Greenbelt

Goldspiegel: „Webb“-Teleskop bringt neuen Blick ins Universum

Das James Webb Space Telescope (JWST) in seiner Bahn um die Erde.
Das James Webb Space Telescope (JWST) in seiner Bahn um die Erde. Foto: JWST/NASA

Das „Hubble“ schenkte uns spektakuläre Bilder von fernen Sternennebeln. Bald wird es einen Nachfolger haben. Er wird unter anderem am Nasa Weltraumzentrum in der Nähe von Washington gebaut. Ein Besuch.

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Von Andrea Barthélémy (dpa)

Hoch wie zehn Stockwerke erhebt sich der größte Reinraum der Welt. In der riesigen Halle im Goddard Space Flight Center der US-Raumfahrtbehörde Nasa (Greenbelt, Maryland) ist es sauberer als in manchem Operationssaal. Ingenieure laufen in Schutzanzügen, Kopfhauben und Mundmasken herum. Montagetribünen sind zusätzlich mit Folie umhüllt, ebenso die obligatorische US-Flagge hoch oben an der Wand. Dies alles, um ein wertvolles Baby zu schützen: Den vergoldeten Hauptspiegel des „James Webb“-Weltraumteleskops, das im Herbst 2018 als Nachfolger des „Hubble“-Teleskops 1,5 Millionen Kilometer weit ins All fliegen und neue Bilder aus dem frühen Universums aufnehmen soll.

Noch knapp zwei Jahre bis zum Abheben

Noch knapp zwei Jahre sind es bis zum Start des Teleskops an Bord einer europäischen Ariane 5-Rakete. Doch schon jetzt ist in Goddard die Aufregung förmlich zu spüren. „Es hat lange Zeit gedauert, bis wir so weit gekommen sind. Und fast wären wir nicht so weit gekommen“, sagte Nasa-Administrator Charles Bolden, als die 18 Spiegelmodule in Goddard jetzt erstmals zusammengesetzt als goldener Riesenspiegel präsentiert wurden. Ein gemeinsamer Kraftakt von Nasa, ihren europäischen und kanadischen Counterparts Esa und CSA, sowie Dutzenden hochspezialisierter Zulieferer war dazu nötig.

„Eine Biene auf dem Mond aufspüren“

Mehr als zwei Jahrzehnte hat die Entwicklung des „Webb“-Teleskops (JWST), benannt nach dem zweiten Nasa-Geschäftsführer, gedauert. Maßgeblich beteiligt daran war von Anfang an der Astrophysiker John Mather, Nobelpreisträger von 2006 und „Webb“-Projektmanager in Goddard. Befragt, was das neue Teleskop denn von „Hubble“ unterscheide, muss er kurz lachen. „Es ist gigantisch“, sagt er dann schlicht. „Es würde von der Erde aus eine Biene auf dem Mond aufspüren.“

Anders als „Hubble“, das Aufnahmen vor allem im optischen und ultravioletten Frequenzspektrum macht, wird „Webb“ im infrarotnahen Bereich arbeiten und deshalb noch weiter in die Vergangenheit des Universums zurückschauen können.

Vergoldet

Kernstück ist der 25 Quadratmeter große Spiegel, der aus Modulen zusammengesetzt ist. „Ein solches Modul herzustellen dauert fünf Jahre“, berichtet Allison Barto vom Unternehmen Ball Aerospace – sämtliche Teilspiegel wurden dort deshalb parallel angefertigt. Extrem leicht und extrem poliert müssen die Beryllium-Module mit dem Überzug aus Goldatomen sein. Und sie müssen ihre größte Brillanz bei Temperaturen kurz über dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius erreichen – denn so kalt ist es, da draußen.

Foto: dpa
Um eine gleichbleibend niedrige Temperatur zu gewährleisten, statten die Ingenieure das „Webb“-Teleskop mit immensen Sonnenschutzschilden aus. Fünf hauchdünne Folienschichten sollen sich im All auf die Größe eines Tennisfeldes entfalten. Dieses XXL-Sonnensegel muss die Strahlung vom kältebedürftigen Spiegel- und Instrumententeil des Teleskops abschirmen.

Damit der komplizierte Entfaltungsprozess problemlos klappt und ebenso das Justieren der Spiegel oder die Ansteuerung der wissenschaftlichen Instrumente, sind bis zum Launch noch viele Tests erforderlich.

Kritische acht Minuten

Besonders kritisch für die Hardware sind die acht Minuten bis zum Verlassen der Erdatmosphäre. „Die Ariane muss so gebaut sein, dass sie das zusammengeklappte Teleskop sicher transportieren kann“, erläutert Marco Sirianni. Er ist als Esa-Entwicklungsmanager zusammen mit 14 Kollegen in den USA vor Ort, um die europäischen Beiträge für „Webb“ – dazu gehören ein Spektrograf, das Infrarot-Instrument Miri, aber auch die Ariane 5-Rakete – mit der Nasa abzustimmen.

Um den Start zu simulieren, starten in Goddard jetzt Belastungstests: Der goldene Spiegel wird in seine Transportstellung zusammengeklappt und unter einem Schutzzelt auf Luftkissen aus dem Reinraum hinaus in eine ebenso hohe Vibrationskammer geschoben. „Hier wird er geschüttelt, hin und her, auf und ab, in steigender Intensität“, berichtet Ingenieur Jason Hylan und deutet auf verschieden Rüttelbühnen.

Harte Tests

Anschließend „schwebt“ der Spiegel weiter in die benachbarte Lärmkammer, wo aus zwei riesigen Turbinen Hochfrequenz-Lärm so laut wie ein startender Düsenjet auf ihn schallt. Und im Anschluss dann die Stunde der Wahrheit: Die optischen Messergebnisse müssen übereinstimmen mit denen, die vor den Härteproben erhoben wurden.

50 Meter weiter laufen Tests in der Kältekammer, einem Stahlei von der Größe eines Einfamilienhauses. Dort werden kleinere Modell-Spiegel und Teleskop-Instrumente extrem hinuntergekühlt, um ihre Funktionsfähigkeit zu prüfen. „Für die Tests arbeiten wir von Thanksgiving bis Weihnachten durch, jeden Tag in drei Schichten“, berichten die beiden zuständigen Managerinnen. Doch sie sprühen vor Begeisterung: „Wir sitzen schon so lange an dieser Sache, das ist für uns ein ganz großes Ding.“

Erst am Nasa Standort in Houston, Texas, werden schließlich alle einzelnen Teleskopteile, inklusive des Sonnenschutzsegels, zusammengesetzt und dann per Spezialfrachter im Reinluft-Container zum Esa-Weltraumbahnhof nach Kourou verschifft.

Ein Multi-Millarden-Dollar-Projekt

Die gesamte „Webb“-Mission wird voraussichtlich 8,7 Milliarden Dollar (7,8 Mrd Euro) kosten, die geplante fünf- bis zehnjährige Betriebsdauer des Teleskops eingerechnet. Und wenn ein neues Staatsoberhaupt da irgendwann nicht mehr mitzieht? Nasa-Chef Bolden gibt sich amerikanisch-zuversichtlich: „Ich finde, wir haben da eine wunderbare Geschichte zu erzählen.“