Euro-Reformpaket überzeugt nicht alle

Europa ringt um eine stabile Währung. Die Staats- und Regierungschefs sehen sich mit einer Herkulesaufgabe konfrontiert: Ein ganzes Bündel von Maßnahmen soll zugleich die Märkte beruhigen, künftige Schuldenkrisen verhindern und klamme Euro-Staaten vor allzu hohen Zinslasten schützen.

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Europa ringt um eine stabile Währung. Die Staats- und Regierungschefs sehen sich mit einer Herkulesaufgabe konfrontiert: Ein ganzes Bündel von Maßnahmen soll zugleich die Märkte beruhigen, künftige Schuldenkrisen verhindern und klamme Euro-Staaten vor allzu hohen Zinslasten schützen. Deutschland investiert viel für die Rettung der Gemeinschaftswährung. Doch reicht das Gesamtpaket aus? Fragen und Antworten zur Gipfel-Einigung:

Der Euro-Stabilitätspakt wird verschärft. Können Staatsschuldenkrisen damit künftig vermieden werden?

Das ist zumindest das Ziel. In der Vergangenheit wurden zwar Strafverfahren gegen Defizitsünder eingeleitet, darunter auch Deutschland. Geldbußen wären theoretisch am Ende einer langen Strafprozedur möglich gewesen. Sie blieben in der Praxis aber aus. Damit ging der Sparanreiz verloren. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte verlangt, Schuldensünder automatisch zu bestrafen. Es müsse vermieden werden, dass der EU-Ministerrat Sanktionen wie bisher aufhalten kann. Die Krise habe gezeigt, dass Regierungen nicht länger eine Politik der „wohlwollenden Vernachlässigung“ betreiben könnten, betonte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Künftig sollen Schuldensünder schon zu Beginn eines Strafverfahrens ein Pfand in Brüssel hinterlegen.

Überzeugt das die Märkte?

Ökonomen wie Alexander Koch von Unicredit kritisieren, auch der verschärften Version des Paktes fehlten die Zähne. So müsse noch entschieden werden, ab welchen Schwellenwerten bei Defizit und Staatsschuld welche Sanktionen greifen sollen. Die Märkte hätten mehr erhofft als „ein eher schwammiges Ergebnis“. Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer sagte dem „Handelsblatt“, bislang sei die Frage ungeklärt, „was mit den in der Vergangenheit angehäuften Schuldenbergen geschehen soll, wenn der Markt eine weitere Finanzierung verweigert“. Mayers Fazit: „In der Tat haben wir nach wie vor keine dauerhafte Basis geschaffen, auf der die Währungsunion stehen kann. Bislang haben wir nur Übergangslösungen, und das spüren auch die Märkte.“

Nach 2013 sollen bei Zahlungsausfällen von Staaten auch Banken und andere private Gläubiger Einbußen in Kauf nehmen müssen. Wie werden Anleger darauf reagieren?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte kurz vor dem Gipfel klar: „Die privaten Gläubiger werden an den Rettungsmaßnahmen beteiligt, aber in berechenbarer Weise.“ Dies soll nach den Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfolgen. Dennoch herrscht am Markt Unsicherheit, wie Anleger bei möglichen künftigen Ausfällen beteiligt werden: „Man weiß nur, dass man nachrangig hinter dem IWF und dem künftigen Krisenfonds ESM herangezogen wird. Viel mehr Informationen gibt es nicht“, beklagt Unicredit-Volkswirt Koch. Diese Unsicherheit lasse sich der Anleger über den Zins bezahlen – auf die Staaten kommen höhere Lasten zu.

Bislang griff die Staatengemeinschaft Griechenland und Irland unter die Arme. Portugal könnte folgen. Wie viele Länder können die Krisenfonds verkraften?

Seit fast einem Jahr kämpfen Regierungen und Notenbanken gegen die Schuldenkrise in Europa an. Deutsche-Bank-Ökonom Mayer lobt, dank der Rettungsaktionen sei es zumindest gelungen, „einen Herzstillstand in der Euro-Zone zu verhindern“. Nun wird der derzeitige Rettungsfonds für Euro-Staaten auf 440 Milliarden Euro aufgestockt, ab 2013 soll der permanente Krisenfonds ESM für klamme Euro-Staaten mit einer Kapitalbasis von 700 Milliarden Euro bereitstehen. Die Politik sieht die Währungsunion so für künftige Krisen gewappnet. Kritiker wie Steen Jakobsen, Chefvolkswirt bei der Saxo Bank, monieren: „Anstatt wirkungsvolle Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten, pumpen Regierungen und EZB weiter fleißig Geld in den Markt.“

Deutschland beteiligt sich mit Bareinlagen von rund 22 Milliarden Euro sowie Bürgschaften von 168 Milliarden Euro am ESM. Wurde Berlin über den Tisch gezogen?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht die Milliarden gut investiert, da der Euro vor allem deutschen Interessen diene. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) bekräftigt: „Deutschland hat mehr als andere vom Euro profitiert.“ Auch aus Sicht von Unicredit-Analyst Koch gibt es keine Alternative zur Rettung der Währung. So profitiert die deutsche Exportwirtschaft derzeit von den niedrigen Zinsen im Euro-Raum. Das relativ niedrige Zinsniveau helfe dem privaten Sektor und dem Staat auch bei der Finanzierung, erklärt Koch: „Man kann leicht umrechnen, dass bei öffentlichen Schulden von um die 2 Billionen Euro ein um einen Prozentpunkt höherer Zins 20 Milliarden Euro mehr an Zinszahlungen pro Jahr bewirken würde.“ Die Argumente der Kritiker gegen das neue Regelwerk sind grundsätzlicher Natur. Die Währungsunion werde zur Transferunion, klagen sie. Und die Deutschen müssten dazu tief in die Tasche greifen.

Viele reden von einer „Euro-Krise“. Aber wie geht es der Gemeinschaftswährung wirklich?

Der Euro kostete zuletzt mehr als 1,41 US-Dollar. Von einer Krise kann also keine Rede sein. EZB-Präsident Trichet betont deshalb bei jeder Gelegenheit, Europa stecke in einer Staatsschuldenkrise und nicht in einer Währungskrise. Dass der Euro derzeit stark ist, liegt aber auch daran, dass die anderen Reservewährungen wie US-Dollar oder Yen angesichts der Probleme in den USA und Japan keinen besonders guten Eindruck auf die Anleger machen. Unicredit-Ökonom Koch urteilt: „Man kann fast sagen, der Euro ist der Einäugige unter den Blinden.“