Löchrige Verteidigung des DFB: Druck auf Präsident Grindel steigt

Foto: imago/Matthias Koch

Es schien kurz so, als würde der DFB diesen Angriff nicht kontern können: Erst mehr als 18 Stunden nach Mesut Özils Befreiungsschlag samt Attacke auf den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel reagierte der Verband. Klar distanziert er sich von Rassismusvorwürfen. Doch gedreht hat der DFB die Auseinandersetzung noch nicht: Viele Anschuldigungen blieben unkommentiert.

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Der Verband bedauerte die Entscheidung Özils, verteidigte sich aber gegen die massiven Anschuldigungen. „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir (...) in aller Deutlichkeit zurück“, hieß es nach einer Telefonkonferenz des DFB-Präsidiums. Zu weiteren Konsequenzen und der Zukunft des stark in der Kritik stehenden Grindel machte der Verband keine Angaben.

DFB kann sich nicht gegen alle Angriffe Özils verteidigen

Der 56 Jahre alte DFB-Chef, der derzeit im Urlaub sein soll, wurde in der veröffentlichten Mitteilung nicht zitiert. Nach der massiven Attacke Özils, die der Profi am Sonntag über die sozialen Netzwerke inszenierte, dürfte aber auch der CDU-Politiker um sein Amt fürchten müssen. Einzelne Politiker forderten in der Debatte um Integration bereits einen Rücktritt des DFB-Präsidenten, dem Özil unter anderem „Inkompetenz und Unfähigkeit“ vorgeworfen hatte.

„In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren“, hatte Özil unter anderem geschrieben. Mit diesem Gefühl steht er in der internationalen Fußballszene nicht allein da – andere Stars mit Migrationshintergrund empfinden ähnlich. So schrieb der belgische Nationalspieler und WM-Teilnehmer Romelu Lukaku in einem Gastbeitrag für das Sportportal „The Players' Tribune“: „Wenn es gut lief, las ich Zeitungsartikel, und sie nannten mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer. Wenn es nicht gut lief, nannten sie mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer kongolesischer Herkunft.“ Der französische Nationalstürmer Karim Benzema, der algerische Wurzeln hat, fasste es so zusammen: „Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber.“

Dass Özil zum Ziel rassistischer Parolen wurde und der Verband seinen Spieler nicht ausreichend geschützt hat, „bedauern wir“, schreibt der DFB. Der Verband gestand auch in anderen Punkten Fehler ein. „Dass der DFB im Umgang mit dem Thema dazu auch einen Beitrag geleistet hat, räumen wir selbstkritisch ein“, heißt es in Bezug auf die Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Auslöser des ganzen Eklats waren. Für den Verband dürften die turbulenten ersten Stunden nach Özils Abgang nur ein Vorgeschmack auf das gewesen sein, was nun folgt: eine schwere Verbandskrise, die weit über den Fußballplatz hinausreicht.

Als ob die sportliche Aufarbeitung nach dem historischen Aus in der WM-Vorrunde in Russland nicht genug Sorgen macht, muss sich der DFB nun auch unbequemen Fragen stellen. „Der DFB steht für Vielfalt, von den Vertretern an der Spitze bis zu den unzähligen, tagtäglich engagierten Menschen an der Basis“, erklärt der Verband. Gerade an der Spitze war davon beim internen Zerfall nach dem WM-Debakel nicht mehr viel zu sehen. Grindel und Manager Oliver Bierhoff gerieten mit Aussagen über Özil und dessen Rolle in Interviews scharf in die Kritik, der Ton wurde rauer, der lange Zeit schweigende Spielmacher des FC Arsenal immer mehr in eine Ecke gedrängt. Özil befreite sich auf seine eigene Weise. Seine beispiellos offene Anfeindung war eine Abrechnung mit Land, Leuten und Kritikern, mit DFB-Sponsoren und Medien, mit dem Verband – und vor allem mit Grindel. Rassismus, Karrieregeilheit, Desinteresse, Propaganda: Özils Liste an Vorwürfen war lang, kommentieren wollte sie der DFB nicht. Für den Verband gehöre es „zum respektvollen Umgang mit einem verdienten Nationalspieler, dass wir manche für uns in Ton und Inhalt nicht nachvollziehbare Aussage in der Öffentlichkeit unkommentiert lassen“. Kein weiterer Brandherd, keine Reaktion auf die Provokation – so die offensichtliche Devise des DFB in dieser schwierigen Lage.

