Panama-City

Don’t worry: Ein Land ohne Sorgen?

Foto: Melanie Schröder

Etwas steht zwischen den Einheimischen und den Touristen. Es ist nur ein winziger Satz, der einen kilometertiefen Graben zwischen mittelamerikanische Lässigkeit und German Angst schlägt: Don't worry.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Von unserer Reporterin Melanie Schröder

Ob der Bus nicht kommt, Mosquitos stechen oder man bei einem Gewitter mit den Füßen im Wasser steht, der Kommentar der Panamaer ist immer der gleiche: Don't worry, der Gesichtsausdruck deutscher Urlauber ist ebenfalls immer der gleiche: leichte bis mittelschwere Aufregung. Dem kleinen Land zwischen Karibik und Pazifischem Ozean und vor allem seiner urbanen Metropole Panama-City wohnt das Lebensgefühl des Easy Going inne – alles kann, nichts muss und Hauptsache ist: keine Panik verbreiten.

Als Reiseziel der tausend Möglichkeiten, das größer, schöner und besser als zu Hause ist, hat es bereits 1978 der deutsche Illustrator Janosch in seiner berühmten Geschichte „Oh, wie schön ist Panama“ beschrieben. In der Ü-18-Version klingt diese Fantasie heute so: „Panama-City ist wie ein kleines Las Vegas.“ Fremdenführer Enrique Ruiz zieht verschwörerisch die Augenbrauen nach oben und fügt hinzu: „Und was in Panama passiert, bleibt in Panama.“

Feierabendbier in der Roof-Top-Bar: Von hier aus verändert sich der Blick auf die Skyline.
Feierabendbier in der Roof-Top-Bar: Von hier aus verändert sich der Blick auf die Skyline.
Foto: Melanie Schröder

Das kleine Las Vegas

Einen Hauch von Las Vegas versprüht die Metropole mit 1,5 Millionen Einwohnern in den Abendstunden schon: Das Blinklichterfeuerwerk der Kasinos animiert dazu, drinnen ein paar Dollars auf den Spieltisch zu werfen, aus schicken Szenebars dröhnt amerikanische Popmusik, junge Mädchen stöckeln in knappen Kleidern vorbei an den Schaufenstern der Luxusmarken Chanel, Louis Vuitton und Cartier. Aber dies ist nicht mehr als eine Momentaufnahme der so gegensätzlichen Metropole Panama-City. Glaubt man, die Stadt erfasst zu haben, überholt sich dieser Eindruck von ganz allein. Nichts scheint hier so nah beieinanderzuliegen wie Reichtum und Armut, Tradition und Moderne.

Downtown schrauben sich die Wolkenkratzer als Phallussymbole einer starken Ökonomie in den Himmel. In den verspiegelten Glasfassaden zeichnen sich die Silhouetten aufstrebender, junger Menschen im Businesskostüm ab, in der einen Hand einen Coffee to go, in der anderen ein Smartphone. Und dauerhupend rauschen die Taxis vorbei – aber nicht nur, weil sie auf Kundschaft lauern: Frauen werden bevorzugt angehupt. „Damit pfeift man ihnen hinterher“, erklärt der 33-jährige Ruiz, der immer irgendeine Geschichte zu einer seiner vielen Liebschaften auf Lager hat. Easy Going auch in dieser Beziehung.

Leben im Zentrum: die Glas- und Betonburg Panama-City
Leben im Zentrum: die Glas- und Betonburg Panama-City
Foto: Melanie Schröder

Europäisches Erbe wir gepflegt

Weniger laut, weniger hektisch empfängt einen hingegen das malerische Altstadtviertel Casco Viejo oder auch Casco Antigua, das 1997 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Pittoreske Wohnhäuser im Kolonialstil begrenzen die schmalen, romantischen Gassen, in denen sich Straßencafés und Restaurants aneinanderreihen. Die Regierung unter Staatspräsident Juan Carlos Varela pflegt das europäische Erbe und verpflichtet Eigentümer, ihre Immobilien originalgetreu zu restaurieren. Vereinzelt stehen noch verfallene Wohnhäuser mit zerbrochenen Fensterscheiben und verbogenen Balkongeländern wie glanzlose Stiefkinder zwischen den schon strahlenden Barock- und Renaissancebauten.

