Friedrichstadt-Palast: Jeden Abend im Rampenlicht

Anudari Nyamsuren und ihre Mittänzerinnen proben hart für ihre Auftritte im Friedrichstadt-Palast.
Anudari Nyamsuren und ihre Mittänzerinnen proben hart für ihre Auftritte im Friedrichstadt-Palast. Foto: Freiedrichstadt-Palast/Radtke

Berlin- Für die perfekte Show am Abend trainieren 60 Tänzer jeden Tag aufs Neue. Anudari Nyamsuren träumte schon als Kind davon, im Berliner Friedrichstadt-Palast aufzutreten.

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Von Rena Lehmann

Das Leichte kann in Wahrheit so schwer sein. Am Abend wird Anudari Nyamsuren auf der Bühne des Friedrichstadt-Palasts elfengleich wirken. Sie wird in einem herrlichen Kostüm aus fließenden Stoffen an der Hand ihres Partners am staunenden Publikum vorbeigleiten. Sie wird auf Zehenspitzen stehen und ihren Körper bis zum Äußersten biegen. Und sie wird dabei lächeln, als wäre all das nichts. Applaus wird aufbranden nach ihrem kurzen Auftritt, dann wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer schon wieder auf die nächste Szene gelenkt sein. Ihr Ruhm dauert nur Sekunden an.

Am Morgen davor, großer Ballettsaal, Friedrichstadt-Palast. Es ist 10 Uhr, und am Flügel hat eine freundlich, aber bestimmt lächelnde Pianistin damit begonnen, am Flügel den Takt vorzugeben. Der Raum ist rundherum verspiegelt, keine Bewegung bleibt hier unbeobachtet. Anudari trägt Leggins, einen schmalen Turnanzug, Wollstulpen wärmen die Unterschenkel. Ihr rechtes Bein hat sie auf der hohen Stange abgelegt, ihr Körper neigt sich dazu. Die Position verursacht beim Zuschauen Schmerzen. Anudaris strenger Blick fällt im Spiegel auf den angespannten eigenen Körper. Sie korrigiert die Position, so lange, bis der Trainer eine neue vorgibt. Für die 60 Tänzer des Balletts im Friedrichstadt-Palast beginnt jeder Arbeitstag mit dem Training „an der Stange“. Für die Leichtigkeit am Abend wird hier am Morgen Schwerstarbeit geleistet.

Erst nach 45 Minuten gibt es eine kurze Pause. Trinken, Schweiß von der Stirn wischen, die Stangen zur Seite schieben. Danach steht noch eine weitere Stunde mit klassischem Ballett auf dem Trainingsplan, russische Schule. Der Trainer gibt eine Schrittfolge vor, die Tänzer folgen in kleinen Gruppen. Anudari dreht sich mehrmals hintereinander, sie hält das Gleichgewicht. Ihr Blick ruht streng auf ihrem Körper unter Spannung. Ihre roten Wangen verraten, wie anstrengend das ist. Unter der Schminke wird auch das bei der Vorstellung am Abend nicht mehr zu sehen sein.

Ebenso streng wie Anudari auf ihre Bewegungen blickt die Ballettdirektorin vom Rand aus auf das gesamte Ensemble. Alexandra Georgieva stammt aus Bulgarien und arbeitet seit 23 Jahren im Friedrichstadt-Palast. Sie weiß um die harte Arbeit, die es kostet, damit das Schwere auf der Bühne so leicht aussehen kann. Sie war selbst Tänzerin.

Bunte Kostüme schillern auf der Ballettbühne.

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„There must be an Angel“ wird hier präsentiert.

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Bei jeder Show wird das Wasserbecker unter der Bühne genutzt.Hier bei „Waterburst“.

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„The beauties“ zeigen die längsten Beine Berlins.

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Beindruckende Light-Show.

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Splash: Akrobatik im Wasser

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Wie eine Statue: Gold and Chains

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„Wir haben hier jede Woche einen anderen Gasttrainer“, erklärt sie, „das ist sehr gut für die Tänzer. Sie müssen verschiedene Stile beherrschen. Das ist anspruchsvoll.“ Wenn sie vom Friedrichstadt-Palast erzählt, schwingt viel Stolz mit in ihrer Stimme. Für sie ist das, was die Tänzer hier leisten müssen, schlicht die Königsdisziplin. Das Haus rühmt sich, jeden Abend mit seinen 32 Tänzerinnen die längste „Mädchen-Reihe“ der Welt zu zeigen. Revue ist das Programm, beste Unterhaltung der Anspruch.

Obwohl der „Palast“ heute in der Friedrichstraße an anderer Stelle steht als zu seinen Anfängen, bleibt man in der Tradition. 1873 als Zirkusgebäude mit 5000 Plätzen wenige Hundert Meter weiter eröffnet, machte der Theatermann Max Reinhardt 1913 ein Schauspielhaus aus dem Friedrichstadt-Palast. Schon damals wollte man hier technisch auf dem neusten Stand sein. Aufwendige Beleuchtung, Effekte und eine drehbare Bühne waren Standard. Am Friedrichstadt-Palast inszenierten Größen wie Erwin Piscator schon damals Revuen.

In jeder Show kommt das Wasserbecken zum Einsatz.

Das alte Schauspielhaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, die DDR-Regierung ließ die Reste irgendwann abreißen. Der heutige Neubau in der Friedrichstraße mit seinen bunten Fenstern und den weithin leuchtenden Buchstaben wurde im Jahr 1981 von der DDR-Führung eröffnet, die sich damit ein Prestigeobjekt schuf. Alle großen Fernsehshows der DDR wurden im Friedrichstadt-Palast aufgezeichnet. Die Bühne ist bis heute eine der größten der Welt, 2000 Zuschauer finden im Saal Platz. In jeder Show kommt ein unter der Bühne liegendes Wasserbecken zum Einsatz. Ein illuminierter Wasserfall stürzt dann mitten in der Show von der Decke auf die Bühne. Man liebt den großen Effekt, man will den Zuschauer verblüffen. Das ist auch heute wieder das Konzept.

