RZ-INTERVIEW: Ex-Kanzler Gerhard Schröder über Steinbrücks Chancen, Europas Zukunft und ... Oskar Lafontaine

Alt-Bundeskanzler Schröder
Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder hält Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten der SPD für eine gute Wahl. Foto:  Nicolas Bouvy/Archiv

Die K-Frage der Sozialdemokraten ist entschieden und unser Mitarbeiter Michael Broecker sprach mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder über dies und noch vieles andere.

Lesezeit: 7 Minuten
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Die K-Frage ist entschieden. Peer Steinbrück soll Kanzlerkandidat werden. Was halten Sie davon?

Sollte das so sein, begrüße ich das ausdrücklich. Er will das und er kann das.

Kann er Kanzlerin Merkel schlagen?

Ja.

Peer Steinbrück hat den Wahlkampf gegen die Banken schon begonnen?

Unsinn. Peer Steinbrück hat ein sehr kluges Papier vorgelegt. Ich kann jede Einzelheit unterschreiben. Wir haben schon 2005 beim G-8-Gipfel in Gleneagles mehr Transparenz und Regulierung auf den Finanzmärkten gefordert. Die Briten und Amerikaner haben uns ausgelacht. Seit Lehman Brothers wissen die US-Amerikaner, dass Finanzmärkte reguliert werden müssen. Sie sind sogar weiter als wir. Banken, die sich an den Aktienmärkten verzockt haben, dürfen nicht vom Steuerzahler gerettet werden. Deswegen brauchen wir eine strikte Trennung der Geschäftsbereiche Investmentbanking und normales Kreditgeschäft. Das schlägt Peer Steinbrück vor. Die Großbanken werden deswegen nicht verschwinden.

Die Regierungschefs sind in der Euro-Krise mächtiger denn je. Wären Sie heute gerne noch mal Kanzler?

(lacht) Nein, das ist wirklich vorbei. Meine politische Zeit und die Regierungsjahre sind der prägende Teil meines beruflichen Wegs, es war alles in allem auch ganz erfolgreich. Aber das ist vorbei. Sie sehen einen zufriedenen früheren Politiker vor sich. Ich bleibe aber ein politischer Mensch.

Wer ist denn nun Schuld an der Euro-Krise? Sie, weil Ihre Regierung die Maastricht-Kriterien aufgeweicht und Griechenland in den Euro gelassen hat oder Helmut Kohl, weil er die Währungsunion vor der politischen Union durchsetzte?

Von Schuld kann man nicht reden. Es ist richtig und wird zusehends evident, dass die Währungskrise eine politische Krise ist und eine gemeinsame Währung nur mit einer integrierten politischen Union funktioniert. Europa muss auch seine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik koordinieren, damit die Disparitäten nicht zu groß werden. Aber für Helmut Kohl gab es damals gute Argumente, obwohl Europa noch nicht in der Lage war, diese politische Union zu gründen. Die gemeinsame Währung sollte die Zögernden zwingen, die politische Union nachzuliefern.

Und Sie haben als Kanzler die Euro-Zone erweitert, ohne die politische Union zu vervollständigen?

Auch zu meiner Zeit konnten wir die politische Union nicht liefern, weil die EU-Erweiterung um die osteuropäischen Länder anstand. Diese Erweiterung hatte Vorrang. Alles andere wäre unhistorisch gewesen.

Griechenlands Wirtschaftsstruktur ist offensichtlich nicht reif für Europa.

Ökonomisch mag das richtig sein. Wenn die Europäische Kommission von der griechischen Regierung damals die korrekten Zahlen bekommen hätte, wäre sicher eine andere Entscheidung getroffen worden. Politisch gehört Griechenland aber als Wiege der Demokratie unzweifelhaft zu Europa. Im Nachhinein kann man leicht Fehler feststellen. Übrigens haben CDU und FDP im Europaparlament dem Beitritt Griechenlands zugestimmt.

Gibt es eine Kontinuität in der Europapolitik von Kohl über Schröder bis Merkel?