Blick auf die Altstadt von Panama-City: Das Erbe der europäischen Kolonialzeit wird gepflegt.
Blick auf die Altstadt von Panama-City: Das Erbe der europäischen Kolonialzeit wird gepflegt.
Foto: Melanie Schröder

Und direkt an dieses Szeneviertel, diese Insel der Sorglosen, grenzt in der Sprache der Touristenführer eine No-go-Area. „Polizisten würden euch bitten, da nicht reinzugehen“, sagt Ruiz. Die einzig vernünftige Frage darauf kann nur lauten: Was würde passieren, wenn wir es doch tun? „Sie würden euch folgen.“ Die Gettos von Panama-City umschließen die vorzeigbaren Stadtteile wie ein schmuckloser Bilderrahmen, den man leider nicht einfach austauschen kann. Touristen werden gekonnt um die Slums herumgeleitet, in denen sich Müllberge am Straßenrand türmen, der Putz von den Hausfassaden bröckelt und Dächer stellenweise mit Wellblech bedeckt sind.

Hier wird deutlich: Nicht alle haben vom Reichtum der Stadt profitiert, der mit dem Panamakanal ins Land gespült wurde. Das schiffbare Wirtschaftswunder Panamas hat auch die gesellschaftlichen Gegensätze verschärft. Erst im Juni dieses Jahres wurde ein erweiterter Kanal eingeweiht. Noch größere Container- oder Kreuzfahrtschiffe können nun die 82 Kilometer lange Wasserstraße passieren, die Pazifik und Atlantik miteinander verbindet. Etwa 10 000 Menschen sollen für den Kanal arbeiten, meint Ruiz – davon abhängig sind aber viel mehr Arbeitsplätze im Land: „Mit dem Kanal steht und fällt alles.“ Deswegen geht die Panama-Kanal-Behörde als Verwalter und Betreiber auch kein Risiko ein: Kanalarbeiter dürfen nicht streiken, das ist in ihren Arbeitsverträgen festgelegt. Wer dagegen verstößt, kann im Gefängnis landen, erklärt Ruiz als sei das das Normalste der Welt.

Der Panama-Kanal ist das Wahrzeichen des mittelamerikanischen Staates – mit ihm steht und fällt alles, sagen Einheimische.
Der Panama-Kanal ist das Wahrzeichen des mittelamerikanischen Staates – mit ihm steht und fällt alles, sagen Einheimische.
Foto: Melanie Schröder

Ohne den Kanal geht nichts

Bis zu drei Tagen müssen Schiffe zu Füßen der Stadt ausharren, bis sie den Kanal durchqueren können. Die Warteliste ist lang, ein Jahr im Voraus soll man mitunter reservieren müssen – nicht zuletzt, weil täglich nur 35 bis 40 Schiffe durchgeschleust werden können. Die Preise sind astronomisch, und dennoch würde eine Fahrt bis zur Südspitze Südamerikas, dem Kap Hoorn, das Zehnfache kosten und etwa 14 Tage länger dauern. Das erleichtert die Entscheidung – auch weil Panama das Kanalmonopol besitzt. Noch: Denn auch in Mexiko, Nicaragua und Kolumbien wird immer wieder über den Bau eines Kanals diskutiert. Ins Rollen gekommen ist aber noch keines dieser Großprojekte. Und so bleiben die Panamaer weiterhin entspannt. Wissend, dass vermutlich alles, was in Panama passiert, auch in Panama bleibt. Fast alles.

Schließlich haben im April dieses Jahres die sogenannten PanamaPapers, ein Datenleck zu Offshoregeschäften des Rechtsdienstleisters Mossack Fonseca, die Weltaufmerksamkeit auf den kleinen Staat gelenkt. Doch das ist ein Thema, über das hier niemand gern spricht. Lieber keinen erneuten Staub aufwirbeln. „Schließlich passiert das auch überall anders auf der Welt“, meint Ruiz und winkt ab. Will sagen: Don't worry.