RZ-KOMMENTAR: Der Bundespräsident steht nunbei NSU-Opfern im Wort

Die Absage gleich mehrerer Angehöriger von NSU-Opfern vor dem Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck ist ein deutliches Signal. Es zeigt, wie Enttäuschung und Misstrauen die Betroffenen nach wie vor quälen, während die Gesellschaft längst wieder zur Tagesordnung übergegangen ist.

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Nach der beeindruckenden Gedenkfeier für die Opfer der menschenverachtenden und rassistischen Terrorzelle Anfang vergangenen Jahres hat es für die Angehörigen nicht mehr viele tröstende Worte gegeben. Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag geht der wichtigen, doch teils sehr bürokratischen Frage nach, wo in den Behörden Fehler gemacht wurden, die eine frühere Aufklärung der Morde verhinderten. Im nächsten Monat beginnt außerdem der Prozess gegen die einzige Überlebende der Terrorzelle. All das ist zweifellos wichtig, auch für die Angehörigen der Getöteten. Für eine echte Versöhnung mit den türkischen Familien, die teils selbst verdächtigt und überprüft wurden, bedarf es jedoch größerer Gesten. Ein Bundespräsident könnte dafür die richtigen Worte finden.

Joachim Gauck hat jedoch bisher nicht erkennen lassen, dass er das Thema Rechtsradikalismus zu einem großen Thema seiner Amtszeit machen möchte. Abgesehen von einem klaren Appell gegen Rechts in seiner Antrittsrede hat sich Gauck zu den NSU-Morden bisher kaum geäußert. Das liegt wohl auch daran, dass sein Vorgänger Christian Wulff das Thema Integration zu seinem großen Anliegen gemacht hatte. Von ihm stammt der Satz, dass der Islam zu Deutschland gehört. Vielen Muslimen im Land hat dieses Bekenntnis des Bundespräsidenten viel bedeutet. Wulff hatte in den letzten Wochen seiner Amtszeit auch die Gedenkfeier vorbereitet. Die Rede, die er hatte halten wollen, übernahm nach seinem Rücktritt die Bundeskanzlerin. Gauck wollte da offenbar lieber sein eigenes Thema finden und sprach anfangs viel über Freiheit und Verantwortung. Die Aufarbeitung der NSU-Morde hat seit Wulff jedoch keinen prominenten Anwalt mehr. Möglicherweise hat Gauck in seinen Gesprächen mit den Angehörigen erfahren können, welche gesellschaftliche Dimension das Thema nach wie vor hat. Und welche tiefen Verletzungen die Angehörigen erlitten haben. Er hat ihnen anschließend versprochen, dabei zu helfen, ihr Leid zu mindern. Nur mit Glaubwürdigkeit kann verloren gegangenes Vertrauen vielleicht wieder hergestellt werden. Gauck steht nun bei den Angehörigen im Wort. Sie sind nun auch sein Thema.

E-Mail: rena.lehmann@rhein-zeitung.net