München

NSU: Suche nach Gerechtigkeit ist aufgeschoben

Der Zorn der Opfer: Eine junge türkischstämmige Frau versucht, in die Bannmeile vor dem Gericht einzudringen. Die Polizei kann sie zurückdrängen.
Der Zorn der Opfer: Eine junge türkischstämmige Frau versucht, in die Bannmeile vor dem Gericht einzudringen. Die Polizei kann sie zurückdrängen. Foto: dpa

Bei dem spannendsten Moment an diesem Tag waren die Richter noch gar nicht im Saal: Kurz vor 10 Uhr hatte Beate Zschäpe ihren Auftritt–mit schnellen Schritten betritt sie den Gerichtssaal, dreht sich kurz, was ein wenig kokett wirkt, dann wendet sie den Fotografen den Rücken zu. Sie lehnt sich sich an eine Stuhllehne und verschränkt die Arme vor der Brust.

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Da das Gericht sich Zeit lässt, steht Zschäpe ziemlich lange so da, in schwarzem Hosenanzug und weißer Bluse. Zwischendurch stützt sie die Hände in die Hüften oder klammert sich an der Stuhllehne fest. Sie ist die Hauptangeklagte in diesem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München, die einzige Überlebende des Nationalsozialistischen Untergrunds. Ihr droht lebenslange Haft – die Anklage wirft ihr Mittäterschaft an zehn Morden vor und noch einiges mehr.

Erst als die Fotografen und Fernsehteams den Saal verlassen haben, dreht Zschäpe sich um. Die 38-Jährige sieht bleich aus und müde. Als der Vorsitzende Richter die Liste der Nebenkläger und ihrer Anwälte verliest, schaut sie aufmerksam in den hinteren Bereich des Saals; einmal verzieht sie in schwer zu deutender Weise das Gesicht. Draußen protestierten in zwischen mehrere Gruppen gegen Rassismus und rechte Gewalt.

Kaum hat der Vorsitzende Richter festgestellt, wer von den Beteiligten im Saal anwesend ist, meldet sich Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl. Er habe am Wochenende einen Befangenheitsantrag eingereicht–wie das Gericht damit umzugehen gedenke. „Was meinen Sie damit?“, fragt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Es folgt ein kleiner Wortwechsel, der eine leise Ahnung vermittelt, dass es nicht immer harmonisch zugehen wird im Gericht.

Schließlich verliest Stahl den Antrag nochmals, was knapp 40 Minuten dauert. Kurz zusammengefasst: Die Verteidiger halten den Vorsitzenden für möglicherweise voreingenommen, weil die Rechtsanwälte vor Betreten des Gerichtssaals durchsucht werden sollen, die Richter und Vertreter der Bundesanwaltschaft aber nicht. Ein Nebenklageanwalt beschwert sich: „Es soll die Verhandlung verzögert werden, die Qual der Opfer soll verlängert werden.“

Doch nach der Mittagspause kommt gleich der nächste Antrag: Der mutmaßliche Terrorhelfer Ralf Wohlleben beantragt gleich die Ablehnung von drei Richtern. Sein Anwalt Olaf Klemke liest seitenweise aus Schriftwechseln mit dem Gericht vor. Nach einer knappen Stunde ermahnt der Vorsitzende Richter irgendjemanden im Bereich der Nebenkläger, den man von der Pressetribüne nicht sehen kann: „Dass Sie hier Zeitung lesen, ist nicht möglich.“ Klemke liest weiter.

Im Saal wird es stickig. Erste Zuschauer verlassen den Saal. Dafür rückt der Bruder des Angeklagten André E. nach, in Begleitung des verurteilten Rechtsterroristen Karl-Heinz S. Zumindest, wenn man nach dem Äußeren geht, bleiben sie die einzigen Sympathisanten an diesem Tag.

Ein großer Teil der Zuschauerplätze ist von Journalisten besetzt, die keine Akkreditierung bekommen hatten und sich in die Schlange für „normale“ Zuschauer gestellt hatten. Auch der türkische Generalkonsul und ein Abgeordneter des türkischen Parlaments haben einen Platz bekommen. In der Verhandlung scheint Zschäpe eher unruhig: Mal verschränkt sie die Arme, mal stützt sie den Kopf auf, dann fährt sie sich mit den Händen über das Gesicht und streicht die Haare nach hinten. Immer wieder sucht sie das Gespräch mit ihren Verteidigern Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl.

Der Kontrast zu ihren Mitangeklagten ist deutlich: André E., der auch in der ersten Reihe der Angeklagten sitzt, fläzt sich breitbeinig auf seinem Stuhl, die Arme vor dem stattlichen Oberkörper verschränkt – eine Haltung, als könnte ihm das ganze Verfahren nichts anhaben.

In der zweiten Reihe sitzt der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, hager, ruhig, beherrscht, kühl. In der letzten Reihe schließlich die beiden Beschuldigten, die bei der Bundesanwaltschaft ausgesagt haben und auf deren Aussagen sich die Anklage stützt: Carsten S. und Holger G., die sich mit Kapuzenpulli und Aktendeckel vor den Kameras zu schützen versuchen.

Zschäpe schaut zwischendurch mit gerunzelter Stirn nach oben zur Empore, wo die Zuschauer und Journalisten sitzen. Es ist nicht klar, ob sie da oben irgendjemanden sucht oder ob sie sich nur fragt, was sie eigentlich in diesem Saal soll. „Sie wirkt selbstbewusst“, meinte die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Anett Greger, nach der Verhandlung. Die Oberstaatsanwältin zog auch gleich einen juristischen Schluss: Das entspreche auch der Einschätzung der Bundesanwaltschaft, wie man Zschäpes Rolle in der Vereinigung bewertet habe.

Nach einer Stunde und 20 Minuten hat Wohllebens Anwalt seinen Befangenheitsantrag vorgelesen. In die allgemeine Ermüdung hinein meldet sich Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer. Er kündigt einen weiteren Antrag an. Diesmal soll es um eine Aussetzung der Verhandlung und um den Sitzungssaal gehen. Das Gericht unterbricht nochmals zur Beratung. Götzl fragt, ob es weitere Befangenheitsanträge gebe. Niemand meldet sich. Und dann kündigt der Vorsitzende Richter an, man werde über die Anträge beraten. Die nächsten zwei Termine werden gestrichen. Erst am 14. Mai soll der Prozess fortgesetzt werden.

Von Jochen Neumeyer, Christoph Trost und Sabine Dobel