Weitgehend ja. Die Rolle Deutschlands als stärkste Wirtschaftsmacht in Europa muss eine führende bei der Weiterentwicklung Europas sein. Auch die deutsch-französische Achse als Triebfeder für Europa stand nie außer Frage. Es geht mir aber um die Art und Weise, wie diese Führungsrolle übernommen wird. Frau Merkel ist in dieser Frage nicht viel vorzuwerfen, aber dass etwa ein Unionsfraktionschef Volker Kauder sagt, in Europa werde ‚deutsch gesprochen’ war ein verhängnisvoller Fehler.

Haben die Verantwortlichen die Fliehkräfte unterschiedlicher Volkswirtschaften unterschätzt?

Wir haben nicht die Fliehkräfte unterschätzt, sondern unsere politischen Möglichkeiten. Erst die Krise hat allen vor Augen geführt, dass eine politische Union nun folgen muss. Es war ein ständiges Ringen, die politische Union voranzutreiben. Nur ein Beispiel: Die Konservativen und die FDP haben damals eine Wirtschaftsregierung für Europa abgelehnt, heute sehen sie das auch anders. Die Krise hat alle eines Besseren gelehrt.

Spricht die Kanzlerin mit Ihnen über Europapolitik?

Nein, dieser Austausch zwischen Regierungschefs und früheren Verantwortlichen gehört in anderen Ländern durchaus zur politischen Kultur. In Deutschland nicht. Das mag man bedauern, es ist aber so.

Teilen Sie Merkels Satz: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa?

Europa ist mehr als eine Währung. Europa ist als geografischer Ort, als Heimat und auch als politische Kontur unverrückbar. Insofern halte ich den Satz für überzogen. Dennoch haben wir ein ökonomisches Interesse am Bestand des Euro. Eine Rückkehr zur D-Mark hätte durch die folgende Aufwertung der Mark gravierende Folgen für die Exportwirtschaft. Dass der Erhalt des Euro uns aber auch was kosten wird, muss man den Menschen ehrlich sagen.

Muss die Zahl der Euro-Länder gleich bleiben, um Europa zu stärken?

Nicht unbedingt. Wenn Sie auf Griechenland abzielen: Das Problem ist, dass es den Spekulanten nicht gelingen darf, die Politik zu zwingen, ein Land fallen zu lassen. Die Ansteckungsgefahr ist zu groß. Die Politik muss den Märkten deutlich machen, dass sie nicht gewinnen werden. Die EZB tut dies gerade mit Bravour. Präsident Mario Draghi hat den Finanzmärkten signalisiert: ‚Wir können Geld drucken, ihr nicht.’

Eine risikoreiche Strategie.

Natürlich. Aber die EZB ist die einzige schlagkräftige Institution. So lange jedenfalls, bis die Politik mit der Bildung einer politischen Union in Europa oder funktionierenden Rettungsschirmen diese Rolle übernehmen kann.

Die Kanzlerin folgt in der Europapolitik Ihrem Prinzip der Agenda 2010, Fördern und Fordern. Sie müssten Sie eigentlich loben?

Es ist richtig, in den überschuldeten Staaten bei der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit anzusetzen. Auch durch Reformen. Mir gefällt aber die Art und Weise und die zeitliche Abfolge nicht. Die Bundeskanzlerin hat erst gezögert, dann hat sie sich am Griechenland-Bashing beteiligt und nun will sie dem Land keine Zeit geben.

Sollte Athen zwei Jahre mehr Zeit für Reformen bekommen, wie Ministerpräsident Samaras es fordert?

Griechenland hat erhebliches geleistet. Sie haben 20 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung eingespart. Keine deutsche Regierung würde das aushalten. Griechenland hat geliefert und bittet nun, um zwei Jahre mehr Zeit. Ich finde, sie sollten diese Zeit bekommen, wenn sie die Reformen und Sparmaßnahmen weiter so vorantreiben. Es kann doch keiner ein Interesse daran haben, das die griechische Gesellschaft an den Vorgaben aus Brüssel zerreißt. Reformen brauchen Zeit. Niemand weiß das so gut wie ich. Meine Sozialreformen haben mich das Amt und die Macht gekostet.

