Frankfurt/Mainz

Selbstversuch: Fünf Minuten schneller als sonst – Streik sei Dank

Los geht's. Kurzes Stehen in Rödelheim. Aber danach fluppt es. 
Foto: Nöthen
Los geht's. Kurzes Stehen in Rödelheim. Aber danach fluppt es. Foto: Nöthen

War was? Streik? Redakteur Andreas Nöthen wohnt in Frankfurt und arbeitet in Mainz. Er hat den Streik im Selbstversuch erlebt – und war fünf Minuten schneller als sonst.

Lesezeit: 3 Minuten
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Frankfurt/Mainz – Bahnhof Frankfurt-Rödelheim. Hier rauschen an normalen Arbeitstagen die S-Bahnen im Zehn-Minuten-Takt in die Innenstadt.

Hauptbahnhof Frankfurt. Laut Gewerkschaftsangaben ist zwar jede zweite Zugverbindung von den Warnstreiks der Lokführer beeinträchtigt worden. Von Stress, Panik, Chaos und wutentbrannten Bahnkunden ist hier aber keine Spur.

Andreas Nöthen

Und hier auch nicht. Im Zugfenster hängt der Schriftzug der GDL. Wer diese Abkürzung noch nicht kennt: Sie steht für Gewerkschaft deutscher Lokführer.

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Die hatte am Freitagmorgen zur zweiten Streikwelle aufgerufen. Ein Schwerpunkt war im Rhein-Main-Gebiet. Die erste ging am Dienstag über die Bühne. Journalisten und Kamerateams hat man vermutlich selten sö zahlreich am Gleis gesehen.

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„Die schmutzigsten Fantasien hat man in den saubersten Betten“, heißt es auf diesem Werbeplakat in Frankfurt. Schmutzig ist die Fantasie der Lokführer aber nicht: Die GDL will mit den Aktionen ein besseres Angebot der Arbeitgeber erzwingen und einen flächendeckenden Tarifvertrag durchsetzen.

Andreas Nöthen

Heißgetränk zur Nervenberuhigung, kleiner Snack gefällig? Nicht viel los am Ständchen.

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Der Service Point in Mainz: gut besucht, aber keine Hektik. Viele Zugreisende waren offenbar gewarnt.

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Die Fastnacht scheint die Atmosphäre auf dem Mainzer Hauptbahnhof mehr zu beeinflussen als der Warnstreik.

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Tristesse auf den Gleisen 3 und 4.

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Wer am Freitagmorgen einen Parkplatz für sein Fahrrad gesucht hat, der war zumindest in Mainz vermutlich mehr im Stress als mancher Bahnkunde.

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Nur am Freitag nicht. Es ist kurz nach halb neun, die Gewerkschaft GDL hat zum Streik aufgerufen. Ich stürze mich sehenden Auges in die Katastrophe, versuche, im vermeintlichen Streikchaos von Frankfurt nach Mainz zu gelangen.

Ein Zug steht da. Darin Menschen, die Zeitung lesen. Besser drinnen stehen als draußen frieren, denke ich. Kurz darauf die Durchsage des Lokführers: „Reisende Richtung Frankfurt, gleich müsste gegenüber ein Zug Richtung Innenstadt einfahren, vielleicht haben Sie Glück.“ Kurz darauf rauscht die S3 heran. 8.38 Uhr. Pünktlich wie selten.

Und leer wie selten. Ich kann mir den Sitzplatz aussuchen. Das passiert nicht oft. Die Stimmung der Mitreisenden ist gespannt. Die ersten Streikwitzchen kursieren.

Am Hauptbahnhof mit der Rolltreppe hinauf in die große Halle. Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Fast zumindest, denn das Gewimmel erscheint weniger als sonst. Dafür schleichen etliche Kamera- und Radioteams über die Bahnsteige auf der Suche nach knackigen O-Tönen.

Blitzableiter im Gewimmel

Auch die Menschentraube vor den Infotafeln ist nicht größer als sonst. Dafür hat die Bahn augenscheinlich mehr Mitarbeiter eingesetzt, die sich unter die Reisenden mischen und den Blitzableiter spielen. Wobei, die Stimmung scheint gar nicht aufgeheizt.

An fest jedem Gleis steht ein Zug. Statt des Zielorts zeigt das Display „Dienstfahrt“ oder „bitte nicht einsteigen“. In einem Cockpit haben streikende Lokführer das GDL-Banner gehisst. Kurz darauf bekommen das die TV-Reporter spitz, und postieren sich in Filmweite. Sekunden später ist das Banner wieder verschwunden.

Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät: Scheinbar scheint meine Regionalbahn ganz normal zu fahren. Kein Hinweis auf Ausfall oder Verspätung. Dann die Durchsage: „Der Regionalexpress nach Koblenz fährt heute von Gleis 21 statt Gleis 18.“

Wenn sonst nix ist, denke ich mir – und es das schon war, was ich vom großen Streik mitbekomme, soll mir das recht sein. Zeit genug für den Gleiswechsel bleibt.

„Der Zug steht im hinteren Teil des Bahnsteigs“, sagt ein Lokführer, der sich aus seinem Cockpit lehnt und ein Schwätzchen unter Kollegen hält. Bleibt ja im normalen Betrieb keine Zeit für. Der Kaffee scheint frisch, der Becher dampft.

Heil im Untergrund?

Hinten angekommen, Ernüchterung. „Wir streiken auch“, sagt der Lokführer mit breitem brandenburgischen Akzent. Nun droht meine Stimmung doch zu kippen. Die Sympathie schwindet. Machtlos und schnellen Schritts mache ich kehrt. Ich werde mein Heil wieder im Untergrund suchen. vielleicht fährt die S-Bahn ja. Auf dem Weg dorthin versuche ich, Leidgenossen einen Umweg zu ersparen. „Der Zug fährt nicht wegen Streik“, rufe ich jedem zu, der mit entgegenkommt. Meist verhallen meine Worte ungehört. Wollte ja nur nett sein.

Ich stürze die Treppe hinunter. Zehn nach neun ist es. Auf Gleis 103 steht eine S-Bahn. Ich weiß zwar nicht welche, aber ich steige ein. „Wohin fährt die?“, frage ich. „Wiesbaden“, sagt ein Fahrgast. Über Kastel, aber na gut.

In Kastel läuft alles wie am Schnürchen. Ich bekomme prompt Busanschluss, bin um kurz vor zehn in der Redaktion. Die vorgewarnten Kollegen schauen erstaunt. „Hey, fünf Minuten schneller als sonst“, rufe ich triumphierend. Gelächter. Als Zugabe schaue ich noch, was sich am Mainzer Hauptbahnhof in Sachen Streik tut. Doch auch dort herrscht Unaufgeregtheit, die Reisenden sind geduldig wie selten. Was wohl Franzosen und Italiener von dieser Art Streikkultur halten mögen? Andreas Nöthen