Vorsicht, Zucker! Welche Strategien wirklich helfen
Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz: So lautet der Beschluss, den das Kabinett am 18. Dezember in Berlin verabschiedet hat. Damit setzt sich die Bundesregierung zum Ziel, Rezepturen von Erfrischungsgetränken, Kindernahrung und Fertiggerichten zu optimieren. Hersteller haben zugesagt, den Zuckergehalt in Frühstückscerealien wie Fertigmüsli bis zum Jahr 2025 um mindestens 20 Prozent, den in Kinderjoghurts um mindestens 10 Prozent zu senken. Freiwillig, wohlgemerkt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will den Fortschritt in regelmäßigen Abständen überprüfen. Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie sollen ebenfalls neue Lösungsansätze liefern.
Keine verbindlichen Vorgaben
Zu lax, zu lahm, meinen Kritiker. Sie bemängeln, dass es der Vereinbarung an Verbindlichkeit fehlt. Sie glauben nicht, dass sich unser Ernährungsproblem ohne gesetzlich bindende Vorgaben lösen lässt. Klöckner führt dagegen stets dieselben Argumente an: Sie wolle weder Planwirtschaft noch den Bürger entmündigen, indem sie bestimmt, was er essen darf und was nicht. Kritiker sehen darin einen Beleg, dass ihr die Interessen von Industrie und Landwirtschaft näher als die der Verbraucher sind. Wohlmeinendere sagen, sie habe bloß aus dem Veggie-Day-Debakel einer ihrer Amtsvorgänger, der (grünen) Verbraucherschutzministerin Renate Künast, gelernt. Klöckner sucht den Weg aus dem Dilemma, indem sie den Blick von der übermächtigen Lebensmittelindustrie auf mittelständische regionale Handwerksbetriebe lenkt: „Mars schafft das, der kleine Handwerksbäcker nicht“, sagt sie, wenn es um feste Grenzwerte für Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln geht. Kleinen Betrieben fehlten Zeit und Mittel, um mit neuen Rezepturen zu experimentieren, führt sie im Interessenkonflikt zwischen Lebensmittelindustrie, Agrarlobby und Verbraucherschutz die heimatliche Bestandswahrung ins Feld. Und verweist zugleich auf inkonsequentes Verhalten der Käufer, wenn es um die eigene Gesundheit geht: „Den Zuckergehalt zu halbieren, klingt einfach – aber das würden die Leute nicht essen“, prophezeit Klöckner im Gespräch mit unserer Zeitung.
Damit hat sie vermutlich recht. Zwar greifen die Käufer im Laden gern nach Produkten, deren Konsum ein gesünderes Leben verspricht. Ein zweites Mal tun sie das aber nur, wenn es auch schmeckt. Klöckner setzt deshalb auf eine schrittweise Reduktion: Sie will den Herstellern die Chance zur Entwicklung geben und dem Verbraucher die Möglichkeit, sich vom Zucker langsam zu entwöhnen, „damit die Geschmäcker sich daran gewöhnen können“.
Um die Kundschaft nicht mit Ungewohntem zu vergraulen, versucht der Lebensmittelhandel, sie in den Veränderungsprozess einzubinden. „Wie viel Zucker brauchst du noch?“, fragte etwa Rewe. Der Vollsortimenter will bei rund 100 Produkten der Hausmarke zuckerreduzierte Rezepturen einführen – und bat Kunden Anfang vergangenen Jahres, ihr Geschmacksurteil zu Puddings vier verschiedener Zuckerstufen abzugeben. Der Discounter Lidl hatte sich schon Anfang 2017 verpflichtet, den Anteil von Zucker und Salz in Eigenmarkenprodukten um 20 Prozent zu reduzieren. Ende September 2018 haben schließlich die wichtigsten Verbände von Lebensmittelhandel, Lebensmittelwirtschaft und Handwerk in einer Grundsatzvereinbarung zugesagt, Klöckners nationale Reduktionsstrategie zu unterstützen, weil uns das Zuviel an Energie gesundheitlich schlecht bekommt. Geschehen soll das über weniger Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln – oder aber durch kleinere Packungsgrößen. Was Mogelwilligen die Hintertür offen lässt.
Weil zu viel Zucker das Entstehen von krankhaftem Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Demenz begünstigt, setzen sich Kinderärzte, Krankenkassen, Verbraucherschützer und die Deutsche Diabetesgesellschaft seit Langem für eine Zuckersteuer ein. In einer Umfrage im Mai 2018 sprachen sich 52 Prozent der Befragten für die „Limosteuer“ aus.
Löst Zuckersteuer das Problem?
In Frankreich, Großbritannien und Mexiko gibt es die schon. Und sie wirkt: Seit Softdrinks teurer sind, trinken Mexikos Bewohner wieder deutlich mehr Wasser – nach Einführung der Steuer sank der Verkauf von gezuckerten Getränken um 6,2, im zweiten Jahr um 8,7 Prozent. Was erklärt, warum sich die Getränkebranche mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Ein nationaler Vergleich des Max-Rubner-Instituts zeigt, dass sanfter Zwang funktioniert: So enthält etwa Schweppes Tonic Water in Großbritannien 5,1 Gramm Zucker pro 100 Milliliter. Auf den deutschen Markt kommt dasselbe Getränk mit fast der doppelten Menge an Zucker (9,1 Gramm). Über eine deutlich gesündere Sprite-Variante können sich die Polen freuen. Dort enthält der Softdrink 5,8 Gramm Zucker pro 100 Gramm – in Deutschland hingegen 9,1 Gramm. Unrühmlicher Spitzenreiter bei sämtlichen Softdrinks sind stets die USA. Nur Coca-Cola schmeckt mit 10,6 Gramm Zucker pro 100 Milliliter überall gleich. Noch. nim