Rinzenberg. Die Züge in Deutschland kommen nie zu spät. Die deutschen Rentner besitzen viel Geld und reisen gern durch die Welt. In Deutschland sind alle gleich, es gibt keine Klassenunterschiede: So sieht Li Ke das Land, in dem er seit einem Jahr lebt. Man hat den Eindruck, dass seine Vorstellungen von der Bundesrepublik hat noch ein gutes Stück reifen müssen.
Aber natürlich ist auch das, was die Deutschen über China wissen oder zu wissen glauben, wacklig. Deshalb stand Li Ke vor wenigen Tagen am Pult in Philippe Devauds Atelier in Rinzenberg und erzählte vor 100 Gästen, unter ihnen viele seiner Landsleute und lokale Prominenz, von China und von dem Bild, das die Chinesen von Deutschland haben. Wenn man die jeweils andere Kultur versteht, kommt man sich näher, sagte er sich.
Künstler Devaud hatte am Wochenende zur Vernissage geladen: „China – Europa“ nennt er die Ausstellung, die er noch zwei Wochen in seinem Atelier in Rinzenberg zeigt. Als Laudator hatte er sich den Kreisbeigeordneten Peter Simon gesichert, für den musikalischen Teil eine Frau, die er über familiäre Kontakte für diesen Abend vom Bodensee in den Hunsrück holte: Gisela O'Grady-Pfeiffers Spiel mit einem Geigenbogen auf einem Sägeblatt hörte Devaud versunken, den Kopf in beide Hände gestützt, auf einem Stuhl zu.
Auch Kreisbeigeordneter Simon beschäftigte sich mit China und den Chinesen, die sich an der oberen Nahe angesiedelt haben, vor allem im Oak Garden in Hoppstädten-Weiersbach. „Unsere chinesischen Neubürger leben sehr unauffällig mit uns gemeinsam“, beschrieb er das Zusammenleben. „Sie sind äußerst höflich im Umgang, betreiben ihre Handelsgeschäfte ohne großes Tamtam, ihre Kinder besuchen unsere Tagesstätten und Schulen.“ Probleme seien, wenn überhaupt vorhanden, minimal und lösbar.
Deutlich kritischer sieht er die Vorgänge auf der großen politischen Bühne: „Auf der einen Seite haben wir Bewunderung für die unvorstellbar rasante Entwicklung Chinas in der Vergangenheit, den technischen Fortschritt und die konsequente Umsetzung von Planungsinhalten. Auf der anderen Seite zeigen insbesondere die aktuellen Proteste in Hong Kong, dass demokratische Rechte im westlichen Sinn als Bedrohung empfunden werden.“ Simon sprach von Joshua Wong, der die Proteste der Hongkong-Chinesen leitet: Als er von Bundesaußenminister Heiko Maas empfangen wurde, führte es zu schweren diplomatischen Verstimmungen in China. Anderer Fall: Kai Strittmatter, ein Journalist, hatte ein Buch über den Überwachungsstaat in Fernen Osten geschrieben und Einreiseverbot erhalten.
Li Ke zog im August 2018 nach Rinzenberg, im Januar 2019 kam seine Familie nach. Der 45-Jährige ist Nachbar von Devaud und hat ein Büro in der Edelsteinbörse in Idar-Oberstein. Li ist ein eloquenter Mann, der allerdings noch nicht die deutsche Sprache beherrscht. Danou Schuch aus Idar-Oberstein übersetzte und schenkte in der übrigen Zeit in Devauds Hof die Gläser voll.
Als China Anfang der 1980er-Jahre, wenige Jahre nach Maos Tod, begann, seine Wirtschaft neu auszurichten, galt noch das Gleichheitsprinzip, das sich bis in den Geldbeutel auswirkte: Alle verdienten gleich viel. Sein Vater, zum Beispiel, arbeitete an einer Universität, habe sich aber wenig leisten können. „Heute kann man in China reich werden.“ Damit aber stieg auch die Kriminalität. Und bald auch die Korruption: China versuche seit vielen Jahren, das Problem in den Griff zu bekommen. In den Schulen geraten Kinder immer mehr unter Leistungsdruck, sagt Li – das sei mit ein Grund, warum viele Chinesen nach Deutschland gekommen seien.
Von unserem Mitarbeiter Karl-Heinz Dahmer