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Simmern

Fall Abuev: Kirche gewährt Familie Asyl – Falscher Rat von Kreisverwaltung?

Von Volker Boch
Mehr als 1000 Personen haben eine Unterschriftenaktion des VfR Simmern unterzeichnet, dass Islam Abuev mit seinen drei Schwestern und Vater Ruslan in Deutschland bleiben sollen. Aus Furcht vor drohender Abschiebung gewährt die evangelische Kirchengemeinde Simmern der Familie Asyl.  Foto: Werner Dupuis
Mehr als 1000 Personen haben eine Unterschriftenaktion des VfR Simmern unterzeichnet, dass Islam Abuev mit seinen drei Schwestern und Vater Ruslan in Deutschland bleiben sollen. Aus Furcht vor drohender Abschiebung gewährt die evangelische Kirchengemeinde Simmern der Familie Asyl. Foto: Werner Dupuis

Im Streit um das Aufenthaltsrecht der in Simmern lebenden Familie Abuev spitzt sich die seit Tagen angespannte Lage weiter zu. Seit Wochenbeginn befindet sich der aus Tschetschenien stammende Vater Ruslan Abuev mit seinen vier 12, 13, 15 und 18 Jahre alten Kindern im Kirchenasyl, das die evangelische Kirchengemeinde Simmern gewährt. Zuvor hatte die Ausländerbehörde der Kreisverwaltung den Antrag der Familie auf die Gewährung eines Aufenthaltsrechts abgelehnt und die Abuevs zur freiwilligen Ausreise aufgerufen. Damit droht die Zwangsabschiebung.

Lesezeit: 6 Minuten
Der Fall Abuev ist kompliziert. Dahinter steht der Versuch einer 2010 aus Tschetschenien geflohenen Familie, die seit 2013 im Rhein-Hunsrück-Kreis lebt, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen. Mehr als vier Jahre, nachdem Ruslan Abuev mit seinen Kindern in Deutschland angekommen ist, wurde im Sommer vergangenen Jahres endgültig ein Asylantrag der Familie ...
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Kirchenasyl als letztes Mittel

Unter Kirchenasyl wird die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Kirchengemeinde oder einer Pfarrei verstanden. Dies wird als letztes Mittel betrachtet, wenn eine Abschiebung für die Schutzsuchenden zur Gefahr für Leib und Leben führen könnte. Dieser Vorgang ist höchst selten, zuletzt hatten die Kirchengemeinden Kirchberg und Büchenbeuren im Februar 2017 einem jungen Somalier Kirchenasyl gewährt, um diesen vor der Abschiebung zu schützen.

Der Flüchtling blieb im Kirchenasyl, bis ein Streit um das Alter des jungen Mannes abgeschlossen war. Als Minderjähriger durfte er schließlich in Deutschland bleiben. vb

Ein einzigartiger Vorgang: Volker Boch zum strittigen Fall des Aufenthaltsrecht

Unsere Zeitung berichtet nur sehr selten über strittige Fälle des Asyl- und Aufenthaltsrechts. Dies liegt auch daran, dass oftmals starke Emotionen diesen schwierigen Teil behördlicher Arbeit begleiten und nicht jeder Vorwurf sachlich begründet ist. Im vorliegenden Fall ergibt sich ein kompliziertes Bild.

Unserer Redaktion liegen Aussagen vor, die weniger emotionale als vielmehr rechtliche Fragestellungen beinhalten und zumindest den Anschein erwecken, als seien die im Raum stehenden Vorwürfe nicht gänzlich ungerechtfertigt. Es ist ein einzigartiger Vorgang, dass sich ein Sportverein derart aktiv für ein von Abschiebung bedrohtes Mitglied einsetzt. Mehr als 1000 Personen haben die Petition des VfR unterzeichnet, um die Öffentlichkeit auf den Fall hinzuweisen.

Dass der Fall Abuev strittig ist, zeigt die Kontroverse zwischen Ehren- und Hauptamt deutlich. Die Lage hat sich zugespitzt, die Verwaltung steht offensichtlich kurz davor, eine Zwangsabschiebung einzuleiten. Als letztes Schutzmittel wurde Kirchenasyl gewährt. Dieses bietet eine Möglichkeit, die Rechtslage noch einmal genau zu prüfen, bevor endgültige Schritte erfolgen. Die Möglichkeit, zwischen Kirche und Verwaltung zu verhandeln, sollte genutzt werden.

Fall Abuev: Bringt Pass für Familie Aufenthaltsrecht?

Simmern. Mehr als 1000 Unterschriften für den Verbleib der Familie Abuev hat der VfR Simmern mit seiner Aktion „Islam muss bleiben“ in den vergangenen Tagen gesammelt. Damit will der Verein auf den strittigen Fall der geplanten Abschiebung eines 2010 mit seinen Kindern aus Tschetschenien geflohenen Familienvaters aufmerksam machen. Alles hängt laut Verwaltung und Landrat Bröhr an Ausweispapieren. Zumindest der Vater hat nun einen Pass – bringt das die Wende?

