Berlin

RZ-INTERVIEW: Parteienforscher sieht „dünne Personaldecke“

Parteienforscher Oskar Niedermayer
Parteienforscher Oskar Niedermayer Foto: privat

Das Mitregieren in den Ländern verändert die Grünen, sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Mehr dazu verrät er in einem Interview mit unserer Mitarbeiterin Rena Lehmann.

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Berlin. Das Mitregieren in den Ländern verändert die Grünen, sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Das Interview:

Wo stehen die Grünen ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl?

Die Partei steht momentan deutlich schlechter da als noch vor einem Jahr. Anfang 2011 war sie im Höhenflug, da galt sie schon als neue Volkspartei. Davon ist nichts geblieben. Die Grünen stehen jetzt in der Wählergunst wieder dort, wo sie 2009/2010 waren. Die anderen kleineren Parteien stehen aber noch deutlich schlechter da. Die FDP ist fast nicht mehr vorhanden, auch die Linkspartei kämpft mit sich. Die Grünen sind ganz klar dritte Kraft.

Ist die Euro-Krise ein gutes Thema für die Grünen?

Sie ist kein Thema, mit dem sie punkten können. Die Wähler sehen ihre Kompetenzen ganz klar in der Umweltpolitik. Das ist ihr Markenkern, und dabei sollten sie auch bleiben. Das könnte ein Problem sein, weil es nicht das Thema der Bundestagswahl werden wird. Die Grünen könnten sich aber bei der Energiewende stärker profilieren.

Schadet oder nützt es den Grünen, dass sie bisher keinen Spitzenkandidaten haben?

Einerseits akzeptieren die Anhänger der Grünen durchaus, dass sie weit weniger personalisiert sind. Eine starke Personalisierung hat in Berlin mit Renate Künast für die Grünen nicht gut funktioniert. Auf der anderen Seite ist es heute so, dass Wahlkämpfe auf Personen zugeschnitten werden. Dem müssen die Grünen Rechnung tragen.

Wenn die Piraten ihnen Wähler abgreifen, wo können die Grünen hinzugewinnen?

Sie haben sich durchaus neue Wählerschichten erschlossen. Sie werden vom neuen Bürgertum gewählt. Das sind Besserverdienende mit einer anderen Werteordnung als die der FDP-Wähler, die auch aus dem Bürgertum kommen. Um den Piraten zu begegnen, müssten sie deutlicher machen, dass sie auch auf Transparenz und Mitmachen setzen. Da haben die Piraten im Augenblick ein Alleinstellungsmerkmal, das objektiv gar nicht so gerechtfertigt ist.

Die Grünen sagen offen, dass sie mit der SPD eine Koalition bilden wollen. Ist das klug?

In unserem jetzigen Parteiensystem halte ich es generell für falsch, sich auf Gedeih und Verderb auf eine andere Partei festzulegen. Man sollte zwar im Wahlkampf seine Präferenzen sehr deutlich machen, aber nicht alle anderen Möglichkeiten definitiv vorher ausschließen.

Wäre Schwarz-Grün noch möglich?

Auf jeden Fall. Insbesondere das Hauptstreitthema Atompolitik ist durch den Atomausstieg nun erledigt. Ein Teil der grünen Führung wäre dafür offen.

Wie hat das Mitregieren in vielen Landtagen die Partei verändert?

Wie man in Baden-Württemberg sehen kann, verändert es die Grünen schon. Sie müssen Kompromisse machen und ihrer Klientel erklären, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das ist ein Lernprozess für die Partei.

Sehen Sie die Zeit für einen Generationenwechsel in der Führung gekommen?

Grundsätzlich ja, aber ein Wechsel allein löst noch keine Probleme. Man muss auch die richtigen Leute dafür haben. Da ist die Personaldecke noch etwas dünn. Außerdem binden die „Älteren“ die traditionelle Stammklientel, die mit ihnen alt geworden ist und sie schätzt.

Das Gespräch führte Rena Lehmann