Es fehlt bis heute ein Bekenntnis zu den Grundwerten

„Herausragende Leistungen“ habe Özil gezeigt, „eine erfolgreiche Ära mitgeprägt“, bedankt sich der DFB. Doch Özils Schweigen nach den Bildern mit Erdogan und vor der WM sowie das fehlende klare Bekenntnis zu den deutschen Grundwerten, das Ilkay Gündogan ausgewählten Medien abgab, ärgerte den Verband offenbar doch mehr als anfangs zugegeben. „Ein Bekenntnis zu diesen Grundwerten ist für jede Spielerin und für jeden Spieler erforderlich, die für Deutschland Fußball spielen“, schreibt der Verband. „Der DFB hätte sich gefreut, wenn Mesut Özil auf dieser gemeinsamen Basis weiter Teil des Teams hätte sein wollen“, heißt es noch. Doch Özil will nicht mehr, er will einen Abgang mit Knalleffekt.

Wie der DFB den zornigen Ausstieg Özils nun aufarbeiten wird, ist völlig offen. Weit mehr als bei der Kadernominierung dürfte das Özil-Beben auf die Strukturen im Verband und auf die EM-Bewerbung für das Jahr 2024 wirken. Einziger Gegenkandidat dabei: die Türkei. Von Patrick Reichardt und Andreas Schirmer

„Dieser Eklat wirft den Integrationsprozess um Jahre zurück“

Von einem verheerenden Bild Deutschlands spricht Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, nach der Eskalation zwischen Mesut Özil und dem DFB. Der Integrationsprozess werde um Jahre zurückgeworfen. Vor allem aber warnt Mazyek im Gespräch mit unserer Zeitung davor, Rassismusvorwürfe zu verharmlosen.

Herr Mazyek, Mesut Özil tritt aus der Nationalmannschaft zurück, weil er das Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspürt. Konsequent oder falsch?

Es ist nicht nur ein Gefühl, es ist real. Die Rassismus-Debatte in Deutschland wird aber leider oft verdrängt und verharmlost. Und wenn sich dann einige dazu äußern, wird ihnen nicht selten von Nicht-Betroffenen entgegengehalten, das seien Totschlagargumente und reines Opfergehabe. Auch jetzt macht man sich nicht die Mühe, der verletzten Seele einmal zuzuhören. Es wird so getan, als gehe es ausschließlich um das Foto.

Warum hat Özil das Foto gemacht?

Özil hatte sich bewusst entschieden, als Deutscher für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen. In der Türkei war er dafür von den Nationalisten oft als Verräter beschimpft worden. Die Erwartungshaltung von allen Seiten an ihn ist also nicht gerade klein. Ich hätte ihm dennoch davon abgeraten, auch wenn er es nicht als politische Botschaft verstanden wissen will, so kurz vor der Wahl in der Türkei und der Weltmeisterschaft das zu tun.

Was bedeutet dieser Eklat für den Zusammenhalt der Gesellschaft?

Der Umgang mit Minderheiten, religiös oder weltanschaulich, ist immer ein Lackmustest, wie ernst wir es in unserer freien demokratischen Gesellschaft meinen. Rassismus ist eine Geißel der Menschheit. Wir dürfen das aber nicht mehr verharmlosen. Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Aber es birgt auch die Chance, dass man das, was man gemeinhin dem Migranten oft vorwirft, zu wenig Selbstkritik zu besitzen, nun als deutsche Gesellschaft wieder einübt: Selbstkritik. Nur so machen wir den Beigeschmack der unsäglichen Debatte der vergangenen Wochen wett, nur so verhelfen wir den Rassisten nicht weiter zum Sieg.

Welche Konsequenzen müsste es Ihrer Ansicht nach geben?

Bisher unterschätzt man die Rassismusvorwürfe, die nun mit Özils Abgang haften bleiben. Vor allem im Ausland ist das Bild verheerend. Denn erstens ist Özil einer der bekanntesten Deutschen im internationalen Sportgeschäft, und zweitens ist er für viele Deutsch-Türken ein Vorbild. Dieser Eklat wird eine Zäsur im gesamten gesellschaftlichen Integrationsprozess sein. Er wirft uns um Jahre zurück. Dass DFB-Chef Reinhard Grindel die Debatte um Özil erst laufen ließ und dann nachtrat, würde auf dem Platz mit Rot bestraft werden. Ein solches Verhalten ist eines Präsidenten nicht würdig – und er sollte deshalb seinen Hut nehmen.

Können sich der DFB und Özil versöhnen?

Özil hat eine Hintertür offengelassen und gesagt, er werde so lange nicht für Deutschland spielen, wie er diesen Rassismus und diese Respektlosigkeit verspüre. Insofern gibt es die Chance.

Die Fragen stellte Kristina Dunz

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