RZ-KOMMENTAR: Ein Marathon kann kein Hochsicherheitsbereich sein

Sicherheit ist eines der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen. Eine Erkenntnis nach dem schrecklichen Anschlag auf den Boston-Marathon ist aber, dass es vollständige Sicherheit nicht geben kann. Zumindest nicht, wenn der fröhliche und auch lockere Charakter eines Volksfests bewahrt werden soll. Egal, ob bei einem Marathonlauf oder einem Karnevalsumzug.

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Die US-Behörden haben seit dem 11. September 2001 in nahezu allen Lebensbereichen die Kontrollen erheblich verstärkt, gerade Flughäfen sind zu Hochsicherheitsbereichen geworden. Öffentliche Plätze sind heute viel stärker (video-)überwacht als früher – und nach dem Anschlag auf die New Yorker Zwillingstürme hat sich von den USA ausgehend ein deutlich verstärktes Sicherheitsnetz über die Welt gezogen.

Auch für Sportveranstaltungen gibt es Sicherheitskonzepte, allerdings ist ein Marathonlauf nicht mit einem Konzert oder einem Basketballspiel vergleichbar. Zum einen liegt es an der Distanz, die großen Rennen in Boston, Berlin, London oder New York sind Punkt-zu-Punkt-Strecken. Theoretisch müsste jeder Meter auf der 42,195 Kilometer langen Distanz komplett kontrolliert werden, um jedes Risiko auszuschließen. Das ist nicht nur unbezahlbar, sondern auch unmöglich. Einen Marathon in einer Metropole überhaupt durchzuführen, ist eine Herkulesaufgabe. Denn eine Stadt wie New York oder London lässt sich nicht einfach für einige Tage stilllegen. Zudem sind die Zuschauerzahlen teils so immens, dass eine genaue Personenkontrolle nicht zu leisten ist, selbst im Zielbereich nicht. In Boston waren 650 000 Zuschauer an der Strecke, in London werden am Sonntag ähnlich viele erwartet.

Der Zugang zur Strecke ist für alle Zuschauer frei – abgesehen von den Bereichen unmittelbar bei Start und Ziel. Wenn die Veranstalter weiter zahlreiche Zuschauer haben möchten und eine gute Stimmung, muss dieser freie Zugang bleiben. Für einen Marathon lassen sich nicht wie beim Fußball Tickets verkaufen, gerade in Großstädten gibt es immer spontane Zuschauer. Selbst bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 ließ sich nicht verhindern, dass ein irrer Fan den führenden Läufer auf der Strecke attackierte.

Es bleibt bei Marathons auch künftig ein Sicherheitsvakuum. Denn solche Veranstaltungen basieren auf dem Glauben an ein fröhliches und friedfertiges Miteinander. Die Athleten mögen unterwegs Gegner sein, aber sie verfolgen alle ein ähnliches Ziel. Daraus ergibt sich die elektrisierende Atmosphäre, die Rennen wie Boston einzigartig macht. Dass fanatische Attentäter diese freundliche Stimmung ausnutzen, ist brutalste Menschenverachtung. Mit Sicherheitskonzepten lässt sich die Gefahr aber nicht vermeiden. Da hilft nur die Hoffnung, dass der Anschlag von Boston eine schreckliche Einzeltat bleibt.

E-Mail: volker.boch@rhein-zeitung.net