Affäre: Den Altpräsidenten holt sein Schatten ein

Ist es eine Straftat, als Ministerpräsident ein paar Radieschen zu essen und sich dazu einladen zu lassen? So begann es an jenem denkwürdigen 27. September 2008 an Tisch drei des Käfer- Zeltes mitten im Münchener Oktoberfest-Trubel. Aber es blieb nicht bei der würzigen Rohkost. Am Ende standen Enten, Spanferkel, Hendl, Würste und Brezen auf der Rechnung.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Ist es eine Straftat, als Ministerpräsident ein paar Radieschen zu essen und sich dazu einladen zu lassen? So begann es an jenem denkwürdigen 27. September 2008 an Tisch drei des Käfer- Zeltes mitten im Münchener Oktoberfest-Trubel. Aber es blieb nicht bei der würzigen Rohkost. Am Ende standen Enten, Spanferkel, Hendl, Würste und Brezen auf der Rechnung.

Dazu mehr als ein Dutzend Mass Bier und sechs Liter Champagner. Die Summe daneben: 3209,30 Euro. Bezahlt hat das der Filmproduzent David Groenewold. Und zwar, so ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, weil er Christian Wulff bestechen wollte.

Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Denn der damalige niedersächsische Ministerpräsident und seine Frau Bettina wollen im Wesentlichen nur ein paar Gläser Wasser getrunken haben. Wulff möge keinen Alkohol, und sie habe damals ihren Sohn gestillt. Und sie seien auch schon bald gegangen. Die richtigen Zecher, so bestätigen es Zeugen, seien erst danach gekommen. Und auch andere Prominenz habe mit am Tisch gesessen. Zum Beispiel Verleger Herbert Burda nebst Gattin Maria Furtwängler. Sollen die alle Teil eines Korruptionskomplotts sein? Oder doch nur eine zünftige Feier unter Freunden, die es mal krachen lassen, wenn einer von ihnen denn so spendabel ist?

Doch für die Staatsanwaltschaft ist nicht entscheidend, ob Wulff nun doch eine Ente verspeiste und vielleicht auch noch eine Mass in der Hand hatte. Ob er eine, zwei oder drei Stunden mitfeierte. Entscheidend ist auch nicht, dass er sich die bessere Unterbringung im Hotel von Groenewold (wissentlich oder unwissentlich) bezahlen ließ, die Kosten für die Kinderbetreuung bei Groenewold landeten und auch die Rechnung für ein weiteres Abendessen über 209,40 Euro.

Entscheidend ist für die Anklage, dass Groenewold tags darauf den Ministerpräsidenten bat, sich doch für ein neues Filmprojekt bei Siemens- Chef Peter Löscher zu verwenden. Sicherlich vor dem Hintergrund der Sause im Käfer-Zelt und der sonstigen Annehmlichkeiten während der Tage in München.

Und ganz entscheidend ist, dass Wulff das Empfehlungsschreiben an Siemens tatsächlich auf den Weg brachte. Unter diese Rechnung zieht dann die Staatsanwaltschaft ihren eigenen Strich, und nun steht „Bestechung“ darunter. Erschwerend kommt hinzu, dass Groenewold die Finanzierung verschleiern wollte, also zunächst schuldbewusst agierte. Deswegen klagt ihn die Staatsanwaltschaft zusätzlich wegen Falschaussage an.

Ähnlich war er im Zusammenhang mit Sylt-Urlauben des damals frisch verliebten (und inzwischen getrennten) Paares vorgegangen. Die mühsamen Erklärungen über die Finanzbeziehungen zwischen Wulff und Groenewold waren ein Teil der wochenlangen Medienberichte, auf deren Höhepunkt Wulff als Staatsoberhaupt zurückgetreten war – als die Staatsanwaltschaft sich zu offiziellen Ermittlungen entschloss.

Wulff und Groenewold waren sich einig, dass der Filmproduzent zwar die Sylt- Rechnungen bezahlt, Wulff ihm das Geld dann aber in bar gegeben habe. Als die Staatsanwaltschaft angesichts der klammen Finanzlage auf den Wulff-Konten keinen Beleg dafür fand, erläuterte Wulff, dass seine Frau von ihrer Mutter größere Geldbeträge geschenkt bekommen und diese über Monate zu Hause herumliegen gehabt habe, um sich davon dann den Urlaub gönnen zu können.

So skeptisch die Öffentlichkeit auf diese Erklärung reagierte, so wenig sahen sich die Staatsanwälte in der Lage, diese Darstellung zu widerlegen. Doch die Radieschen, das Wasser, das zweite Abendessen und die Hotelrechnung in München beglich Wulff nicht. Und damit hat er sich laut Anklage bestechen lassen.

Das Oktoberfest bekommt aus dieser Darstellung für Wulff die Überschrift Korruption, landet in Paragraf 332 des Strafgesetzbuches. Und wird damit Teil einer Straftat. Aus Wulffs Sicht sieht die ganze Affäre völlig anders aus. Er ist sich in Sachen Oktoberfest keiner Schuld bewusst.

Gregor Mayntz