdessen für einen offenen Dialog. „Was diese Menschen brauchen, ist, dass ihnen jemand zuhört und ihre existenziellen Sorgen um Arbeitsplätze und die Zukunft ihrer Kinder ernst nimmt“, sagt er, „man muss miteinander reden.“ Der Umgang mit dem 20. Jahrestag der Übergriffe ist für ihn symptomatisch für seine Stadt. Zögerlich, unentschlossen, ängstlich. „Das Datum wird vergehen“, meint er. Dann werde man sehen, was bleibt.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann