RZ-Kommentar: Weise Weihnachten

Es ist Weihnachten, endlich. Ein paar letzte Stunden Betriebsamkeit noch, dann beruhigte sich unser oft so gehetztes Leben.

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Es ist Weihnachten, endlich. Ein paar Stunden Betriebsamkeit noch, dann beruhigte sich unser oft so gehetztes Leben. Zeit für Heiligabend – für viele von uns das wärmste und innigste Fest im Jahreslauf. Raum für aus der Zeit herausgehobene Tage. Zeit zum Innehalten, Verweilen und Nachdenken. Eine gute Gelegenheit für Nähe, Einkehr und Umkehr.

Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam sinnen – etwa über das Grundlegende, das uns ein paar Tage Schneefall, in diesem Jahr rechtzeitig vor Weihnachten, wieder bewusst machen können.

Der Kommentar zum Weihnachtsfest von RZ-Chefredakteur Christian Lindner

Ob wir nun fest im Glauben verwurzelt sind, unseren christlichen Traditionen eher flanierend ab und an näherkommen oder uns als nicht glaubend wähnen: Die meisten von uns dürften, bei stiller Betrachtung, innerlich erschrecken, wie aufgeregt, verunsichert und unangemessen dieses Land reagiert, nur weil es mal geschneit hat.

Diese Überreaktion, vor der auch wir Medienmacher nicht gefeit sind, ist ebenso typisch wie bezeichnend für unsere Zeit – und auch für eine neuzeitliche Überheblichkeit des modernen Menschen: Wir sind kollektiv dem Irrtum erlegen, uns die Erde stets kalkulierbar untertan gemacht zu haben. Schonend gehen wir dabei weder mit der Schöpfung noch mit uns selbst um. Alles ist enger, dichter, schneller und fordernder getaktet als früher: Verkehr und Verbrauch, Produktion und Kommunikation, Lebenswege und Ansprüche an das Leben. Kaum jemand entzieht sich dem, viele von uns leiden darunter, die meisten von uns aber halten das Rad der Überschleunigung selbst mit in Schwung.

Genau deshalb ist uns dies die meisten Tage im Jahr nicht hinreichend bewusst. Unsere rastlose, fordernde, oft auch überfordernde Lebensweise scheint ohne Alternative – und scheinbar funktioniert sie ja auch sinnhaft und berechenbar. Ein paar Zentimeter Schnee, für unsere Breitengrade jahrhundertelang eine unproblematische Selbstverständlichkeit, reichen dann aus, um uns aus der scheinbar immer beherrschbaren Normalität ins Chaos zu werfen. Wer ehrlich zu sich selbst ist, müsste erkennen, dass wir besser mit uns statt mit Winterdienstlern, Zugbegleitern und Flughafenpersonal hart ins Gericht gingen. Wir Menschen der Neuzeit sind ganz offenbar der Droge Mobilität verfallen – und werden aus der Bahn geworfen, wenn wir lange Distanzen einmal nicht berechenbar überwinden können oder sich unser Bewegungsradius verringert.

Recht besehen ist es deshalb im doppelten Sinn ein Geschenk des Himmels, dass es in diesem Jahr so kurz vor Weihnachten so kräftig geschneit hat. Werten wir diese Wortmeldung der Natur als Fingerzeig der Schöpfung. Verstehen wir mittels der Zeit, die uns das christliche Fest Weihnachten schenkt, unsere so alltagsbezogene Reaktion auf den Schnee dieser Tage als Indiz für das Tönerne eines nur auf Normalität und Funktionieren bezogenen Lebens. Geben wir dem Gedanken Raum, dass Leben mehr benötigt als geräumte Straßen und verlässliche Bahnverbindungen. Gestehen wir uns ein, oder machen wir uns wieder stärker bewusst, dass Menschen zwingend Werte jenseits von Pünktlichkeit und ungehemmter Mobilität brauchen.

Und wer gläubig ist, der stehe nicht nur in diesen besinnlichen Tagen und wahrnehmbar auch für andere dazu: Die christliche Botschaft, die mit Weihnachten in Wahrheit viel inniger verbunden ist als Konsum, Essen & Co., verdichtet und verkörpert genau die Werte, die uns davor bewahren können, uns im Alltag zu verlieren, uns an Nebensächlichkeiten zu orientieren. Wir feiern Weihnachten, weil wir Hoffnung brauchen – und auch bekommen. Weil wir uns nicht am Dunklen orientieren müssen, sondern vom Licht leiten lassen können. Weil die Menschen seit zwei Jahrtausenden Kraft aus der Kunde beziehen: Wir sind nicht haltlos und getrieben, sondern gestützt und geborgen – wenn wir es zulassen. Geben wir diesen Gedanken Raum – jeder, wie es Friedrich der Große so grenzenüberwindend formuliert hat, „nach seiner Façon“. Wer sich das selbst schenkt, kann in diesem Jahr nicht nur weiße, sondern auch weise Weihnachten erleben.

Y E-Mail: christian.lindner@rhein-zeitung.net