Rheinland-Pfalz

Integrationsbeauftragter Vicente: Der Islam passt zu Rheinland-Pfalz

Miguel Vicente sagt: Wir müssen alles dafür tun, dass der Islam zu einem anerkannten Teil unserer Gesellschaft wird.
Miguel Vicente sagt: Wir müssen alles dafür tun, dass der Islam zu einem anerkannten Teil unserer Gesellschaft wird. Foto: Integrationsministerium

Die rot-grüne Landesregierung hat einen runden Tisch eingerichtet, um stärker mit islamischen Organisationen ins Gespräch zu kommen und die Integration zu fördern. Wir sprachen mit Miguel Vicente, dem Landesbeauftragten für Migration und Integration.

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Rheinland-Pfalz. Die rot-grüne Landesregierung hat einen runden Tisch eingerichtet, um stärker mit islamischen Organisationen ins Gespräch zu kommen und die Integration zu fördern. Nach dem ersten Treffen steht die Ausweitung des islamischen Religionsunterrichts ganz oben auf der Agenda. Wir sprachen mit Miguel Vicente, dem Landesbeauftragten für Migration und Integration. Er koordiniert den runden Tisch. Das Interview im Wortlaut:

In Rheinland-Pfalz leben 200 000 Muslime. Was bringt ihnen der runde Tisch?

Der runde Tisch Islam ist ein Dialog zwischen Musliminnen und Muslimen und der Landesregierung. Er kann dazu beitragen, dass die rheinland-pfälzischen Musliminnen und Muslime ihre Religion so ausüben können wie andere Gläubige auch. Dabei geht es um ganz praktische Fragen wie muslimische Bestattungen oder etwa das Schächten, also das rituelle Schlachten eines Tieres.

Sie werben dafür, islamischen Religionsunterricht langfristig flächendeckend als Regelangebot anzubieten. Warum?

Musliminnen und Muslime gehören zweifelsohne zur deutschen Gesellschaft. Also sollten wir ihrem Bedürfnis nach islamischem Religionsunterricht nachkommen. Das gebietet auch unsere Verfassung.

Wie ist die Lage in Rheinland-Pfalz im Moment? Wo wird islamischer Religionsunterricht angeboten?

Wir haben derzeit Modellschulen an drei Standorten – in Mainz, Worms und Ludwigshafen. Das sind drei Grundschulen und sieben allgemeinbildende Schulen. Das Ziel ist erreicht, wenn wir islamischen Religionsunterricht überall da, wo Bedarf ist, anbieten können – also flächendeckend.

Wo gibt es derzeit Islamunterricht außerhalb der Modellschulen?

Es gibt Moscheevereine, die bieten nachmittags oder am Wochenende Islamunterricht an. Dort werden Kinder von ihren Eltern hingebracht. Die Kinder lesen im Koran und erfahren etwas über die Lehre. Mit schulischem Religionsunterricht, den wir anstreben, hat das allerdings wenig zu tun.

Wie wollen Sie dafür sorgen, dass der islamische Religionsunterricht dem Grundgesetz entspricht?

Dafür sorgt die staatliche Schulaufsicht, die auch hier greift. Die Lehrinhalte werden mit der Religionsgemeinschaft, beziehungsweise den zuständigen Ansprechpartnern, erarbeitet. Dabei überprüfen die Behörden selbstverständlich, ob Inhalte möglicherweise der Verfassung und den dort verbrieften Grundrechten widersprechen.

Wer soll den Unterricht halten?

In Deutschland ausgebildete Religionslehrer. Dafür haben wir mittlerweile in mehreren Universitäten Studiengänge. Das werden immer mehr. Von uns aus gesehen, ist das nächste Studienangebot in Karlsruhe. Da haben wir ein gemeinsames Projekt mit dem Land Baden-Württemberg. Wer zum Beispiel Islamistik studiert hat, kann hier über ein Aufbaustudium die Lehrbefähigung erwerben.

Bei den Muslimen fehlt ein zentraler Ansprechpartner. Mit wem sollen Lehrpläne besprochen werden?