Zu den vier Kindern Abuev gehört der 15 Jahre alte Fußballer Islam, der seit 2015 für den VfR spielt. „Wir stehen zu unserem Spieler und zu seiner Familie“, sagt Kay Wohlfahrt seitens der Fußballabteilung. „Wir sind der Auffassung, dass die Familie, die seit fast fünf Jahren in Deutschland lebt, ein Recht darauf hat, in unserem Kreis einen Aufenthaltstitel zu erhalten.“

Dies betonen die Verantwortlichen des VfR vor allem vor dem Hintergrund, dass seit Mittwoch ein Pass für den Vater der Familie vorliegt. „Aus unserer Sicht liegt damit ein Grund vor, dass die Kreisverwaltung einlenken kann.“

Der Fall ist kompliziert: Im Sommer vergangenen Jahres scheiterte der von der Familie gestellte Antrag auf Asyl (wir berichteten). Experten des Asylrechts erklären allerdings, dass dies angesichts der Herkunft der Familie Abuev wenig überraschend sei. Die Aussichten, in Deutschland Asyl zu bekommen, sei für Tschetschenen grundsätzlich trotz der schwierigen Lage in diesem Land wenig erfolgsversprechend.

Der Asylantrag der Familie Abuev scheiterte letztinstanzlich im Sommer vergangenen Jahres mit einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht. Aufgrund der inzwischen bereits rund fünf Jahre andauernden Aufenthaltsdauer der Familie im Rhein-Hunsrück-Kreis und, wie es der VfR Simmern beschreibt, „gelungener Integrationsbemühungen auf beiden Seiten“, wird seit Monaten über einen Verbleib der Familie nach dem Aufenthaltsrecht verhandelt (wir berichteten). Wie Landrat Marlon Bröhr gegenüber unserer Zeitung zuletzt erklärte, sind in diesem Zusammenhang insbesondere Pässe der Familie erforderlich. „Dann besteht die Möglichkeit, über das Aufenthaltsrecht ein Bleiberecht zu ermöglichen.“ Der Landrat äußert Verständnis für die menschliche Situation, sieht zugleich aber die Verpflichtung der Verwaltung, den Anforderungen des maßgeblichen Aufenthaltsrechts zu entsprechen.

Konkret sieht der Gesetzgeber laut Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes eine „Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden“ vor. Diese kann die Kreisverwaltung aussprechen. Demnach soll „einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn 1. er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, 2. er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat, 3.der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird“. Dieser für einen Jugendlichen erteilte Aufenthaltstitel kann auch dessen Eltern gewährt werden.

Im Gespräch mit unserer Zeitung bekräftigte der zuständige Dezernent der Kreisverwaltung, Hans-Joachim Jung, dass die gesetzlichen Bedingungen im Fall Abuev erfüllt wären, wenn Pässe vorlägen. „Die Voraussetzungen sind erfüllt, mit Pässen wäre der Weg frei“, sagte Jung. Grundsätzlich hat die Verwaltung darüber hinaus allerdings auch die Möglichkeit, die Pässe zu ersetzen, wenn erkennbar ist, dass sich die Familie beispielsweise deutlich darum bemüht hat, die ihr gestellten Anforderungen zu erfüllen.

Laut VfR hat sich die Familie in den vergangenen Monaten dauerhaft insbesondere um Pässe bemüht. „Die Abuevs haben nach unserem Wissen alles dafür getan, dass sie die von der Kreisverwaltung geforderten Unterlagen beibringen“, sagt Wohlfahrt. So hätte die Familie, wie er weiter erläutert, unter anderem im September, Oktober und Januar das zuständige russische Konsulat in Bonn aufgesucht, um sich für den Erhalt von Pässen einzusetzen. Von Beginn an wären die Abuevs den Vorgaben der Kreisverwaltung nachgekommen, die in den regelmäßigen Gesprächen mit der Behörde gemacht worden sind.

VfR: Familie hat sich aktiv bemüht

„Die Familie hat sich aktiv darum bemüht, allen Anforderungen der Verwaltung nachzukommen“, sagt Wohlfahrt, „dass der Vater jetzt seinen Pass durch das russische Konsulat erhalten und diesen der Verwaltung direkt übergeben hat, ist für uns ein klarer Beleg dafür.“ Wohlfahrt weist auf die Komplexität des Falles hin und darauf, dass die Passverfahren einerseits mit verschiedenen Hürden verbunden und andererseits sehr langwierig sind. Nach dem Ende des Asylverfahrens im September habe sich die Familie unmittelbar beim russischen Konsulat um die von der Kreisverwaltung angeforderten Papiere bemüht. Ein erstes Dokument liegt jetzt für den Vater vor. „Nach unserer Kenntnis sollen auch für die beiden jüngsten Töchter Ende kommender Woche Pässe kommen“, sagt Wohlfahrt, „dies ist der Kreisverwaltung bekannt. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Verwaltung auf dieser Basis dann auch eine Aufenthaltsgenehmigung aussprechen kann.“

Von unserem Chefreporter Volker Boch

Streit um Abschiebung einer Simmerner Familie: Sportverein appelliert an Landrat Bröhr

Simmern. Die geplante Abschiebung eines Familienvaters mit vier Kindern sorgt für einen Streit zwischen dem VfR Simmern und der Kreisverwaltung. Der mehrfach für seine Integrationsarbeit ausgezeichnete Sportverein kritisiert die Behörde scharf, weil diese eine aus Tschetschenien stammende Familie in den kommenden Tagen abschieben möchte.

