Flörsheim

Netzwerk-Disse groovt durch die Netzwerke

Cris Cosmo ist eben durch die neue Wohnung seines Freundes spaziert. Am Bildschirm. Übers Internet. Der Freund wohnt in Brasilien, Cosmo in Flörsheim zwischen Frankfurt und Mainz. Cosmo ist ziemlich froh, jetzt so auf die Schnelle und so ganz kostenlos zu wissen, wie es bei seinem Freund zuhause aussieht. Warum singt dann so einer „Scheiß auf Facebook“ und spült im Video seinen Laptop ´runter?

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Flörsheim. Cris Cosmo ist eben durch die neue Wohnung seines Freundes spaziert. Am Bildschirm. Übers Internet. Der Freund wohnt in Brasilien, Cosmo in Flörsheim zwischen Frankfurt und Mainz. Cosmo ist ziemlich froh, jetzt so auf die Schnelle und so ganz kostenlos zu wissen, wie es bei seinem Freund zuhause aussieht. Warum singt dann so einer „Scheiß auf Facebook“ und spült im Video seinen Laptop ´runter?

Für die Antwort darauf lohnt ein Blick auf Cosmos Lebenslauf. Cris Cosmo ist Sänger, 32 Jahre jung und seit vielen Jahren bevorzugt als Live-Musiker unterwegs. Noch vor seinem Studium an der Popakademie in Mannheim treibt es ihn samt Gitarre auf die Straßen durch Europa bis nach Südamerika.

Nach dem Studium startet 2007 der Ernst des Lebens: Verträge mit Plattenfirmen wollen geschlossen werden. Konzerttermine verhandelt und gebucht. Platten verkauft.

Doch die romantisch-analogen Zeiten des nächtlichen, illegalen Plakateklebens sind vorbei. „Wer Publikum haben will, muss Konzerttermine über möglichst viele Portale im Internet verbreiten“, sagt Cosmo heute. Ein ganzer Stab an Mitarbeitern kümmert sich darum. Die Verlinkungssymbole in die verschiedenen Plattformen auf der Internsetseite des Sängers und seiner Mitstreiter füllen inzwischen drei Zeilen.

Und spätestens jetzt hat Cosmo das Suchtpotential dieser Plattformen auf dem Schirm. „Die Technik erleichtert erstmal viele Dinge nicht nur beim schnelleren Kontakt zu Freunden in der Ferne“, sagt Cosmo. „Aber sie saugt einen auch an.“ Einfach sei es nicht, mit der Technik der virtuellen Welt so umzugehen, wie es der englische Philosoph Lord Bacon einst für Geld empfahl: „Wir sollten auch Computer so begreifen – als gute Diener, aber schlechte Meister.“

Und nun hat Cris Cosmo deftige Worte gefunden für die Risiken seines virtuellen Alltags. Er beschimpft MySpace, Facebook und Outlook in einem Atemzug. Will nix mehr wissen von rein digitalen Freunden, Playstation oder Youtube. Einfach mal ausschalten, rausgehen und „sich anfassen“ sei die Devise.

Doch genau diese virtuellen Kanäle katapultieren die Musiker jetzt steil nach oben. Auf Youtube wurde der lustige Streifen, in dem die Musiker reihenweise Endgeräte zerstören, inzwischen zehntausendfach angeklickt. Und dort auch kontovers diskutiert.

Gezielte Strategie oder gern genutzter Nebeneffekt offenkundig humorvoller Geschäftsleute? Irgendwie beides. Cris Cosmo zitiert in den Kommentaren bei Youtube Frank Heydthausen von der Karlsruher Band socialplastic, der es spannender findet, für Soldaten vom Frieden zu singen als für Pazifisten. Sämtliche Portale habe die Band vor der Video-Veröffentlichung angemailt, um juristischen Ärger zu vermeiden. Reagiert habe keines. Erst nach der Veröffentlichung des Videos wurden die Netzwerker aufmerksam. Ärger gemacht habe jedoch bislang keiner. Im Gegenteil: Der Deutschland-Chef von Myspace, Joel Berger, hat das Liedchen sogar selbst auf seiner Seite gepostet...

Cosmo, inzwischen Vater dreier Kinder, hat so seine eigenen Erfahrungen gemacht mit den Plattformen. Als Manager und Buchungsagent in Personalunion gehört sein Laptop zum Herzstück der digitalen Welt. Ein iPhone hat er nicht, hätte es aber gerne, um seinen Terminkalender auch im Kleinformat ständig bei sich zu haben. Und dann ist da der schnelle Klick ins Wohnzimmer des brasilianischen Kumpels, da ist aber auch die Erzieherin seiner Kinder, die auf Facebook zur Dildoparty einlädt. Cosmo lacht. Ja, man habe sie darauf angesprochen. Und ja, sie arbeite da noch. Aber: „Für viele schüchterne Menschen können solche Netzwerke auch eine Chance sein, aus ihrem sicheren Wohnzimmer sich dann doch mal zu trauen, Kontakte aufzubauen.“

Schockiert habe ihn dann aber der Anruf aus der Geschäftsleitung von StudiVZ. „Die sind selbst erschrocken zu sehen, dass die Nutzer von SchülerVZ an einem Tag insgesamt 365 Jahre online sind.“ Dass selbst die Macher solcher Portale es inzwischen lieber sähen, die Kinder schalteten den Rechner einmal öfter aus, dass Kindersender im Fernsehen als Sonderaktion den Bildschirm einen Tag lang schwarz lassen, bezeichnet Cosmo als „Aufbäumen gegen sich selbst“. Die Welt verändere sein Lied sicher nicht. Aber wenn es zum Gedankenanstoß reiche, schiebt der Idealist nach, dann sei das doch „schon mal geil“.

Seine eigenen Kinder sieht Cosmo am liebsten draußen im Spiel mit Freunden. Ja, ab und zu dürften sie auch etwas sehen. Angst, dass die Kinder dadurch den Anschluss an die übrige Welt verlieren, hat der Sänger nicht. Was wichtig ist, komme von selbst. „Wir hatten als Kinder auch nur vier Programme im Fernsehen und keinen Kabelanschluss wie die anderen.“ Dass er heute deshalb eine geringere Serien-Kompetenz habe, so glaubt Cosmo, „hat mir nicht wirklich geschadet“.

Rebekka Neander

Am 23. September spielt Cris Cosmo mit seiner Band im Caveau in Mainz, in Koblenz sucht die Band noch Locations. Weitere Termine und Kontakt gibt´s auf der Internetseite.