Rheinland-Pfalz

Julia Klöckner ist jetzt um einige Feindbilder ärmer

Infrastrukturminister Roger Lewentz
Der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Lewentz. Foto: Emily Wabitsch/Archiv

Bei aller Besorgnis um die Gesundheit von Kurt Beck: Die Tatsache, dass seine Sozialministerin Malu Dreyer (51) Ministerpräsidentin wird, lässt viele Genossen auch aufatmen – über einen Befreiungsschlag aus lähmenden Spekulationen. Ihr trauen sie einen erfrischenden Neuanfang zu.

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Das ist nicht leicht – aber Dreyer hat es leichter als Kurt Beck vor 18 Jahren, obwohl sie nicht Parteichefin wird. Dreyer erschwert vor allem der CDU das Leben: Frontfrau Julia Klöckner muss ihre politische Strategie komplett ändern.

Warum hat Malu Dreyer einen viel besseren Start als Kurt Beck 1994?

Pfälzer Beck, 1994 erst wenige Jahre Fraktionschef und im Windschatten von Ministerpräsident Rudolf Scharping unterwegs, war damals längst nicht so bekannt wie Dreyer, die seit zehn Jahren Sozialministerin ist. Vorteil 1: Die Pfälzerin Dreyer, die in Trier der CDU auf Anhieb den angestammten Wahlkreis abgejagt hat, war zudem zuvor Sozialdezernentin in Bad Kreuznach und Mainz. Sie kennt viele Mentalitäten im Land. Vorteil 2: Kurt Beck ist in der Partei nicht als „König Kurt“ gestartet. Dreyer gilt in der SPD aber bereits als „Königin der Herzen“, sie ist schon lange erste Wahl – immer mit dem Zusatz, wenn sie sich dies gesundheitlich zutraut. Vorteil 3: Die frühere Staatsanwältin konnte sich aus lästigen Spekulationen heraushalten, als sich Innenminister Roger Lewentz und Fraktionschef Hendrik Hering in der Kronprinzenrolle geschmeichelt fühlten. Sie konnte für den entscheidenden Moment gut vorbereitet, strahlend und entwaffnend bereitstehen. Vorteil 4: Wenn sie die Staatskanzlei übernimmt, hat sie – anders als zuvor Beck – schon zehn Jahre ein großes Ministerium (Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie) geführt.

Ist Dreyer auch in Berlin bekannt?

Sie ist mit 51 Jahren auch die dienstälteste Sozialministerin, die im Bundesrat und im Kreis der rot-grün regierten Länder seit Jahren bei sozialen Gerechtigkeitsthemen Akzente setzt – ob bei Rente, Mindestlohn oder Schlecker-Pleite. Sie hat im Land mit dem Kinderschutz- und dem Tariftreuegesetz bundesweit Zeichen gesetzt. Die Frau hat nicht nur Herzenswärme, sie streitet auch kompetent für Herzensangelegenheiten, notfalls auch beinhart. Auf dem Berliner Parkett ist sie also – anders als Kurt Beck zu Beginn – kein Neuling.

Aber hat Dreyer nicht auch ein Macht-Handicap? Sie wird nicht Parteichefin.

Beck konzentrierte die Macht auf sich, in Regierung und Partei, die er als Beck-SPD formte. Parteichef wird Innenminister Roger Lewentz. Er ist ein Mann, der inszenieren kann – andere (wie Kurt Beck in Wahlkämpfen), aber auch sich, wie wochenlang zur besten „Tagesschau“-Zeit beim Schiffsunglück vor dem Loreleyfelsen zu sehen war. Im Kabinett ist Dreyer die Chefin von Lewentz, wobei intern die Ressortverantwortung gilt, wie Beck im Nürburgring-Debakel immer betonte. Dieses Machtzentrum, auf das die Bürger vor allem schauen, beherrscht sie also. Das zweite Machtzentrum – die Partei – vernetzt Roger Lewentz. Die ausgleichende Gerechtigkeit dabei: Er bleibt nur unumstritten, wenn er die Probleme in seinem Ressort, in dem Konfliktfälle zwischen Hahn, Zweibrücken, Ring, Kommunal- oder Polizeireform liegen, klug löst. Diese Konstellation steht für Loyalität und Teamgeist. Machtzentrum drei liegt in der Fraktion, ein aber bislang eher in der CDU als in der SPD gefährliches Pflaster. Geführt wird sie von Hendrik Hering, der bisher, den OLG-Fall ausgenommen, nicht stark eingegriffen hat, mehr nachdenklich denn kämpferisch wirkt. Die Landes-CDU erhofft sich zwar „ein machtpolitisches Chaos“, das Generalsekretär Patrick Schnieder ausgemacht hat. Ob er aber aufs Aufmucken enttäuschter Kronprinzen hoffen kann, ist nicht ausgemacht. Beck hat die Macht in der SPD ausbalanciert. Lewentz und Hering können nur aufmucken, wenn Dreyer Fehler machen würde. Dafür ist sie nicht bekannt. Umgekehrt können sich Gegenspieler, wollen sie ihr eigenes Sprungbrett nicht absägen, auch keine Fehler erlauben. Loyalität und Professionalität sind in dieser Troika verlangt. Das muss kein Handicap fürs Land sein. Ein Tandem, die CDU hat es nach der Abwahl von Bernhard Vogel 1988 strauchelnd vorgeführt, ist eigentlich ein Phänomen des Übergangs. Die SPD wird daraus lernen wollen. Dreyer ist zuzutrauen, dass sie teambewusst Kräfte austariert, bei aller Disziplin auch mit neuem Denken alte Themen angeht.

Warum wird es für Herausforderin Julia Klöckner jetzt schwieriger?

Die Personalentscheidung hagelt der CDU ins Kontor: Julia Klöckner muss komplett umdenken. Die Attacken, die sie gegen den angeschlagenen Kurt Beck geritten hat, hätte sie am Ring wie am Hahn nahtlos auf einen Regierungschef Roger Lewentz oder Hendrik Hering umgemünzt. Unter Lewentz ist der Ring in die Insolvenz gerutscht; Hering hat den umstrittenen Vertrag mit den Pächtern abgeschlossen. Unter Herings Ägide ist die Fraport am Hahn abgezogen. Lewentz hat, so auch interner Vorwurf, den Umbau hier schleifen lassen. Keine der großen Altlasten sind aber Dreyer anzulasten, die zudem schlagfertig parieren kann, ohne schnippisch zu wirken. Klöckners große Themen Demografie und Bürgerbeteiligung denkt und lebt Dreyer seit vielen Jahren vor: Sie wohnt mit ihrem Mann (Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen) im Schammatdorf zusammen mit Menschen unterschiedlichster Biografien und mit allen Altersgruppen zusammen. Bürgergutachten hat die Frau mit dem befreienden Lachen und die Ministerin, die sich für jeden Termin penibel vorbereitet, schon 2004 gestartet. Das Feindbild für die CDU hat sich komplett geändert – nicht nur inhaltlich. Auch Julia Klöckners Tonlage muss sich ändern. Das wissen die Christdemokraten, die schon viel telefoniert haben. Ein Duell zwischen zwei starken Frauen im Land – das ist neu, wird aber spannend.

Von unserer Redakteurin Ursula Samary