Kabul

Taliban nach 20 Jahren zurück an der Macht: „Sie gelten als ewig Gestrige, und das sind sie auch“

Von Gisela Kirschstein
Nach 20 Jahren zurück an der Macht in Afghanistan: die Taliban. Hoffnungen, sie könnten diesmal moderater auftreten, hält die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter für absolut unbegründet.  Foto: dpa
Nach 20 Jahren zurück an der Macht in Afghanistan: die Taliban. Hoffnungen, sie könnten diesmal moderater auftreten, hält die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter für absolut unbegründet. Foto: dpa

Nein, dass sich die Taliban im Vergleich zu vor 20 Jahren verändert hätten, dass sie liberaler und toleranter geworden seien, da sei sie „nicht sehr optimistisch“, sagt Susanne Schröter. Was die neuen Herrscher in Afghanistan wollten, sei sehr eindeutig: „Sie wollen wieder ein islamisches Kalifat errichten, und sie orientieren sich an einer regelgetreuen Scharia“, sagt die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Universität.

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Eine Neuinterpretation in Richtung eines liberaleren Islam „ist mir noch nicht untergekommen“. Schröter ist ausgewiesene Expertin in Sachen Islam, 2014 gründete die Professorin für Ethnologie das Forschungszentrum in Frankfurt, seit Jahren warnt sie vor den Folgen eines „politischen Islam“ der Fundamentalisten. Dazu gehörten auch die Taliban, sagte Schröter nun bei einer Lesung aus ihrem neuen Buch „Allahs Karawane, eine Reise durch das islamische Multiversum“ in Mainz: Die Ideologie des politischen Islam, wie die Taliban ihn vertreten, stehe den Muslimbruderschaften nahe und orientiere sich an einer strikten Auslegung des Koran, in der die Religion zur Herrschaftsideologie werde.

„Sie gelten als ewig Gestrige, und das sind sie auch“, betonte Schröter. Das aber werde erhebliche Folgen für Afghanistan haben – wenn die Taliban nun sagten, sie würden die Rechte der Frauen „unter dem Gesetz der Scharia“ respektieren, dann bedeute das im Kern eines: „Faktisch muss man sagen, die Frauen verlieren alle ihre modernen Rechte.“ Frauen dürften ihre Berufe nicht mehr ausüben, Frauen gerieten „unter die Dominanz der Männer“, erklärte Schröter weiter. Jedes Mädchen, das in die Pubertät komme, werde zwangsverheiratet, „das kann man nicht beschönigen, das ist gruselig, was die Taliban da vorhaben“.

Hintergrund sei das Bild der Frau, das aus einem veralteten Islam des 7. Jahrhunderts stamme: „Die Taliban sind der Meinung, Frauen sind der Hort der Sünde. Selbst die Stimme einer Frau oder der Klang ihrer Schuhe gelten als sündig.“ Deshalb müssten Frauen aus dem männlichen Tätigkeitsbereich entfernt werden und unter dem Ganzkörperschleier, der Burka, verschwinden, damit der Mann ihren Reizen nicht ausgesetzt werde. Auch vor 20 Jahren seien die Frauen auf diese Weise aus der Öffentlichkeit verschwunden, selbst das Frauenbad, der Hamam, sei ihnen damals verboten worden, das habe zur Folge gehabt, dass sich der Hygienestandard katastrophal verschlechtert habe.

Schröter glaubt nicht, dass die afghanische Zivilgesellschaft in der Lage ist, den Taliban substanziellen Widerstand entgegenzusetzen. Notwendig wäre dazu ein bewaffneter Widerstand, der derzeit aber nur von einer kleinen Gruppe im Pandschirtal ausgeht. In den afghanischen Städten habe es „eine kleine, gebildete Gruppe gegeben, die um eine menschenrechtsorientierte Demokratie gekämpft hat und die sich jetzt in einer ganz furchtbaren Situation befindet, weil sie merken: Das wird es nicht geben.“

Sobald die Amerikaner am 31. August abziehen, wird diese Gruppe den Taliban ausgeliefert sein, sagte Schröter. Eine kleine städtische Minderheit reiche eben nicht aus, um ein Land in eine Demokratie umzuwandeln. Dabei, betonte Schröter, sei der Islam eine sehr demokratiekonforme Religion: Der Islam als Religion sei nämlich eigentlich ein „Multiversum“, es gebe keine andere Religion, die so vielfältige Formen annehme. Wo der Islam mit lokalen Traditionen verschmelze, etwa in Indonesien oder Teilen des Sudan, „da steigt das Friedenspotenzial enorm“. In ihrem neuen Buch beleuchtet Schröter bewusst diese anderen Aspekte und Auslegungsformen, sie berichtet von muslimischen Matriarchaten in Malaysia und progressiven muslimischen Subkulturen in den USA und in Deutschland. Sie beschreibt einen „liebenswürdigen Islam“, der tolerant sei und keinerlei Bedürfnis nach Abgrenzung habe.

Dieser tolerante Islam stehe inzwischen aber weltweit stark unter Druck durch Fundamentalisten, die den Islam als Gesetzesreligion sähen – und als Mittel zur Macht. Diese Akteure wollten nur einen, den politischen Islam durchsetzen. Der Westen, sagte Schröter noch, wäre gut beraten, sich die Bündnispartner zu suchen und zu stärken, die sich dem entgegenstellen: „Das islamische Multiversum“, warnte Schröter, „ist ein bisschen in Gefahr, sich zu verflüchtigen.“

Gisela Kirschstein