Moskau/New York

Völlig losgelöst: Wie viel Spaß verträgt die bemannte Raumfahrt?

Raumfahrer sind für die Forschung im All – doch mehr Schlagzeilen machen sie oft, wenn sie im Orbit musizieren oder sich Glatzen rasieren. Kommt die Wissenschaft auf den teuren Missionen mittlerweile zu kurz?

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige
Von Wolfgang Jung und Christina Horsten (dpa)
Mit dem Aufruf des Videos erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten an YouTube übermittelt werden und Sie die Datenschutzerklärung gelesen haben.

Ein drohender Meteoroiden-Einschlag, ein lebensgefährliches Sauerstoffleck – auf jede Unregelmäßigkeit ist die US-Flugleitzentrale im Februar 1971 vorbereitet. Und dann das: Auf dem Mond schwingt Astronaut Al Shepard plötzlich einen Golfschläger und drischt zwei Bälle in die Schwerelosigkeit. „Weiter, immer weiter“ kommentiert er deren Flug. „Sehr gut“, reagiert Fred Haise von der Bodenstation in Houston (US-Bundesstaat Texas) und lacht.

Verstehen Sie Spaß?

Inmitten der Erforschung des lebensfeindlichen Weltraums ist der Scherz der „Apollo-14“-Besatzung eine Sensation, denn bei den millionenteuren Flügen hatten Wissenschaft und Militär im Mittelpunkt zu stehen. „Es war ein Balanceakt“, sagt Shepard später. Heute werden Raumfahrer hingegen immer öfter zu kosmischen Komikern. Nicht jedem gefällt das. Aber viele sehen den Astrospaß als wichtiges Ventil.

Als der Deutsche Alexander Gerst im Fußballtrikot seinem US-Kollegen Reid Wiseman als Folge einer Wette im vergangenen Jahr eine Glatze rasiert, wird in Internetforen auch Kritik laut. Statt rumzukaspern, sollten die Männer auf der Internationalen Raumstation ISS die kostbare Zeit lieber für Labor-Experimente nutzen, heißt es etwa.

Wörner: Das bleibt in Erinnerung

Jan Wörner, damals Leiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), widerspricht vehement. „Ich bin überzeugt, dass die Wissenschaft ebenso in Erinnerung bleiben wird wie die Bilder von Alexander als Fan der deutschen Mannschaft“, sagt der jetzige Chef der Europäischen Raumfahrtagentur Esa der Deutschen Presse-Agentur.

Geht heute alles im All? Im Grunde ja, meint Bobak Ferdowsi von der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Der Wissenschaftler ist mit seiner Irokesen-Frisur selbst zum Internet-Star geworden. Er denkt, dass die jetzige Generation von Astronauten anders ist als die Pioniere des Alls. Damals seien viele durch eine harte Armeeschule gegangen, zudem habe es kaum soziale Netzwerke wie Twitter gegeben. Heute seien Astronauten charismatische Männer, die im Internet die emotionale Seite der Raumfahrt vermitteln sollen, sagt Ferdowsi zu US-Medien.

Wie kocht man eigentlich Kaffee in der Schwerelosigkeit?

Doch das können nicht nur Männer. Als sich die Italienerin Samantha Cristoforetti vor wenigen Wochen auf der ISS einen Kaffee zubereitet und darüber einen Clip dreht, schauen sich binnen weniger Stunden Hunderttausende das Video rund 400 Kilometer tiefer auf der Erde an. Auch hier hinterlassen einige User die kritische Frage, welchen wissenschaftlichen Nutzen eine Espressomaschine auf dem Außenposten der Menschheit bringt.

Esa-Ausbilder Frank de Winne sieht das anders. Die Beschreibung von Kaffeegeschmack im All sei auch deswegen interessant, weil fast jeder Mensch ihn kenne, sagt der Belgier. Die Raumfahrer seien nicht zum Spaß im All – aber auch nicht ohne Spaß.

Das denkt wohl auch Frank Culbertson – der US-Astronaut fliegt 2001 mit seiner Trompete in den Weltraum und bläst dort Militärstücke. Der Deutsche Thomas Reiter und der Kanadier Chris Hadfield musizieren 1996 im Orbit ebenfalls – auf der Gitarre. Hadfield bringt nun sogar ein fast vollständig im All entstandenes Album heraus.

Reiter: Klamauk in Maßen o.k.

Für Reiter ist der Klamauk im Kosmos aber pikant. Zwar könnten populäre Aktionen auch jene Menschen interessieren, denen Raumfahrt sonst gleichgültig ist. Im Vordergrund sollte aber die Forschung stehen, sagt der Esa-Mann. Hadfield sieht es ähnlich: „Man muss die Aufmerksamkeit der Leute erregen. Dann sind sie bereit dazuzulernen.“

Einen großen Teil des Tages verbringen Astronauten mit Arbeit. „Aber auch Raumfahrer brauchen eine Pause von ihren vollgestopften Terminplänen“, betont die Nasa. „Im All zu leben ist nicht: dauernd Arbeit, nie Freizeit. Astronauten wollen auch Spaß haben. Wenn man für ein paar Monate auf der ISS stationiert ist, ist es völlig okay, aus dem Fenster zu schauen, mit dem Essen zu spielen oder mit den Kollegen ein wenig rumzualbern“, unterstreicht die Raumfahrtbehörde.

Offizielle DDR auch im All völlig humorlos

Der Japaner Satoshi Furukawa bastelt 2012 auf der ISS ein Modell der Raumstation aus Lego. Und auch wenn von russischen Scherzen wenig bekannt ist: Bei Kosmonauten kommt der Humor auch nicht zu kurz. 1978 nimmt Wladimir Kowaljonok die sowjetische Puppe Mascha mit ins All und „verheiratet“ sie mit dem DDR-Sandmann, den der Deutsche Sigmund Jähn dabei hat. Was als Spaß gedacht ist, wird zum Skandal. „Mir wurde erklärt, der Sandmann sei prinzipiell kein Heiratskandidat“, erzählt Jähn später. Vom DDR-Fernsehen wird die Szene nie prominent gesendet.