Mainz

Pöbeleien, Kopfnüsse und viel Testosteron

Wenn viele sich am Wochenende in der Innenstadt amüsieren wollen, hat die Polizei eine Menge zu tun. 
Symbolfoto: dpa
Wenn viele sich am Wochenende in der Innenstadt amüsieren wollen, hat die Polizei eine Menge zu tun. Symbol Foto: dpa

Die Polizei hat in der Mainzer Altstadt oft sprichwörtlich alle Hände voll zu tun. Die Jugend strömt ins Cinestar, in die umliegenden Clubs, den Starclub, das Roxy, die Panama-Bar, das KuZ. Viele haben sich bereits draußen mit Alkohol eingedeckt. Eine explosive Mischung.

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Mainz – Der junge Mann sitzt benommen auf einem Schaufensterabsatz in der Neutorstraße.

Er ist betrunken und blutet am Kopf. 10, 15 andere junge Männer stehen drum herum, reden durcheinander. Die einen wollen was gesehen haben, die anderen nicht, reden aber mit. Polizeikommissarin Swantje Roberto (33) versucht mühsam, Zeugenaussagen, Namen, Adressen, Mobiltelefonnummern zu ermitteln, während ihr Kollege, Polizeioberkommissar Marco Küter (36), am Streifenwagen steht und per Funk Personaldaten checkt. „Wen oder was habt ihr denn gesehen?“, fragt die Beamtin „Ja, da haben sich welche geprügelt.“ Ja, wie sahen die denn aus? „Südländisch halt.“ Aha.

Es ist 0.55 Uhr in einer ganz normalen Samstagnacht in der Mainzer Altstadt. Die Jugend strömt ins Cinestar, in die umliegenden Clubs, den Starclub, das Roxy, die Panama-Bar, das KuZ. Viele haben sich bereits draußen mit Alkohol eingedeckt. Von 20 bis 6 Uhr fahren Svantje Roberto und Marco Küther von der Polizeiinspektion Weißliliengasse in der Altstadt Streife. Und sie gehen zu Fuß. Zeigen Präsenz, halten Kontakt mit Türstehern. „Da ist die Kooperation sehr gut“, erklärt Küter. „Wer das Sagen über die Tür hat, hat das Sagen über den Club. Der bestimmt nicht nur wer, sondern auch was rein kommt“, erklärt er mit Blick auf Drogen. Halbseidene Typen an der Tür können sich die Betreiber deshalb gar nicht erlauben. Es geht um Konzessionen.

Die Funkmeldung über die Schlägerei in der Neutorstraße kommt, als Wagen 1014 gerade an der Ampel Ecke Flachsmarktstraße/Große Bleiche steht. 180-Grad-Wende, Blaulicht, Sondersignal. Rasant, aber besonnen steuert die Beamtin den Wagen durch Flachsmarkt-, Schöfferstraße, mit 60 durch die Augustinergasse. Abendliche Flanierer spritzen zur Seite. Nach gefühlten 30 Sekunden ist das Team am Einsatzort. „Positiv sind unsere sehr kurzen Alarmierungswege in der Altstadt. Zwei bis drei Minuten“,sagt Marco Küter. Inzwischen sind drei weitere Einsatzwagen in der Neutorstraße eingetroffen. Allgemeines Palaver. Einer der Jung-Machos fängt an zu pöbeln, die Beamten anzumachen. „Wir sind hier, um Ihnen zu helfen!“, sagt Küter bestimmt. Inzwischen ist auch ein DRK-Einsatzwagen da, der sich des widerwilligen Blutenden annimmt. Die Beamten besteigen wieder ihre Autos, starten die „Nahbereichsfahndung“. Doch schnell ist klar: Aussichtslos im Getümmel des Nachtlebens.

Die Streife fährt durchs Bleichenviertel. Vorbei am „ 50-Grad“. Nichts Besonderes. Das Bleichenviertel ist längst viel besser als sein Ruf. Die Probleme liegen eher in der neuerdings „Südstadt“ genannten Spaßzone: Dagobertstraße, Holzhofstraße. „Hier kann man ins Kino gehen, Essen, Trinken,Tanzen“, erklärt der Kommissar die Ballung. Besonders Cliquen junger Männer verströmen immer wieder ein fatales Gemisch aus Promille und Testosteron.

1.35 Uhr: Wieder Neutorstraße. Ein junge Blonde winkt, stürzt auf den Streifenwagen zu, reißt die hintere Tür auf: „Fahren sie mich bitte zur nächsten Polizei!“ Sie fühlt sich von einem Jung-Macho bedrängt. Der wollte sie abschleppen, sie hat sich’s wohl anders überlegt. Sie ist wacklig auf den Beinen. Personalienfeststellung: Jahrgang 1995. 17 Jahre alt, wohnhaft in Wiesbaden. „ Jetzt haben wir ein Problem: Minderjährig und Alkohol“, sagt Swantje Roberto nachdenklich. Beim Alcotest auf der Wache stellt sich heraus: Die junge Dame hat tatsächlich 1,45 Promille. Die Eltern sind nicht zu erreichen, leben getrennt. Das Mädchen wird weinerlich. „Lassen sie mich heimfahren.“ „Sie fahren nirgendwo mehr hin. Das ist hier kein Wunschkonzert“, sagt Marco Küter eindringlich. Ergebnis gegen 1.50 Uhr: Zwei Kollegen packen sie ins Auto und fahren sie heim. Auch der Taxiservice für betrunkene Teenager aus Hessen kann dazu gehören.

Bis 6 Uhr hat es das uniformierte Duo noch mit den blutenden Folgen einer im Starclub eingefangenen „Kopfnuss“ zu tun, deren Empfänger nicht minder alkoholisiert ist, herum schwadroniert und pöbelt, mit zwei Personen die angeblich mit Schusswaffen herumfuchteln, was sich zum Glück als Fehlanzeige erweist, mit einer weiteren Körperverletzung in einem Club. Und noch jeder Menge dummer Sprüche und Pöbeleien. „Kleinkram. Eigentlich war es eine verhältnismäßig ruhige Nacht“, resümiert Swantje Roberto müde. Die ganz normale Härte einer Altstadt-Samstagnacht eben. Jochen Dietz


Mehr Rohheitsdelikte: Laut Kai Süßenbach, Leiter der Polizeiinspektion Weißliliengasse, hat die Zahl der so genannten Rohheitsdelikte, wie Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung – übrigens auch gegenüber Polizeibeamten – zugenommen. „Die Hemmschwelle ist gesunken.“ Und das habe nichts mit sozialer Herkunft oder der Örtlichkeit zu tun. Vier Monate lang habe die PI Weißliliengasse verstärkt Präsenz in den Bereichen der „Erlebnisgastronomie“ gezeigt und so einiges verhindert, was nicht messbar ist. Als „normaler“ Spaziergänger oder Pizza-Esser sei man in der Altstadt sicher. Blutige Nasen gebe es meistens in oder vor den einschlägigen Clubs, Kneipen und Diskos. Innerhalb oder zwischen Gruppen. Da brauche nur einer die Freundin falsch anzugucken, und schon flögen die Fäuste. ath