Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin: Wie Kunden das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben
Abfall wird essbar
Wie unsere Zukunft schmecken könnte, zeigen experimentierfreudige Jungunternehmer der Start-up-Szene: Sie haben ein Bier aus Brotresten entwickelt, die in Bäckereien übrig sind („Knärzje“), und die Limonade „ZestUp“ aus Orangenschalen, einem Abfallprodukt der Saftindustrie. „BananaBooms“ bestehen aus geretteten Supermarktbananen – die neue Frühstückszerealie ist zuckerfrei, ohne Zusatzstoffe und selbstverständlich vegan. Das Getränk „Air Up“ setzt auf den Fakt, dass der Geruchssinn zu 90 Prozent unseren Geschmack bestimmt: Dem Wasser wird Aroma per Duft zugesetzt.
Passend zum Messemotto wirbt Daniel Morr mit grünen Eiern um Aufmerksamkeit. Üblicherweise sind die Eier, mit denen er von Nordrhein-Westfalen aus deutschlandweit Supermärkte der Rewe- und Penny-Gruppe beliefert, ungefärbt. Am neunten Tag werden sie von einem privaten Dienstleister durchleuchtet, der Brütereien bereist und kostenlos das im Ei angelegte Geschlecht bestimmt. Nur weibliche Eier werden anschließend ausgebrütet, männliche zu Tierfutter verarbeitet, was das in die Schlagzeilen gekommene Schreddern männlicher Küken vermeidet, die bekanntlich keine Eier legen und für Eierproduzenten daher unnütz sind. Für die Brütereien ist dieser Service kostenlos, den Aufwand tragen Handel und Verbraucher – „etwa 2 Cent mehr zahlt der Kunde für das Seleggt-Ei im Laden“, sagt Morr. So viel müsse einem das Ende des massenhaften Kükentötens wert sein.
In Halle 3.2 präsentieren sich einige Big Player der Lebensmittelindustrie. Und: Die global agierenden Nahrungsmittelkonzerne entdecken ebenfalls ihr grünes Gewissen. „Ob du's glaubst oder nicht: Das einzige Plastik, das wir schätzen, ist deine Kreditkarte“, steht als Slogan auf einem Poloshirt, das ein Mitarbeiter von McDonald's über die Messe trägt. Müllvermeidung ist ein großes Thema am Stand des nicht gerade als umweltfreundlich geltenden Burgerladens. Er will den Weg in eine plastikfreie Zukunft beschreiten. Der ist zwar noch weit, aber es geht voran, schildert Sprecherin Tanja Rötger: Getränkebecher wurden dünner bis an die Grenze zur Instabilität, um Plastik zu sparen. Softeis gibt es demnächst im Papierbecher mit Holzlöffel. Zudem arbeite man daran, die beschichteten Pappboxen für Hamburger und Hühnchennuggets abzuschaffen. Für die Miniportion Hühnerhappen ist die Papiertüte bereits eingeführt. Mit dem Einwickelpapier für Burger wird derzeit noch experimentiert. Graspapier hatten die Kunden in einer Testphase abgelehnt, weil es in Verbindung mit Hitze und Fett einen zu intensiven Heugeruch verströmt. Auch Pfandbecher, die es schon in 26 Städten gibt, werden von den Kunden zwar generell für gut befunden, aber wenig genutzt. „Sie können für Heißgetränke aber Ihren eigenen Becher mitbringen und bekommen an der Kasse dafür 10 Cent zurück“, sagt Rötger.
