Diez

Standing Ovations für großen Auftritt: Ray Chen begeistert bei Oraniensteiner Konzertabend

Gut besucht war der Violinabend mit dem Geiger Ray Chen und dem Pianisten Julien Quentin in der Oraniensteiner Schlosskapelle.
Gut besucht war der Violinabend mit dem Geiger Ray Chen und dem Pianisten Julien Quentin in der Oraniensteiner Schlosskapelle. Foto: Tom Doms

Der 32-jährige australisch-taiwanesische Stargeiger Ray Chen gilt gemeinhin als Ausnahmekünstler, der die Rolle des klassischen Musikers im 21. Jahrhundert neu zu definieren versucht. Mit seiner Online- und Medienpräsenz inspiriert er nicht nur den traditionellen klassischen Konzertbesucher, sondern begeistert weltweit in beispielloser Weise auch ein junges Publikum für die klassische Musik. Und so war es auffällig, dass zum jüngsten Oraniensteiner Konzert viele junge Ray-Chen-Fans teilweise von weit her angereist waren, um den Weltklassegeiger im Schloss Oranienstein zu erleben.

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Durch die außerordentliche Brillanz der Interpreten und die dargebotene allerhöchste künstlerische Qualität zählte dieser Oraniensteiner Konzertabend wohl zu den unvergesslichsten Musikereignissen, die das Diezer Publikum in mehr als einem Vierteljahrhundert Konzertgeschichte in Oranienstein erleben konnte.

Im Publikumsgespräch, das die Oraniensteiner Konzerte unter dem Titel „Begegnung mit den Künstlern“ traditionell vor den Konzerten anbieten, erläuterte Ray Chen seinen Gästen nicht nur das Programm des Abends, sondern auch seine Philosophie als international zwischen den Kulturen agierender Musiker: „Es ist natürlich richtig, dass Musik eine universelle Sprache ist. Aber eigentlich dreht sich doch alles um die Emotionen. Und um Emotionen zu erleben, ist niemand zu alt oder zu jung. Sie alle sind jung, wenn es um Musik geht!“, schmeichelte er seinen aufmerksam lauschenden Zuhörerinnen und Zuhörern.

Außerordentlich informativ war dann auch die kurze Einführung in sein neuestes interaktives Onlineprojekt. Das „pocket conservatory“ (http://www.pocketconservatory. com) hat Ray Chen gemeinsam mit kommerziellen Partnern wie Youtube, Twitch und Twitter Spaces sowie renommierten klassischen Musikerinnen und Musikern gegründet. Das virtuelle „Taschen-Konservatorium“ ist ein akustischer Gemeinschaftsraum für Musikerinnen und Musiker aller Niveaus zum täglichen Üben und Auftreten. Die Gemeinschaft von mittlerweile über 6000 Nutzern aus rund 120 Ländern schlage eine Brücke zwischen Liebhabern klassischer Musik und (hoch-)begabten Interpreten.

Nicht virtuell, sondern real konnten die Konzertgäste in der trotz strenger Hygieneauflagen gut besetzten Oraniensteiner Schlosskapelle dann im nachfolgenden Konzert ein ausgesuchtes Programm mit Werken aus Klassik, Romantik und klassischer Moderne für Violine und Klavier auf Weltklasseniveau erleben. Ray Chen, der in seiner jungen Karriere bereits zahlreiche Stradivari-Violinen von der japanischen Nippon Music Foundation zur Verfügung gestellt bekommen hat, ließ dabei – gemäß Ansage im Publikumsgespräch – die Stradivarius Violine „Dolphin“ (1714) in der für Streicher sehr guten Akustik der Kapelle erklingen.

Ab dem ersten Ton zeigte sich seine kammermusikalische Exzellenz im Zusammenspiel mit dem Pianisten Julien Quentin. Bewusst war der Konzertbeginn mit Werken konzipiert, in denen das Klavier ebenbürtiger Partner der Violine und nicht nur Begleitinstrument ist.

Einer in ihren klanglichen und emotionalen Feinheiten differenziert ausgestalteten, wunderbar interpretierten Beethoven Sonate (Nr. 8, G-Dur, op. 30) folgte bereits vor der Pause der Höhepunkt des Abends: Igor Strawinskys Divertimento aus der Ballettsuite „Le baiser de la fée“ (Kuss der Fee) in der Fassung für Violine und Klavier erstrahlte durch die Geige des jungen Weltstars Ray Chen derart plastisch und facettenreich, dass die zauberhafte Musik vor dem inneren Auge der Zuhörerschaft unmittelbar eine tänzerische Märchenwelt entfaltete – von beiden Musikern hochvirtuos und mit enormer Bandbreite an klanglichem Ausdruck dargeboten.

Der zweite Konzertteil war dann mehr dem geigentechnischen Können des Virtuosen Ray Chen gewidmet, der mit grenzenlosen Möglichkeiten in der berühmten „Teufelstriller-Sonate“ (g-Moll) von Giuseppe Tartini, den Ungarischen Tänzen Nr. 7 und 17 (Fassung für Violine und Klavier) und den sowohl emotional nach innen gewandten als auch mitreißend feurigen Zigeunerweisen (op. 20) von Pablo de Sarasate brillierte.

Große Begeisterung und Dankbarkeit des Publikums für einen unvergesslichen Konzertabend fand ihren Ausdruck in tosendem Applaus, lang anhaltenden stehenden Ovationen (zu dem nahezu alle Konzertgäste von ihren Sitzen aufsprangen) und mehreren Zugaben, von denen vor allem die berühmte vom US-amerikanischen Komponisten John Williams geschriebene Filmmusik zu „Schindlers Liste“ in Erinnerung bleiben wird. Fast schien es, als ob Ray Chen und Julien Quentin diese Musik in Oranienstein noch inniger und ausdrucksstärker interpretierten als Itzak Perlmann und das Pittsburgh Symphony Orchestra im Filmoriginal.