Klima-Satellit macht Wissenschaftler heiß auf Eis

Deutsche Experten haben einen großen Anteil an Entwicklung und Bau von CryoSat 2 – Mission ist Teil des „Living Planet“-Programms der Europäischen Raumfahrt Die Europäische Weltraumorganisation schickt CryoSat 2 an den Start. Der Klima-Satellit ist der optimierte Nachfolger von CryoSat 1, der aufgrund eines Raketenfehlers abstürzte und im Meer versank.

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Bislang stand die Mission der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) zur Vermessung der globalen Eismassen unter keinem guten Stern. Vor viereinhalb Jahren, am 8. Oktober 2005, stürzte CryoSat 1 nach einem Fehlstart samt der russischen Trägerrakete ins Polarmeer und versank. Diese Ironie des Schicksals war ein Desaster für die europäische Raumfahrt und eine herbe Enttäuschung für die gespannt auf erste Daten von dem Satelliten wartenden Wissenschaftler.

Der in Friedrichshafen gebaute CryoSat 1 sollte helfen, den Wissenschaftsstreit um die Eisschmelze zu beenden. Auf der einen Seite prophezeien Klimaforscher dramatische Umwälzungen als Folge des Tauwetters. Auf der anderen Seite warnen Glaziologen davor, Horrorszenarien zu entwerfen, bei denen Land- und Meer-Eis undifferenziert in einen Topf geworfen werden. Um eine der beiden Aussagen zu bekräftigen, fehlt es schlicht an den verlässlichen Daten.

Diese Daten soll jetzt CryoSat 2 liefern, der kein exakter Nachbau von CryoSat 1 ist. Ob nach dem 140-Millionen-Verlust überhaupt der Bau eines neuen Satelliten durch die europäischen Wirtschaftsminister genehmigt würde, stand zunächst in den Sternen. Doch die Eismission ist eindeutig zu wichtig für die Menschheit, als dass man sie nach dem Fehlschlag mir nichts dir nichts hätte einstellen können.

Die Genehmigung kam, wie erwartet, und mit dem Bau von CryoSat 2 konnte begonnen werden. 31 Unternehmen aus 17 Ländern unter Führung von Astrium in Friedrichshafen steuerten Teile zum neuen Klima-Satelliten bei. Dieser wurde für die zweite Auflage konsequent weiterentwickelt. Die Wissenschaftler haben das Handling verbessert und wichtige Komponenten des Radars redundant ausgelegt. Letzteres ist das Hauptforschungsinstrument des Satelliten, es soll die polaren Eismassen vermessen und kartieren.

Der Stoff, an dem sich Forscher und Umweltschützer gleichermaßen reiben und erhitzen, ist also eiskalt: Es sind jene Eismassen, die die nördlichsten und südlichsten Gebiete unseres blauen Planeten bedecken. Ihr Einfluss auf das globale Klima ist unbestritten, aber wenig erforscht. Sollten die Eisschilde auf Grönland und am Südpol tatsächlich immer weiter abschmelzen, würde die ungeheure Menge an Schmelzwasser die Meeresströmungen verändern - und infolgedessen das gesamte Weltklima.

Klimaforscher auf der ganzen Welt fiebern deshalb dem Missionsbeginn des neuen Eisforschungssatelliten gebannt entgegen. Denn durch die Verzögerung wegen des Scheiterns von CryoSat 1 ist die Datennot der Ingenieure und Informatiker, der Physiker und Mathematiker größer denn je. Die Auswertung von Satellitenbildern hinsichtlich der von Eis bedeckten Flächen stellt Klimaforscher nicht zufrieden. „Für Klimaprognosen zählt nicht die Ausdehnung, sondern die Gesamtbilanz der Eismenge“, erläutert Professor Heinz Miller vom CryoSat-Projektbüro am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Der Wind könne beispielsweise Eisschollen zusammenschieben, zudem wachse derzeit der Eispanzer der Antarktis vermutlich stärker, als das Eis in Grönland schmelze, so Miller, und resümiert: „Es gibt einfach keine verlässlichen Zahlen zum Eiszuwachs oder -verlust.“

CryoSat ist Teil des ESA-Programms „Living Planet“, mit dem die Europäische Weltraumorganisation den globalen Umweltveränderungen auf der Spur ist. Die ESA begann 1991 mit dem Satelliten ERS-1 ein sehr erfolgreiches globales sowie vielseitiges Erkundungsprogramm, dem 1995 der - noch im Betrieb befindliche - Ozonwächter ERS-2 sowie 2002 die fliegende Umwelt-Überwachungsstation Envisat folgten.

Eine Reihe von Earth-Explorer-Spezialsatelliten soll gesicherte Daten über die Prozesse in der Atmosphäre, in den Ozeanen, an den Polen sowie auf dem Festland liefern. Diese Daten sind als wissenschaftliche Grundlage politischer Entscheidungen dringend notwendig. Allein im vergangenen Jahr begannen zwei ESA-Missionen: „Goce“ zur präzisen Bestimmung des Gravitationsfeldes der Erde und „Smos“ zur globalen Erfassung der Bodenfeuchte und des Salzgehaltes im Meereswasser.

In den kommenden Jahren wird die ESA rund 20 Erdbeobachtungssatelliten im Orbit haben, berichtet Volker Liebig, Direktor des Erdbeobachtungsprogramms, nicht ohne Stolz in der Stimme: „Wir haben im Moment das wohl ambitionierteste Erderkundungsprogramm des gesamten Planeten.“

CryoSat 2 wird mit einer russischen Dnepr-Trägerrakete vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan abheben. In rund 700 Kilometern Höhe wird der 700 Kilogramm leichte Satellit in eine Erdumlaufbahn einschwenken, die ihn bei jeder Umrundung über die beiden Pole führt.

Übrigens: Die planetare Katastrophe wäre programmiert, wenn die Eisschmelze so weitergeht, wie derzeit beobachtet. Experten haben ausgerechnet, dass der Meeresspiegel um 60 Meter steigt, falls das in Eis gebundene Wasser komplett schmilzt. Von Axel Müller