Berlin

Weibliche Neonazis drängen nach vorn

Gehen Frauen bei den Neonazis künftig vorweg? Auch beim Aufmarsch der Rechten in Remagen gab es weibliche Demonstranten. Experten zufolge sind sie meist „150-prozentig“ bei der Sache.
Gehen Frauen bei den Neonazis künftig vorweg? Auch beim Aufmarsch der Rechten in Remagen gab es weibliche Demonstranten. Experten zufolge sind sie meist „150-prozentig“ bei der Sache. Foto: dpa

Beate Zschäpe hat den Blick auf die häufig als Mitläuferinnen eingeschätzten weiblichen Mitglieder der rechten Szene gelenkt. Die 36-Jährige, die zurzeit noch zu allen Vorwürfen schweigt, soll über Jahre Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ gewesen sein.

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Berlin – Beate Zschäpe hat den Blick auf die häufig als Mitläuferinnen eingeschätzten weiblichen Mitglieder der rechten Szene gelenkt. Die 36-Jährige, die zurzeit noch zu allen Vorwürfen schweigt, soll über Jahre Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ gewesen sein.

Experten zufolge ist es kein Zufall, dass etwa auf der Internetseite der NPD eine junge selbstbewusste Frau mit langen blonden Haaren neben der Werbeanzeige für neue Mitglieder zu sehen ist. Sie beobachten seit Jahren, dass sowohl die rechte Partei, als auch rechtsradikale Gruppierungen gezielt weibliche Mitglieder ansprechen. Der weibliche Anteil beim Führungspersonal in der Szene ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

„Jeder fünfte Neonazi ist eine Frau. Und sie sind meistens 150-prozentig bei der Sache“, sagt Andreas Speit, Koautor des Buchs „Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene“. Die Strategie hinter der „Frauenförderung“ von rechts: Dem vermeintlich harmloseren Geschlecht gelingt es leichter, das rechtsextreme Gedankengut in der Kita oder beim Elternbeirat unter die Leute zu bringen. In Wahrheit aber sind Frauen ebenso radikal wie die Männer in der Szene.

Nicht mehr als Nazis erkennbar

Auch Beate Zschäpe wird als still, aber gewaltbereit beschrieben. Auf einem Foto aus dem Jahr 1993 sitzt sie in Jeans auf dem Sofa und liest in der „Bravo“. Wie eine typische Nazi-Braut – mit gefärbten Strähnen, Stiefeln, Aufnähern – soll sie nie aufgetreten sein. Aber das ist nach Auffassung des Rechtsextremismus-Experten Speit auch grundsätzlich nicht mehr der Fall. Er beobachtet, dass Frauen aus allen gesellschaftlichen Milieus zur Szene stoßen. Die Bandbreite ist groß geworden, die Nazi-Frauen sind häufig nicht mehr auf den ersten Blick als solche erkennbar. Frauen mit gutem Schulabschluss aus bürgerlichen Familien sind darunter, genauso wie Frauen mit zerstörten Familien, die in den straff organisierten rechten Kadern Halt suchen. „Viele junge, dynamische Frauen fühlen sich von der Action-Kultur der Szene angezogen und haben auch Lust, sich mit der Polizei auseinanderzusetzen“, sagt Speit. Daneben gäbe es Junge wie Ältere, die sich der sogenannten völkischen Szene anschließen. Sie arbeiten nicht selten in pädagogischen Berufen und legen Wert auf traditionelle, weibliche Kleidung. „Gerade auf kommunaler Ebene kommen Frauen bei Wahlen besser an als Männer, etwa als nette Nachbarin, die sich im Ort sozial engagiert.“

Die Sozialwissenschaftlerin Michaela Köttig erklärt: „Die derzeitige Strategie der rechten Szene ist, alle gesellschaftlichen Schichten zu unterwandern.“ Dabei seien besonders Frauen gefragt, die sich als Betreuerin eines Schwimmvereins oder im Yoga-Kurs für werdende Mütter einbringen. „Man traut ihnen überhaupt keine rechtsextreme Ideologie zu. So gelingt es ihnen, ihre Vorstellungen nach und nach in diesen Kontext einfließen zu lassen, damit dieser immer normaler wird.“ Der Mythos von der Frau allein als friedliebende Gefährtin und Mutter ist auch innerhalb der rechten Szene überholt. Längst drängen sie in vordere Positionen, wie zuletzt etwa NPD-Frau Marianne Pastörs, die sich in Mecklenburg-Vorpommern für das Landratsamt bewarb.

Lernen, den Holocaust zu leugnen

„Die Frauen stehen den Männern der Szene in ihrer Radikalität und Ideologie in nichts nach“, sagt Andreas Speit. Sie betrachteten die liberal-kapitalistische Gesellschaft als gescheitert und würden sich wie die Männer auch ideologisch weiterbilden. „Auch sie lernen, den Holocaust so zu leugnen, dass es nicht als strafrechtlich relevant gelten kann. Auch sie lesen die einschlägige Literatur, das merkt man ihren Reden und Auftritten an.“ Auch Beate Zschäpe schätzt Speit nach dem, was man bisher weiß, keineswegs als Mitläuferin ein: „Sie lebte 13 Jahre im Untergrund und wusste von zehn Morden und 14 Banküberfällen.“ All das spricht aus seiner Erfahrung gegen die Vorstellung von ihr als „Betthäschen“ der Drahtzieher.

Für viele Frauen wird die Szene den Experten zufolge auch deshalb attraktiv, weil sie dort „als Trägerinnen des deutschen Erbguts“ hofiert würden. Wenn sie innerhalb der Szene in höhere Ämter drängen, dann allerdings meist nach ihrem ganz eigenen Verständnis von Emanzipation: „Sie lehnen die moderne Gesellschaft ab und sehen die Frau zum Beispiel in der Rolle als Mutter und Berufstätige überfordert“, erklärt Speit. Rechte Frauen forderten stattdessen ein Gehalt für Mütter – und das ausschließlich für deutschstämmige Mütter.

Aus der Szene auszusteigen, ist für viele von ihnen sehr viel schwerer als für Männer. „Die meisten von ihnen haben viele Kinder und sind dann ganz auf sich allein gestellt“, berichtet Speit. Auch das ist eine Folge des Rollenverständnisses innerhalb der rechten Szene.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann