Berlin

Geachtet und gefürchtet: Wie Nahles mit GroKo-Gegnern umgeht

Ja, sie kann energisch werden: Die SPD-Fraktionsvorsitzende und demnächst wohl auch Parteivorsitzende Andrea Nahles ist die Gewinnerin der jüngsten Entwicklungen bei der SPD. Foto: dpa
Ja, sie kann energisch werden: Die SPD-Fraktionsvorsitzende und demnächst wohl auch Parteivorsitzende Andrea Nahles ist die Gewinnerin der jüngsten Entwicklungen bei der SPD. Foto: dpa

Von Andrea Nahles sind viele ungeschliffene Sätze bekannt. Sie kann ruppig werden. Vor allem, wenn es um die Sache geht: Rente mit 63, Mindestlohn und zuletzt die Große Koalition. Hinter verschlossenen Türen teilt Nahles aus – und vor laufenden Kameras. „Verdammte Kacke“, „auf die Fresse“ und „Bätschi“, die Rheinland-Pfälzerin beherrscht die gesamte Klaviatur markiger Rhetorik. Dafür wird die SPD-Fraktionschefin geachtet und respektiert, dafür wird sie aber auch von vielen gefürchtet.

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Als Arbeitsministerin setzte sie die Rente mit 63 und den Mindestlohn durch, als neue starke Fraktionschefin nach dem desolaten Bundestagswahlergebnis gewann sie auch das Mitgliedervotum für eine weitere Große Koalition. Sie ist die große Gewinnerin in der SPD, das steht fest. Zumal sie nach dem Parteitag am 22. April nicht nur die Fraktion, sondern die gesamte Partei führen wird. Doch abgehakt scheint die Sache intern noch nicht zu sein. In Kreisen sozialdemokratischer Abgeordneter kursieren Gerüchte, wonach nun vor allem jenen Fraktionsmitgliedern Nachteile drohen, die gegen die Große Koalition argumentierten und stimmten. Es gebe durchaus Stimmen in der Fraktion, die die Haltung vertreten, dass Gegner der Großen Koalition jetzt nicht belohnt werden dürften. Es geht dabei um Karrieren, um Perspektiven in der Fraktion, um die Vergabe von Ämtern und Posten in Ausschüssen und die Berücksichtigung persönlicher Wünsche. Wer was wird, bestimmt die Fraktionsspitze. Auf Nahles kommt es an.

Als sehr widerspenstig in der Debatte um die Große Koalition zeigte sich die NRW-SPD. Und so werden gleich zwei nordrhein-westfälische Abgeordnete als Beispiele genannt, die angeblich mit Nachteilen wegen ihrer Ablehnung der Großen Koalition zu kämpfen hätten. Der Parteilinke Marco Bülow ist einer von ihnen. Er sitzt seit 2002 für den Wahlkreis Dortmund im Bundestag und machte nie einen Hehl daraus, gegen die Große Koalition zu sein. Er rief und schrieb dagegen an, trommelte ununterbrochen, warnte stets davor, dass die SPD als erneuter Juniorpartner der Union vor die Hunde zu gehen drohe. Erneuerung sei in einer Großen Koalition nicht möglich und ohne Erneuerung werde diese alte Partei immer weiter absacken, so sein Credo.

Als es aber nun um die Besetzung des Umweltausschusses im Bundestag ging, wurde Bülow nicht berücksichtigt. Von 2005 bis 2009 war er umweltpolitischer Sprecher der Fraktion, ab 2013 war er bereits ordentliches Mitglied im Umweltausschuss. Jetzt wird er allerdings nur noch als stellvertretendes Mitglied geführt, stattdessen hat Bülow eine Position im weniger bedeutenden Entwicklungsausschuss übernommen. In der Fraktion wird das als Sanktionierung gewertet, eine Bestätigung gibt es nicht dafür.

Die gerade erst direkt in den Bundestag gewählte Wiebke Esdar aus dem Wahlkreis Bielefeld/Gütersloh wird als weiteres Beispiel genannt. Sie soll sich für ein Amt im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri stark gemacht haben. Und zunächst schien es wohl auch so, als könnte es klappen. Am Ende ging Esdar jedoch leer aus, jetzt sitzt die promovierte Psychologin im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung. Gerüchte, wonach das als Denkzettel für Esdars vehementes Eintreten gegen die Große Koalition zu verstehen sei, weist die 34-Jährige zurück. „Dass ich im Amri-Untersuchungsausschuss keine Funktion übernehmen werde, steht nicht in Zusammenhang mit meiner Ablehnung der Großen Koalition“, sagte Esdar unserer Zeitung. „Das hat andere Gründe. Und das haben Andrea Nahles und ich einvernehmlich geklärt“, fügte sie hinzu.

Offen ist derzeit noch die Vergabe des Vorsitzes im wichtigen Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, für den eigentlich Kerstin Griese aus NRW vorgesehen war. Griese wechselt jedoch als Staatssekretärin ins Arbeitsministerium, die Stelle wird daher wieder frei. Diverse Abgeordnete machen sich Hoffnung auf den Posten, darunter auch erklärte Gegner der Großen Koalition. Wer den Zuschlag bekommt, wird sich zeigen.

Dass aber die Haltung für oder gegen die Große Koalition eine Rolle bei der Vergabe von Ämtern spielt, wird in der Fraktionsführung vehement abgestritten. Das sei keine Kategorie. Viel mehr gebe es andere Gründe, die bei den Personalentscheidungen wichtig seien. Allein das zähle. Und dabei verwundert es selbst Kritiker von Nahles nicht, dass die neue Fraktionschefin jetzt auch intern ihren Machtanspruch geltend macht. „Ihr Vorgänger Thomas Oppermann war ein Kuschelteddy dagegen“, scherzt ein Abgeordneter mit Blick auf ihren Führungsstil. Dabei ist das als Kompliment gemeint. Nahles wird sich zu behaupten wissen, daran zweifelt niemand. Jetzt kommt ihre Zeit.

Von unserem Berliner Korrespondenten Jan Drebes