Politologe: Kanzlerin Merkel hat der FDP die Erfolge verwehrt

Politologe Gerd Langguth vermisst Ideen bei der FDP.
Politologe Gerd Langguth vermisst Ideen bei der FDP. Foto: picture-alliance/ dpa

Berlin. Die FDP steckt seit Monaten im Umfragetief. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Gerd Langguth hat dies auch viel mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu tun. „Kohl hat immer dafür gesorgt, dass die FDP auch Erfolge feiern konnte. Merkel verweigert ihr dies bisher beharrlich“, sagt er.

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Berlin – Die FDP steckt seit Monaten im Umfragetief. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Gerd Langguth hat dies auch viel mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu tun.

„Kohl hat immer dafür gesorgt, dass die FDP auch Erfolge feiern konnte. Merkel verweigert ihr dies bisher beharrlich“, sagt er. Das schwarz-gelbe Projekt hält er auch deshalb für gescheitert. Auf absehbare Zeit werden Union und FDP keine Bundesregierung mehr stellen, ist der Parteienforscher überzeugt. Das Interview:

Die FDP diskutiert über einen Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm. Tut eine solche Debatte der Partei zurzeit gut?

Es ist gut, wenn in einer Partei kontrovers diskutiert wird – entgegen den Harmonievorstellungen vieler Wähler. Das macht die FDP interessanter. Andererseits ist die FDP, auch durch Hans-Dietrich Genscher, d i e Europa-Partei neben der CDU. Eine antieuropäische Grundausrichtung kann sie sich nicht leisten. Wenn die Basisbefragung durch Frank Schäffler ein Erfolg wird, würde das auch die junge FDP-Führung in ihrer Autorität infrage stellen können.

Die Mitgliederbefragung könnte also nach hinten losgehen?

Sie könnte für die FDP ein großes Problem werden. Hätte sie Erfolg, würde sich die Frage stellen, wie sich die FDP-Bundestagsabgeordneten verhalten. Sie können ja selbstbestimmt entscheiden, es gibt kein imperatives Mandat.

Hochs und Tiefs hatten die Liberalen ja immer. Aber nie hat eine Tiefphase so lange angehalten wie diese. Warum ist der Neustart nach Westerwelle bisher nicht geglückt?

Erstens hat die neue FDP-Führung noch nicht geliefert, jedenfalls noch nicht genügend. Zweitens sind die Grundprobleme der FDP die gleichen wie vor der Ablösung von Guido Westerwelle. Mit ihrer Konzentration auf Steuererleichterungen lagen die Liberalen falsch. Auch die Bevorzugung des Hotel- und Gaststättengewerbes ist der FDP in einer Zeit, in der sich alles um die Finanzkrise dreht, nicht gut bekommen. Außerdem hat sie sich in der Koalition bisher nicht profilieren können. Das ist der Unterschied zwischen Angela Merkel und Helmut Kohl: Kohl hat immer dafür gesorgt, dass die FDP auch Erfolge feiern konnte. Merkel verweigert ihr dies bisher beharrlich.

Wenn heute Wahlen wären, hätten CDU und FDP keine Mehrheit mehr. Ist das ein Anzeichen dafür, dass das bürgerliche Projekt möglicherweise auf lange Sicht verspielt hat?

Das schwarz-gelbe Bündnis ist faktisch gescheitert, auch durch Angela Merkel, die den Koalitionspartner derart an die kurze Leine genommen hat. Ich denke, dass die FDP bei der nächsten Bundestagswahl die 5-Prozent-Hürde überwinden wird, aber ein schwarz-gelbes Bündnis scheint mir schon rein rechnerisch kaum noch möglich zu sein. Auf längere Sicht dürfte eine bürgerliche Koalition kaum noch zustande kommen.

Andere Parteien wie die SPD gewinnen über die Länder wieder an Stärke. Ist das bei der FDP auch möglich?

Nein, denn die FDP war schon immer stärker eine Bundespartei als eine Addition verschiedener Landesparteien. Deshalb kann eine Klimaveränderung auch nur über den Bund herbeigeführt werden und nicht über die Landesverbände.

Erkennen Sie im Augenblick ein Kernthema in der Partei, mit dem sie punkten könnte?

Außer der Steuerthematik sehe ich keines. Ich bin sehr gespannt, wie die FDP sich jetzt beim Mindestlohn verhalten wird. Das ist ja letztlich für sie ein Geschenk, um sich profilieren zu können. Es müsste dem liberalen Grundverständnis entsprechen, sich gegen mehr Staat in der Lohnpolitik zu stellen.

Könnte die Partei im 21. Jahrhundert nicht auch neue liberale Themen entwickeln?

Das ist sehr schwer, denn auch die Grünen haben liberale Überzeugungen, auch die CDU, inzwischen sogar die SPD. Die liberalen Ideen sind eingesickert in alle anderen Parteien. Einen Ausschließlichkeitsanspruch auf Liberalismus gibt es für die FDP nicht mehr. Es ist überhaupt die Frage, was heute noch die liberale Idee ist. Aber das Problem haben die anderen Parteien auch: Was ist heute noch typisch christdemokratisch oder typisch sozialdemokratisch?

Warum leiden die Liberalen am meisten unter Stimmeneinbußen?

Weil die FDP schon immer eine „Funktionspartei“ war. Sie war der Mehrheitsbeschaffer für eine größere Partei. Bei der Wahl 2009 hatte sie deshalb ein so hervorragendes Ergebnis, weil ihre Funktion darin bestehen sollte, Angela Merkel ein marktwirtschaftliches Korsett anzuziehen. Dafür haben viele Wähler den Liberalen ihre Stimme gegeben.

Diese Funktion haben die Liberalen nicht erfüllt?

Bundeskanzlerin Merkel hatte gar keine Lust, sich dieses Korsett anzuziehen.

Ist die Talsohle für die FDP denn nun erreicht?

Schlechter geht es für sie ja gar nicht mehr. Aber wenn sich der Eindruck verfestigt, dass die FDP auf Dauer unter 5 Prozent bleibt, dann wird es Wähler geben, die sagen: Ich verschenke meine Stimme nicht an die Liberalen. Wenn es der FDP einigermaßen gelingt, sich zu erholen, wird sie die 5-Prozent-Hürde wieder überwinden. Aber in die Nähe des besten Ergebnisses ihrer Geschichte wie 2009 zu kommen, wird ihr so schnell nicht mehr gelingen.

Das Gespräch führte Rena Lehmann