Kommentar: Jungs, wir müssen dringend reden

Der „Stern“ und der „Fall Brüderle“, das ist schon eine merkwürdige Geschichte. Vorwerfen kann man dem Magazin eine Menge: die Form des Berichts, die nicht unbedingt für eine umfassende Recherche zum Thema Sexismus spricht.

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Die Schlagzeile vom „spitzen Kandidaten“. Und auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Das, was sich da an der Bar eines Stuttgarter Hotels zugetragen haben soll, ist doch mehr als ein Jahr her. Und just in der Woche, in der Rainer Brüderle Spitzenkandidat seiner Partei wird, kommt es zum Vorschein. Natürlich steckt dahinter auch das Kalkül der „Stern“- Chefredaktion. Der Glaubwürdigkeit des Magazins jedenfalls haben die Umstände der Veröffentlichung mehr geschadet als genutzt.

Und trotzdem hat die Geschichte etwas bewirkt: Sie hat eine Debatte ausgelöst. Die über den Sexismus, dem man/frau/mensch in Deutschland Tag für Tag begegnet. Die Diskussion läuft vor allem im Netz – auf Facebook und als „Aufschrei“ im Kurznachrichtendienst Twitter. Dass sie noch immer nötig ist, zeigt die Art und Weise, wie sie in Teilen geführt wird. Denn natürlich sind da die Männer, die sich solidarisch erklären mit den Tausenden Frauen, die von körperlichen Übergriffen und verbalen Anzüglichkeiten berichten. Da sind sogar die Männer, die sich schämen für ihre Geschlechtsgenossen.

Aber es gibt auch die anderen. Die, die nicht wissen, wieso es überhaupt Diskussionsbedarf gibt. Die, die uns Frauen auffordern, doch mal locker zu bleiben. Die, die den „Aufschrei“ im Netz als „Emanzenkram“ abtun. Aus deren Sicht ist es immer noch so: Wer sich als Frau zu schnell über (vermeintlich ironische) Herrenwitze beschwert, ist schmallippig, zickig und spaßbefreit. Und wer politische Korrektheit im Umgang zwischen Männern und Frauen fordert, ist unsexy und verkrampft. Vielleicht muss der Umgang miteinander ja gar nicht immer politisch korrekt sein. Menschlich korrekt würde schon reichen. Deshalb, Jungs, lasst uns darüber reden. Ganz unabhängig vom „Fall Brüderle“. Und auch über „weiblichen Sexismus“, den es zweifellos ebenso gibt wie die männliche Form. Aber sagt uns nicht, wir sollen locker bleiben. Dazu ist die Sache viel zu ernst.

E-Mail: angela.kauer@rhein-zeitung.net