Zagreb

Beitritt: Kroatien ist kaum für die EU gerüstet

Nationales Symbol: Die Altstadt Dubrovniks, im Unabhängigkeitskrieg hart umkämpft, ist eines der touristischen Zentren Kroatiens. Der EU-Beitritt soll dem Land indes helfen, seine Abhängigkeit vom Tourismus zu lockern.
Nationales Symbol: Die Altstadt Dubrovniks, im Unabhängigkeitskrieg hart umkämpft, ist eines der touristischen Zentren Kroatiens. Der EU-Beitritt soll dem Land indes helfen, seine Abhängigkeit vom Tourismus zu lockern. Foto: dpa

Europabegeisterung ist etwas anderes: Noch bevor Kroatien am 1. Juli als 28. Mitglied Teil der EU wird, haben die Bürger über ihre Abgeordneten im Europaparlament abgestimmt. Nur 21 Prozent beteiligten sich. „Brüssel ist enttäuscht über dieses miserable Echo“, titelte die Zeitung „Jutarnji list“ tags darauf. 5 Prozent der Wahlzettel waren ungültig.

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Die zweitmeisten Stimmen bekam zudem mit Ruza Tomasic eine Politikerin der extremen Rechten. Die Nationalistin war mit fremdenfeindlichen und EU-kritischen Kommentaren aufgefallen. Für Regierungschef Zoran Milanovic ist sie ein „gesellschaftliches Übel“ und „schlimmer als eine Naturkatastrophe“. In einem Atemzug prangert der Spitzenpolitiker die Korruption in Zagreb an: „Das sind alles Dinge, die Kroatien säubern muss, damit Zagreb und Kroatien kein dunkler Fleck, sondern ein europäischer Stern werden.“

Doch ist das Land trotzdem reif für die Union? Die EU-Kommission hatte Zweifel und stellte Kroatien daher im vergangenen Oktober neue Hausaufgaben. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert formulierte starke Bedenken: „Kroatien ist offensichtlich noch nicht beitrittsreif“, stellte er fest. Doch schon im Januar erschien die kroatische Außenministerin Vesna Pusic in Brüssel und meldete, dass praktisch alle EU-Vorgaben im Rekordtempo umgesetzt wurden.

Ende März gab die EU-Kommission grünes Licht für den Beitritt. Lammert will sich dazu trotz Nachfrage nicht mehr äußern.

Vor Beitritt geforderte Gesetze für Reformen bestehen nur auf Papier

Wie konnte das Land die geforderten gravierenden Systemreformen innerhalb weniger Wochen bewerkstelligen? Die Antwort ist einfach. Es wurden jede Menge Gesetze verabschiedet, für deren Anwendung aber gar keine Voraussetzungen bestehen. Oder es wurden verbesserte Gesetze nur angekündigt. Zum Beispiel verabschiedete der Sabor, das kroatische Parlament, eine „Entwicklungsstrategie für die Justiz von 2013 bis 2018“.

Darin werden die EU-Vorgaben erfüllt. Doch einen notwendigen Jahresaktionsplan zur Umsetzung des Gesetzes, ohne den die gesamte Strategie blutleer bleibt, gibt es nicht. Kroatien gehört seit Jahrzehnten zu den besonders korrupten Ländern Europas. Daher war der Kampf gegen dieses Übel eine zentrale Forderung Brüssels. Zwar wurde der langjährige Regierungschef Ivo Sanader in einem spektakulären Korruptionsprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt, und es laufen weitere Verfahren gegen ihn. „Doch das hat wenig Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Bürger“, sagt Zorislav Antun Petrovic von Transparency International.

Das größere Problem ist die sogenannte Schalterkorruption. Der Experte musste selbst sechs Jahre auf einen Grundbucheintrag warten, weil er kein Schmiergeld zahlen wollte. Transparency hatte im vergangenen Herbst eine repräsentative Umfrage in Kroatien organisiert. Auf einer Skala von 1 (keine Korruption) bis 5 (völlig korrupt) schnitten die politischen Parteien mit einem Wert von 3,89 besonders schlecht ab. Eng gefolgt vom Gesundheitswesen, von den Behörden, den Unternehmen, den Gerichten, der Polizei, den Medien und dem Bildungssektor.

Viele neue Gesetze gegen Bestechung und Vorteilsannahme werden Petrovic zufolge nicht umgesetzt. So ist beispielsweise noch unklar, wann ein im März eilig auf Druck der EU verabschiedetes Gesetz tatsächlich greift, das Bürgern den Zugang zu behördlichen Informationen ermöglichen soll. Das schlimmste Problem des neuen EU-Mitglieds ist aber die von vielen als parteiisch, arbeitsunwillig und willkürlich empfundene Verwaltung.

Ein Problem, das Pedja Grbin, Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Parlament, so beschreibt: „Die Staatsverwaltung ist heute in Kroatien leider immer noch ein Konglomerat aus der österreichisch-ungarischen Verwaltung, aber nicht im guten Sinne, sondern so, wie sie Franz Kafka inspiriert hat, mit einem Hauch Kommunismus. Ich habe den Eindruck, dass die Behördenangestellten im Grundsatz unterrichtet werden, wer nicht arbeitet, macht auch keine Fehler.“ Eine Verwaltungsreform gehörte aber gar nicht zu den Beitrittsbedingungen.

Ausländische Investoren klagen über Schikanen seitens Behörden

Über die Folgen berichtet der österreichische Unternehmer Friedrich Ebner, dessen Baustoffkonzern seit 2006 eine Ziegelfabrik in Kroatien betreibt. „Die Behörden schikanieren uns, wir werden von ihnen im Kreis geschickt, es herrschen Unvermögen und Unverständnis“, sagt er verbittert.

Und dabei hat das Unternehmen reichlich positive Osterfahrung, war schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Ungarn und Polen vertreten und betreibt heute auch Werke in der Slowakei und in Rumänien. Doch über Kroatien schimpft er: „Es ist meilenweit von EU-Standards entfernt. In der Wirtschaft haben Mafiosi über weite Strecken noch das Sagen.

Wenn ausländische Investoren so behandelt werden, dann gehört das Land nicht in die EU.“ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine im März veröffentlichte Umfrage der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer, und die Kritik heimischer Wirtschaftsexperten ist ebenfalls vernichtend. Eine weitere unerledigte Baustelle: Für die Kriegsverbrechen bei der Rückeroberung der von Serben besetzten Gebiete mit dem Codenamen „Oluja“ (Sturm) ist noch nicht ein einziger Kroate rechtskräftig verurteilt worden, sagt Vesna Terselic von der Menschenrechtsorganisation Documenta. Und für die Zeit nach dem EU-Beitritt befürchten Aktivisten ein Erlahmen des Reformwillens.

Von Thomas Brey