Brüssel

TV-Duell: Spitzenduell ohne Spitzen

TV-Duell
Martin Schulz (L) und Jean-Claude Juncker vor Beginn des TV-Duells.  Foto: Markus Schreiber

Eigentlich hätte man dieses sogenannte TV-Duell nach rund 20 Minuten beenden können. ZDF-Chefredakteur Peter Frey hatte die beiden Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, Martin Schulz, und der Konservativen, Jean-Claude Juncker, gerade gefragt, welche Unterschiede es zwischen ihnen geben würde. Da bekannten beide freimütig: „Es gibt wenig Unterschied.“ (Schulz). Und: „Ich verstehe Wahlkampf nicht als Massenschlägerei ohne Grund.“ (Juncker).

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Um die miserable Wahlbeteiligung von 2009, als rund 43 Prozent der Wähler zur Urne gingen, anzuheben, hatten sich die Brüsseler Größen eigens etwas Neues einfallen lassen: Spitzenkandidaten der Parteienfamilien. Doch die gehen nicht einmal richtig aufeinander los. Dabei wären die beiden wichtigsten Anwärter auf den Wahlsieg mit anschließendem Aufrücken an die Spitze der nächsten EU-Kommission eigentlich bestens geeignet, um ein politisches Feuerwerk abzubrennen.

Auf der einen Seite der 58-jährige Sozialdemokrat Martin Schulz, ein kämpferischer, wuchtiger Redner, der zuspitzen und pointieren kann. Auf der anderen Seite der langjährige „EU-Philosoph“ Jean-Claude Juncker (59), dessen feinsinniger Humor oft erst auf den zweiten Blick die Tiefe seiner Äußerungen entlarvt.

Als der einstige Chef der Euro-Gruppe und luxemburgische Ministerpräsident vor wenigen Tagen in einem anderen Interview gefragt wurde, warum Schulz gegen ihn verlieren werde, antworte er: „Weil ich gewinnen werde.“ Nachfrage: „Bitte, warum?“. Juncker: „Weil er verlieren wird.“ In solchen Momenten sieht Schulz geschlagen aus. In anderen steht Juncker wiederum blass da, beispielsweise wenn Schulz als wichtigstes Anliegen einer möglichen Amtszeit als Kommissionspräsident sagt: „Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die unter Jugendlichen, zu bekämpfen.“ Während Juncker auf die „Fortsetzung des Ringens um solide Staatsfinanzen“ setzt – und seine Zuhörer ermüdet.

Dabei hatten die Wahlkampfstrategen der beiden großen Parteienfamilien darauf gehofft, dass diese Wahl genügend Zündstoff für Auseinandersetzungen um das beste Konzept bieten würde: Zuwanderung, Datenschutz, das EU-US-Freihandelsabkommen, Brüssels Neigung, auch letzte Details wie die Saugkraft von Staubsaugern zu regulieren. Stattdessen diskutiere man über institutionelle Fragen, die kaum einen Bürger ernsthaft interessieren, sagen Wahlforscher. Die Folgen lassen sich an Zahlen ablesen: Nur 51 Prozent der Franzosen ist heute noch davon überzeugt, dass die EU in der Lage ist, Krisen zu bewältigen und dass die Gemeinschaft für das eigene Land besser ist. Noch vor zehn Jahren waren es 67 Prozent. Diese Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts CSA wurde am Freitag veröffentlicht.

Es fehlt alles, was den Wähler interessieren könnte, meinte der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter vor ein paar Tagen. „Die Kommunalwahl überlagert die Europawahl findet sein Kollege Manfred Güllner, Chef des Forsa-Institutes. Dort hat man herausgefunden, dass der sozialdemokratische Bewerber Martin Schulz derzeit bei 41 Prozent hoch im Kurs steht. Jean-Claude Juncker dagegen unterstützen gerade mal 24 Prozent. Ob das auch ein Ergebnis des erkennbar unscheinbaren Wahlkampfes der beiden Spitzenkandidaten ist, kann wohl niemand ausschließen.

“Ich bin noch keinem Deutschen begegnet, der mich auf einem Plakat vermisst hat„, sagte Juncker, als er vor kurzem gefragt wurde, warum er nirgendwo plakatiert werde. Auch Schulz weiß, dass er in Deutschland einen Heimvorteil genießt (“Wir haben diese Tradition der Plakatierung, die haben andere Länder gar nicht„). In Großbritannien taucht der deutsche Parlamentspräsident dagegen nicht öffentlich auf.

Dabei unterstreichen beide, dass es “gerade bei dieser Europawahl um viel geht„. Seit Wochen heißt es, die rechten und europaskeptischen Parteien könnten gerade wegen der latenten EU-Skepsis drastische Zuwächse erreichen. Schulz und Juncker hielten im ZDF dagegen: “Wer Populisten wählt, wählt leere Sätze.

Es sind verlorene Stimmen". Der Trend könnte, so heißt es bei den Meinungsforschern, nicht nur Schulz und Juncker, sondern auch den deutschen und europäischen Spitzenkandidaten der anderen Parteien (Liberale: Alexander Graf Lambsdorff und Guy Verhofstadt, Grüne: Rebecca Harms, Ska Keller und José Bové, Linke: Gabi Zimmer, Alexis Tsirpas) zugutekommen: Die Angst vor einem Ausufern des Ukraine-Konfliktes scheint nach Auskunft von Wahlexporten bei vielen Bürgern das Gefühl wieder wachzurufen, wozu das Friedensprojekt EU notwendig sein könnte.