RZ-KOMMENTAR: Lange Lieferketten und Tiefstpreise fördern den Fleischbetrug

Analogschinken, BSE, Dioxineier und Gammelfleisch – die Liste der Lebensmittelskandale ist lang und lässt sich beliebig durchs Alphabet buchstabieren. Dabei ist es ganz egal, worin der eigentliche Skandal gerade besteht, die öffentliche Empörung verläuft immer gleich: Nach ersten Funden wird schnell ein übler Einzeltäter ausgemacht und abgewiegelt, bis der Skandal weitere Kreise zieht.

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Ist erst das ganze Ausmaß bekannt, reichen die zuständigen Ministerien und Kontrollbehörden die Verantwortung für gewöhnlich an die nächsthöhere Ebene weiter: vom Land zum Bund, dort wird auf lückenhaftes EU-Recht hingewiesen.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat das gerade wieder hübsch vorgeführt: Erst behauptete sie, das Problem mache vor deutschen Grenzen halt. Als sich die Lage von „keine Fälle bekannt“ zu „vermutlich keine Gesundheitsgefahr für deutsche Verbraucher“ hin verschlimmerte, schrie sie laut „Sauerei!“ und rief nach europaweiten Kontrollen.

Ist das noch blauäugig oder schon grob fahrlässig zu nennen? Als Frau vom Fach muss die Ministerin die gängigen Produktions- und Lieferketten von Lebensmitteln schließlich kennen. Die sind im vorliegenden Fall schlicht absurd: Der französische Produzent hatte das Pferdefleisch in Rumänien gekauft, nach Luxemburg transportiert und dort zu Lasagne verarbeiten lassen. Von dort aus wurde es nach Großbritannien, Schweden und Frankreich exportiert. Ein Zwischenhändler in NRW hatte mit den Fertig-Lasagnen schließlich noch ein Geschäft auf dem deutschen Markt gemacht. Dass sich dieser Weg für die Produzenten rechnet und dass für jeden Beteiligten in dem hochverarbeiteten Billigprodukt am Ende noch eine Gewinnmarge steckt, lässt schon viel über die Qualität des Fleischs erkennen. Zumal Pferdefleisch im Zweifelsfall hochwertiger als Rindfleisch ist.

Auch wenn dieser Kuhhandel nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen nicht gefährlich, sondern bloß geschmacklos ist, lässt er doch ahnen, dass er nur die Spitze des Eisbergs ist: In der EU gilt das Gesetz des freien Warenverkehrs, die Frequenz der Kontrolle von Lebensmitteln richtet sich nach der Höhe ihres Gesundheitsrisikos. So kommt es, dass vieles den deutschen Zoll unbesehen und unkontrolliert passiert. Mängel oder Etikettenschwindel fallen allenfalls bei Stichproben auf. Lange Lieferketten und Tiefstpreise bei Fleischprodukten laden zum Betrug regelrecht ein. Da ist gut beraten, wer seine Lasagne möglichst oft selbst kocht. Wer weiß, was drin ist, der hat nämlich auch eine Vorstellung davon, was sie mindestens kosten muss, wenn bei ihrer Herstellung alles mit rechten Dingen zugehen soll.

E-Mail: nicole.mieding@rhein-zeitung.net