RZ-KOMMENTAR: Zu viele Polit-Talkshows: Wir quatschen uns zu Tode

Man hat bisweilen den Eindruck, die abendlichen Polit-Talkshows der ARD funktionieren wie ein professionelles Theater. Wer einmal zu ihrem Ensemble gehört, kann allabendlich in der immer gleichen Rolle die Talk-Arena betreten. Jeder hält sich an seinen Text, Überraschungen sind eigentlich nicht vorgesehen.

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Wer das Polit-Talk-Treiben in ARD und ZDF (und wer dann noch mehr will, wird bei den Dritten fündig) über die Woche verfolgt, wird allmählich ein ganz sonderbares Verhältnis zur Realität gewinnen. Er wird annehmen, dass dieses Land vor allem von Arnulf Barings, Hans-Ulrich Jörges und Hans-Olaf Henkels bestimmt wird. Sie zählen zu den Dauergästen bei Maischberger, Illner und Co., und sie konstruieren lustvoll das Bild einer unzufriedenen Nation von Pessimisten und Nörglern. Sie sind in der Lage, über jedes Thema etwas zu sagen und den Zuschauer am Ende deprimiert und mit vielen Fragen auf der Fernsehcouch sitzen zu lassen. Das politische Gespräch im Fernsehen kann durchaus ein intellektueller Genuss sein. Doch der augenblickliche Dauermarathon nervt nur noch.

Die Kritik des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert an einer „erbarmungslosen Dominanz“ der Talk-Formate im Abendprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kommt deshalb zur rechten Zeit. Sie gibt auch dem ARD-Programmbeirat Rückenwind. Zu häufig doppeln sich die Gäste, zu ähnlich sind Themen und Formate, hatte das Gremium jüngst gemosert. Zu ähnlich ist auch die Zielgruppe der Shows. Immer zielt man auf den Alltag der Mittelschicht, mit immer gleichen, sehr sorgenvollen Fragen: Wie sicher ist unser Geld? Wie krank sind wir? Warum sind unsere Jobs so stressig? Der Erkenntnisgewinn ist trotz allen Bemühens um Alltagsnähe oft gering. Und echtes Interesse für Politik wird damit leider auch nicht befriedigt. Vielen Politikern tut man überdies keinen Gefallen damit, sie einzuladen. Wer im TV einen im Bundestag hochgeachteten Peter Altmaier oder einen Peter Hintze juristische Spitzfindigkeiten oder schlimmer noch Phrasen formulieren sieht, macht sich zwangsläufig ein Bild von Politikern, das ihnen insgesamt nicht gerecht wird. Sie sind eben keine Showmaster oder Kabarettisten. Der Dauer-Polit-Talk führt nicht zuletzt dazu, dass sich viele genervt vom Politbetrieb abwenden. Deshalb ist das Format ein Beschleuniger der Politikverdrossenheit.

Die aktuelle politische Agenda dieser Tage ist so komplex und folgenreich wie lange nicht. Doch die Zeit, die wir offenbar bereit sind zu investieren, sie zu verstehen, wird immer kürzer. Von einer Talk-Runde mit drei Politikern und einem Börsenexperten zu erwarten, in einer Dreiviertelstunde die Euro-Krise zu lösen, ist schlicht zu viel verlangt. Ein neuer Anlauf für qualitätvolle Informationssendungen, für echten Journalismus also, wäre stattdessen in Angriff zu nehmen. Sonst quatschen wir uns noch zu Tode.

E-Mail: rena.lehmann@rhein-zeitung.net