Washington

Jimmy Carter: Der Nimmermüde aus Georgia

Jimmy Carter: Der Nimmermüde aus Georgia Foto: dpa

Der zähe, geduldige Vermittler Jimmy Carter – sogar ein Theaterstück hat man ihm inzwischen gewidmet. „Camp David“, eine Erinnerung an das 13-Tage-Drama am idyllischen Landsitz des amerikanischen Präsidenten, das mit einem Friedensschluss für die Geschichtsbücher endete, dem Abkommen zwischen Ägypten und Israel.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

In der schönsten Szene balanciert First Lady Rosalynn ein Tablett mit Keksen und Tee auf die Terrasse, wo die Protagonisten sitzen, während sie in gespielter Ahnungslosigkeit fragt: „Na, wie geht‘s voran mit dem Friedensstiften?“

Es ging überhaupt nicht voran. Anwar el Sadat und Menachem Begin hatten sich gerade so heftig gestritten, dass den Verhandlungen der Abbruch drohte. Und Jimmy Carter, der Mann in der Mitte, begriff, dass er selber einen Plan zu Papier bringen musste, statt Sadat und Begin machen zu lassen. Barack Obama, gab er unlängst zu verstehen, hätte die Lehren Camp Davids beherzigen sollen. Der Staatschef hätte sich aktiver einschalten müssen, als sein Außenminister John Kerry zwischen Israelis und Palästinensern hin- und herpendelte, dann wären die Gespräche vielleicht nicht gescheitert.

Carter wird 90, aber von Altersmüdigkeit ist nichts zu spüren. Kein anderer Ex-Präsident, einmal abgesehen von Bill Clinton, kommentiert das Weltgeschehen so ausführlich, so regelmäßig wie er. Alle paar Wochen setzt sich der alte Mann ins Auditorium seiner Stiftung, des Carter Centers in Atlanta, und genießt es, wenn ihn die Leute nach seinen Ratschlägen fragen, als wäre er das weise Orakel von Georgia. „Ja, wir müssen den Islamischen Staat angreifen, es geht um eine Bedrohung für die gesamte Region“, sagte er, nachdem Obama den IS-Rebellen den Krieg erklärt hatte. Nur mache sich keiner Illusionen über die Stärke der moderaten syrischen Opposition, auf die Washington auf einmal setze. „Die einzigen gemäßigten Kämpfer, die wir finden können, sind in der Türkei, in London oder Paris, nicht aber auf dem Schlachtfeld.“

„Der beste Ex-Präsident, den es je gab“, wird Carter, 2002 geehrt mit dem Friedensnobelpreis, bisweilen genannt. Seine Stiftung hat den parasitären Guineawurm in Afrika erfolgreich bekämpft, sie hat die Flussblindheit zurückgedrängt und fast drei Millionen Toiletten aufgestellt, um die Hygiene zu verbessern. „Die Leute reden immer vom Frieden zwischen Israel und Ägypten, dabei bin ich als Latrinenbauer doch längst viel bekannter“, witzelt der Veteran. Seit er 1982 sein Zentrum gründete, ließ er in mehr als 80 Ländern Wahlen beobachten. Manchmal sorgt er schon dann für Aufsehen, wenn er ankündigt, es in diesem oder jenem Fall nicht zu tun. In Ägypten, lautet sein aktuellster Befund, sieht er nach dem Putsch des Militärs „keinerlei demokratische Elemente mehr, wie sie Voraussetzung sind für ein ehrliches Votum – wir würden dort nur unsere Zeit verschwenden“.

An seiner Präsidentschaft dagegen scheiden sich die Geister. Als Carter 1977 ins Oval Office einzog, war er der Idealtyp des Seiteinsteigers, wie ihn Amerikaner so glühend verehren. Er fuhr auf U-Booten der Kriegsmarine und baute Erdnüsse an, ehe er sich mit 38 erstmals um ein politisches Amt bemühte, um einen Sitz im Bundesstaatensenat von Georgia. Der Nobody aus der Provinz versprach, den Skandalen à la Watergate eine Phase bedingungsloser Ehrlichkeit folgen zu lassen. Während der vier Carter-Jahre dann zwang der Ölpreisanstieg zu unpopulären Appellen an die Sparsamkeit, marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, saßen amerikanische Diplomaten in Teheran 444 Tage in Geiselhaft, während die Kommandoaktion, die sie befreien sollte, mit einem blamablen Fiasko endete.

Den Republikanern gilt Carter daher bis heute als Inbegriff amerikanischer Selbstzweifel, amerikanischer Schwäche. Aber auch die Spitzenleute der Demokraten, allen voran Obama, meiden den Parteifreund, als wäre er ein peinlicher Verwandter. Der wiederum tut so, als würde ihn das alles nicht treffen, als wäre er erhaben darüber, dass er im Ausland deutlich beliebter ist als daheim. Die 33 Jahre nach dem Abschied aus dem Weißen Haus, beharrte er neulich in Atlanta, sind die besten seines Lebens gewesen.