Das Haus stand nach der Wende 1989 mehrmals vor der Schließung. Erst in den vergangenen Jahren hat es sich einen Ruf unter den internationalen Showbühnen zurückerobert. „Jetzt sind wir international“, sagt Georgieva. Seit einem Jahr läuft die Revue „Show me“ mit großem Erfolg. „Wir machen schönstes Showbusiness“, sagt die Ballettdirektorin. „Eine solche Vielseitigkeit der Tanzwelt stellen nur wir vor.“ Ihr selbstbewusstes Loblied kommt mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldet. Wenn man im Showgeschäft bestehen will, muss man hinter dem stehen, was man tut.

Mit Mitte 30 ist für die meisten Tänzer Schluss.

Das gilt auch für die Tänzer. Anudari hat bis zur nächsten Probe eine kurze Pause. Ihr Alter will sie nicht verraten, obwohl sie höchstens Mitte 20 ist. Für einen professionellen Tänzer entscheidet die Wirkung seines Körpers über den Verlauf der in jedem Fall kurzen Karriere. Schon mit Mitte 30 ist für die meisten Tänzer Schluss. Bis dahin muss der Durchbruch gelungen sein und muss man erreicht haben, wofür man jahrelang trainiert hat. Dafür beginnt ein Leben für den Profitanz früh.

Anudari ist in der Mongolei geboren und kam mit drei Jahren nach Berlin. Zwei Jahre später begann sie zu tanzen, mit elf wechselte sie zur staatlichen Ballettschule in Berlin. Sechs Stunden Training täglich, das ist normal, wenn man es ernst meint und Profi werden will. Den Friedrichstadt-Palast hat sie mal als Kind beim Wandertag ihrer Schule besucht. „Hier zu tanzen, das wäre toll, das dachte ich damals“, erzählt sie. Überglücklich sei sie gewesen, als sich die Direktorin vor zwei Jahren für sie entschieden hat.

Das Tanzen muss Leidenschaft sein.

An sechs Abenden in der Woche steht sie mit dem Ensemble auf der Bühne. Eine längere Pause gibt es nur einmal, für vier Wochen im Sommer. Für ein Leben neben dem Tanz bleibt wenig Zeit. „Das hier muss man nicht nur gern machen“, sagt Ballettdirektorin Georgieva. „Es muss Leidenschaft sein, das Tanzen.“

Die aktuelle Revue „Show me“ ist selbst eine Parabel auf das Showgeschäft. Ihre Themen sind Glanz und Ruhm, mal ironisch spottend aufgegriffen, mal einfach wuchtig, bunt und protzig dargestellt. Die Mischung: bunte, schillernde Kostüme, der schnelle Wechsel von einer Nummer zur nächsten, dazu live gesungene Popmusik, Akrobatik – und Tanz, Tanz, Tanz ...

Präzision ist entscheidend, in jedem Moment der Show. Es ist eine Kunst, den Faden zum Zuschauer niemals abreißen zu lassen. „Das Niveau zu halten, ist nicht einfach“, sagt Georgieva.

Nach jedem Training werden Fehler analysiert.

Nach dem Balletttraining treffen sich die Tänzer direkt auf der Bühne zur Fehleranalyse. An jedem Tag nach einer Show. Was nicht perfekt klappte, wird wiederholt, durchgesprochen, noch einmal trainiert, bis es wieder reibungslos gelingt. Alle Tänzer müssen in der Lage sein, in verschiedenen Rollen des Stücks zu funktionieren. Zu Beginn sieht man Anudari zwischen 30 anderen Tänzerinnen in schrillen kurzen Petticoat-Röcken und großen Hüten mit Federn über die Bühne wirbeln, turnen, tanzen. Später ist sie im klassischen Ballett-Duo zu sehen. Bevor sie ins Ensemble im Friedrichstadt-Palast aufgenommen wurde, gehörte sie zum Dortmunder Ballett-Ensemble. „Ich hatte vorher keine Erfahrung mit Akrobatik oder Steptanz“, sagt sie. Sie schätzt es, dass man im Friedrichstadt-Palast all das von ihr erwartet. „Je mehr Stile ich beherrsche, desto mehr kann ich mich auch entfalten.“

Wer es einmal ins Ensemble geschafft hat, muss sich auf dauerhaft hohen Leistungsdruck einstellen. Jeden Morgen fällt der prüfende Blick der Trainer auf die Tänzerin, jeden Abend ist man den Blicken Tausender Zuschauer ausgesetzt. Direktorin Georgieva hat kein Mitleid mit ihren Tänzern. „Hart ist es in der Tanzwelt überall“, sagt sie. Für viele ist es allerdings schon ein heftiger Einschnitt, wenn sie die große Bühne verlassen müssen, weil sie nicht mehr mithalten können. „Der Applaus jeden Abend ist die seelische Nahrung eines Tänzers. Man braucht das.“

Aber gilt das auch noch, wenn man seit Monaten Abend für Abend in ein und derselben Show tanzt? In Anudaris Blick ist das pure Unverständnis über diese Frage zu lesen. „Es ist jeden Abend aufs Neue ein Adrenalinschock, vor Publikum zu tanzen“, sagt sie. Jeden Abend gehe es darum, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen, es mitzureißen. Nur wenn das gelingt, war man gut.