Deswegen sind wir auch noch nicht so weit. Wir haben auf muslimischer Seite keine klaren Ansprechpartner. Daher überlegen wir, ob es sinnvoll ist, Organisationen dazu zu befähigen, Religionsgemeinschaften zu werden. Oder wir schaffen, was in anderen Bundesländern bereits praktiziert wird, Beiräte als Zwischenlösung. Was der richtige Weg für Rheinland-Pfalz ist, darüber werden wir diskutieren.

Sie möchten die Anerkennung muslimischer Organisationen als Religionsgemeinschaften und Körperschafen des öffentlichen Rechts fördern. Ist dieser Status auch für eine umstrittene Organisation wie Milli Görüs denkbar?

Als Religionsgemeinschaft wird nur anerkannt, wer die rechtsstaatlichen Bedingungen erfüllt. Das gilt für alle Organisationen.

Milli Görüs wird immerhin vom Verfassungsschutz beobachtet.

So steht es im Verfassungsschutzbericht. Trotzdem muss man differenzieren. Milli Görüs hat sich vor Ort sehr etabliert. Da hat kaum jemand Berührungsängste. Wenn sie zum Ramadan einladen, kommen auch viele Kommunalpolitiker oder Vertreter christlicher Einrichtungen. Milli Görüs bemüht sich um eine Politik der Transparenz, die Wirkung zeigt. Hier in Rheinland-Pfalz haben wir Milli Görüs neben den anderen 20 Organisationen zum runden Tisch eingeladen. Ich möchte möglichst niemanden vorab ausschließen.

Der runde Tisch warnt vor „Islamophobie“. Wo macht sich diese in Rheinland-Pfalz bemerkbar?

Nicht anders als anderswo. Islamophobie, also die Angst vor und die Ausgrenzung des Islams, wird von vielen Muslimen stark empfunden. Sie spiegelt sich in den großen gesellschaftlichen Diskussionen – etwa in der Sarrazin-Debatte oder dem Streit um das Kopftuch. Wobei die Thesen Thilo Sarrazins besonders viele Muslime verletzt haben, weil er ihnen die Fähigkeit abspricht, mit der freiheitlichen Grundordnung in Einklang leben zu können, da der Islam dem angeblich als Religion entgegensteht. Zahlreiche muslimische Frauen verstehen zudem nicht, dass das Tragen eines Kopftuchs als Akt verstanden wird, der gegen die staatliche Ordnung gerichtet ist. Dieser Verdacht wird als Affront, als grundsätzliche Ablehnung der Muslime verstanden.

Können Sie nachvollziehen, dass es Ängste gegenüber dem Islam gibt? Ein Beispiel sind die sogenannten Ehrenmorde, die immer wieder Schlagzeilen machen.

Sicher kann ich das nachvollziehen. Oft ist das eine Mischung aus Fremdheit und Unwissen sowie von globalen Entwicklungen, die mit dem Terrorismus zusammenhängen. Wenn ich am Flughafen bin, schaue ich mich auch manchmal um – und bleibe bei bestimmten Menschen hängen. Das liegt aber nicht an ihnen, sondern an mir, meinen eigenen Vorurteilen und Prägungen. Das alles rechtfertigt nicht, Muslimen abzusprechen, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Ehrenmorde haben übrigens nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit patriarchalischen Strukturen, wie wir sie auch aus nicht islamischen Ländern kennen.

Wie müssen die Gegenstrategien aussehen?

Transparenz schaffen, informieren, den Dialog suchen. Zudem muss die Regierung die klare Position einnehmen: Für uns gehört der Islam zu Deutschland, zu Rheinland-Pfalz – und er passt zu Deutschland und zu Rheinland-Pfalz. Wir wollen hier alles dazu beitragen, dass Musliminnen und Muslime zum anerkannten Teil dieser Gesellschaft werden.

Wie geht es mit dem runden Tisch weiter?

Wir arbeiten zuerst an den Themen „Anerkennung als Religionsgemeinschaft“ und „islamischer Religionsunterricht“. Später rufen wir dann andere Themen auf. Unser nächstes Treffen ist im Mai.

Das Gespräch führte unser Landeskorrespondent Dietmar Brück