„Wir sind ein großer Tanker, das dauert ein bisschen, bis der sich dreht, aber wir sind in Bewegung“, verspricht Jürgen Straub, der sich bei der Fast-Food-Kette um die Themen Nachhaltigkeit und Tierwohl kümmert. „Das Rindfleisch für unsere Burger stammt zu 93 Prozent aus Deutschland“, betont er. Vor allem Milchkühe, die ihren Zenit überschritten haben, werden zu Buletten (Patties) verarbeitet. Auch eine gewisse Form der Nachhaltigkeit, wie er findet. Einen komplett tierfreien Burger gibt's seit vergangenen April, der Big Vegan TS laufe gut. Straub glaubt, dass das Umdenken weitergeht. „Inhouse, also in unseren Restaurants, wird's künftig vielleicht sogar Geschirr geben. In unseren McCafés wird das Essen ja schon auf Porzellan serviert.“
Abfallvermeidung treibt auch den Getränke- und Lebensmittelkonzern Danone um. „Durch verbesserte Technik, Planung und Beratung unserer Erzeuger haben wir unseren Milchabfall zwischen 2016 und 2018 von 1295 auf 242 Tonnen reduziert“, bilanziert Mira Koppert. Reste, die bei der Produktion weiterhin anfallen, werden gespendet oder zu Tierfutter verarbeitet. Produkte mit ablaufendem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gehen verbilligt an Gefängnisse und Kindergärten oder als Spende an Tafeln. Zudem leben die Milchwaren jetzt länger: Der Konzern hat die MHD-Frist von den Kunden unbemerkt um fünf Tage verlängert. Das heißt, es bleibt mehr Zeit, um sie zu essen statt wegzuwerfen.
Auch Rezepturen werden dem neuen Bewusstsein angepasst – behutsam, damit der Wandel möglichst nicht zu schmecken ist. „Wir arbeiten konstant daran, den zu hohen Gehalt an Zucker, Fett und Energie zu reduzieren“, erklärt Koppert. Bloßes Weglassen geht nicht, der Kunde muss schrittweise entwöhnt werden, weil er ein Produkt, das plötzlich anders schmeckt als er es kennt, schnell ablehnt. Zuckerfrei liegt zwar im Trend, funktioniert aber schlecht bei etablierten Produkten, betont die Danone-Sprecherin: Eine zuckerreduzierte Version des Trinkjoghurts Actimel nahm der Konzern nach einem Jahr wieder vom Markt, die vermeintlich gesündere Variante konnte sich bei den Käufern nicht durchsetzen. Gut funktioniert gesund bei neuen Produkten, erklärt Koppert: „Wir hören auf unsere Kunden und versuchen, alles, was möglich ist, umzusetzen.“ Bestes Beispiel sei ein neuer Activia-Joghurt, „rein pflanzlich und im großen Pott – das haben sich die Verbraucher gewünscht“, sagt Koppert. Seit Jahresende steht die vegane Joghurtalternative aus Soja im Regal. „Und die Papierbanderole, das war den Kunden auch wichtig, ist recycelbar.“
Konzerne überholen die Politik
Bei der Lebensmittelkennzeichnung war das Unternehmen der Politik einen Schritt voraus: Als erste in Deutschland hat die französische Firma das in Frankreich gängige Nutriscore-System auf ihre Verpackungen gedruckt. 90 Prozent des Sortiments sind mittlerweile gelabelt, der Rest folgt binnen Jahresfrist. Danone war an einem EU-weit einheitlichen System gelegen. „Es ist aber auch politisch wichtig, ein einfach verständliches Label zu haben. Bei einer wachsenden Mittel- und Unterschicht fehlt oft das Wissen, welches Produkt gesund ist“, weiß Kopper. Angst vor der Kennzeichnung brauchen die Hersteller laut der Industrievertreterin nicht zu haben. Erfahrungen aus Frankreich zeigten: „Sündiges“ der schlechtesten, rot markierten Nährwertklasse E wird weiterhin gekauft – zugleich hat es einen leichten Anstieg bei Produkten der Kategorien A und B gegeben. Die Käufer gönnen sich kleine Fehltritte jetzt also offenbar bewusster und gleichen ihr schlechtes Gewissen mit ein bisschen mehr Grün wieder aus. nim