RZ-KOMMENTAR: Die meisten Hartz-IV-Empfänger sind keine Faulenzer

Der traurige Rekord bei den Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger bestätigt auf den ersten Blick ganz wunderbar das Klischee vom Langzeitarbeitslosen, der gar keine Arbeit haben will. Und der es sich in der vermeintlichen sozialen Hängematte ganz prima eingerichtet hat.

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Aber wie das so ist mit Rekordzahlen: Man muss sie sich schon ein wenig genauer ansehen, um sie zu deuten. Tatsächlich liegt die Zahl der arbeitsfähigen Leistungsempfänger nach Hartz IV, die überhaupt Sanktionen erfahren und folglich Missbrauch betrieben haben, bei unter 5 Prozent. Angesichts dieser Zahl ist es schlicht unfair, die große restliche Mehrheit der Menschen ohne Job der Faulenzerei zu bezichtigen.

Auch die Arbeitsagentur erklärt die gestiegene Zahl der Sanktionen nicht mit einer verstärkten Unlust der Arbeitslosen, zum abgemachten Termin zu erscheinen. Sie sieht andere Gründe, die ziemlich plausibel erscheinen: Der Arbeitsmarkt in Deutschland boomt seit zwei Jahren. Es gibt zahlreiche Stellenangebote, folglich auch sehr viel mehr potenzielle Vorstellungs- und andere Termine, zu denen die Arbeitslosen überhaupt eingeladen werden können. Dazu passt, dass die Rate der Sanktionen dort am höchsten ist, wo die Arbeitslosigkeit besonders gering ist. Dort gibt es mehr Stellenangebote, die man ablehnen kann. Dort gibt es aber auch eine intensivere Betreuung durch die Jobcenter. Deren Mitarbeiter konnten sich in den vergangenen Jahren viel stärker um den einzelnen Kunden kümmern. Wer häufiger eingeladen wird, kann aber auch häufiger unentschuldigt fehlen. Der Druck steigt.

Dass Sanktionen sinnvoll sein können, zeigt sich vor allem bei der so schwer zu erreichenden Gruppe der unter 25-Jährigen. Es sind oft junge Leute ohne Schulabschluss, mit keinerlei Perspektive, deren letzte Chance auf einen Arbeitsplatz mit Zukunft in der Zusammenarbeit mit einem Fallmanager im Jobcenter liegt. Ohne Druckmittel wäre hier in vielen Fällen überhaupt nichts mehr zu machen.

E-Mail: rena.lehmann@rhein-zeitung.net