Die Agenda 2010 wird international gelobt, die SPD schweigt sie tot. Ärgert Sie das?

Ärgern ist der falsche Begriff. Ich wundere mich aber gelegentlich über meine Partei. Ich freue mich über die internationale Anerkennung und in der SPD ist es ja auch nicht nur ablehnend. Vielleicht hätte ich früher das Konzept in der Partei verankern müssen, so dass es die SPD als ihr gemeinsames Konzept begreift. Und es gibt ja auch Punkte, da muss nachjustiert werden, etwa bei der Zeitarbeit. Ich habe immer gesagt: Die Agenda 2010 sind nicht die zehn Gebote und ich bin nicht Moses. Das Konzept muss sich in der Wirklichkeit ja bewähren.

Man hat eher das Gefühl, dass die SPD wie bei der Aufweichung der Rente mit 67 an der Wirklichkeit scheitern?

Ob es klug war, die Debatte jetzt zu beginnen, lasse ich mal dahingestellt. Wer glaubt, er könne die Demografie mit theoretischen Konzepten überlisten, der irrt. Um Rente bezahlbar zu halten für die Beitragszahler, sollte man an der Rente mit 67 und der Absenkung des Niveaus festhalten.

Sie haben im Wahljahr 2005 als Krisenmanager bei der Hochwasser-Flut und der Irak-Krise in den Umfragen aufgeholt. Die Kanzlerin profitiert von ihrem Image als Krisenmanagerin in der Europapolitik. Was kann die SPD da dem entgegenstellen?

Die SPD muss versuchen, die Kanzlerin auch auf anderen Feldern zu stellen. Ich hätte gerne die Agenda 2010 mit dem Mindestlohn verknüpft, das war wegen der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat nicht möglich. Mindestlohn, Frauenquote, Regulierung der Finanzmärkte sind wichtige Themen, um Unterschiede deutlich zu machen.

Die Deutschen sehen laut Umfragen die SPD als idealen Juniorpartner in der Großen Koalition?

Abwarten. Wir haben 1998 und 2002 auch eine rot-grüne Mehrheit erreicht.

Sollte sich die SPD die Option für eine Ampel-Koalition offen halten?

Eine solche Konstellation sollte man nicht ausschließen. Damit würde die SPD der Kanzlerin die letzten Reste einer Machtoption wegnehmen. Warum soll man das ausschließen? Wenn sich die FDP anders orientiert, so wie es jüngst Wolfgang Kubicki geäußert hat, darf man in der SPD ruhig darüber diskutieren.

In diesen Tagen finden die ‚elder statesmen’ viel Gehör. Altkanzler Helmut Schmidt ist in der SPD beliebter denn je. Sind Sie neidisch?

Nein. Überhaupt nicht. Helmut Schmidt ist eine singuläre Figur in der deutschen Politik. Aus gutem Grund.

In dieser Woche wurde ihr Vorgänger Helmut Kohl geehrt. Haben Sie ihm auch zum Dienstjubiläum gratuliert?

Es ist lustig, dass Sie das jetzt fragen. Ich habe am Mittwochabend in einem italienischen Restaurant zu Abend gegessen und ihn zufällig getroffen. Ich habe ihn begrüßt und mich mit ihm unterhalten. Ich erkenne seine politische Leistung für Europa uneingeschränkt an. Ich habe ihn immer respektvoll behandelt. Das kann man umgekehrt nicht sagen.

Helmut Kohl lehnt bis heute eine Versöhnung mit Wolfgang Schäuble ab…

Das ist mir egal. …

Ich wollte eigentlich fragen, wann Sie sich mit Oskar Lafontaine versöhnen?

Oskar Lafontaine ist Katholik. Der Ablauf ist in der katholischen Kirche klar geregelt. Beichte, Reue, Buße, Absolution.

Und Sie geben die Absolution?

(lacht) Genau, aber erst wenn er Reue gezeigt und Buße getan hat.