Aus Sicht des Vereins sieht das Aufenthaltsrecht die Möglichkeit vor, dass die Verwaltung einem Verbleib der Familie im Kreis zustimmt. Die Ausländerbehörde des Kreises sieht diese Möglichkeit derzeit nicht.

Es ist ein bislang einmaliger Vorgang: Am Mittwoch vergangener Woche hat sich der Vorsitzende des VfR Simmern, Wolfgang Schamma, in einem eindringlichen Brief an Landrat Marlon Bröhr gewendet. Der Vorsitzende des rund 1000 Mitglieder starken Vereins kritisiert die von der Verwaltung geplante Abschiebung der seit 2013 im Rhein-Hunsrück-Kreis und seit Februar 2014 in Simmern lebenden Familie Abuev scharf.

Das Schreiben bezieht sich grundsätzlich auf das umfangreiche Engagement des Vereins für die Integration von Menschen fremder Herkunft sowie explizit auf den jungen Fußballer Islam Abuev, der seit 2015 erfolgreich für den VfR Simmern spielt. Gemeinsam mit seinen 13, 14 und 18 Jahre alten Schwestern sowie seinem 43 Jahre alten Vater lebt der 15-Jährige seit vier Jahren in Simmern und gilt aus Sicht des Vereins als „bestens integriert“. Dass die Verwaltung vor wenigen Tagen die Abschiebung der Familie angekündigt hat, trifft den Verein und die Familie wie ein Schock.

Die Verantwortlichen des VfR beschreiben mit Blick auf die Familie Abuev ein Musterbeispiel an Integration. Die Sprachkenntnisse der Kinder sowie deren schulische Leistungen bis hin zur konkreten Aussicht auf einen Ausbildungsplatz für die älteste Tochter sprechen aus Sicht des Vereins ebenso dafür wie die Tatsache, dass es für den Vater der Familie eine Arbeitsstelle geben würde. Diese allerdings darf der 2010 aus Tschetschenien geflohene und von seiner Frau getrennt lebende Mann nicht annehmen, da er keine Arbeitserlaubnis hat. Hinter solchen knappen Fakten steckt ein komplexer Fall, der den VfR Simmern öffentlich aktiv werden ließ.

Wie der Verein beschreibt, scheiterte im Sommer vergangenen Jahres der von der Familie gestellte Asylantrag endgültig. Zunächst hatte das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag abgelehnt. Anschließend scheiterten die Abuevs mit Klagen gegen den negativen Asylbescheid, laut Kreisverwaltung letztinstanzlich beim Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Verein und Verwaltung stellen zudem gleichlautend dar, dass anschließend zwischen der Ausländerbehörde des Kreises und der Familie darüber beraten wurde, welche Handlungsmöglichkeiten nach dem (negativen) Abschluss des Asylverfahrens noch bestünden.

Eine Möglichkeit, dass die Familie in Deutschland bleiben kann, bietet das Aufenthaltsgesetz. In Paragraf 25a dieses Gesetzes ist geregelt, dass „einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer“ eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn dieser sich seit vier Jahren im Land aufhält und er seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht. Dieser für einen Jugendlichen erteilte Aufenthaltstitel kann auch dessen Eltern gewährt werden.

Offensichtlich unstrittig ist, dass die Abuevs allein mit Blick auf die positive Entwicklung der Kinder in der Schule gut integriert sind. An einem Punkt gehen die Meinungen aber völlig auseinander. Die Behörde setzt eine Passpflicht voraus, die nach Aussagen des zuständigen Dezernenten Hans-Joachim Jung und Landrat Bröhr erfüllt sein muss. Der Verein geht nach Rücksprache mit verschiedenen Juristen jedoch davon aus, dass die Verwaltung diese Passpflicht im Rahmen ihres Ermessens „ersetzen“ kann. Zudem erklärt der VfR, dass die Ausländerbehörde im laufenden Verfahren widersprüchliche Aussagen getroffen habe. Diesem Vorwurf tritt die Verwaltung entschieden entgegen.

Eine strittige Frage ist, ob sich die Familie engagiert genug verhalten hat, um bei russischen Behörden Pässe zu erlangen. Eine andere ist, ob die Verwaltung nicht triftige Gründe hat, diese Passpflicht zu ersetzen – und damit den Verbleib im Kreis zu ermöglichen.

Von unserem Chefreporter Volker Boch
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